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Musik-Branche in der Krise: Sind wir Sofa-Hocker schuld?

Die Konzert-Branche sucht nach Wegen aus der Krise – und das Publikum entscheidet, wie es weitergeht. Sicher ist, dass sich die Pop-Welt verändern wird.

Von Andy Dallmann
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Sarah Connor hatte Glück: Zu ihrem Konzert am Elbufer kamen Tausende.
Sarah Connor hatte Glück: Zu ihrem Konzert am Elbufer kamen Tausende. © Jürgen Lösel

Da kann durchaus Neid aufkommen: Die Feuerwerkfabrikanten des Landes dürften jetzt allein schon dank der in einer einzigen Jahreswechselnacht verballerten Schwarzpulvererzeugnisse wieder optimistisch in die Zukunft sehen. Alle, die mit der Veranstaltungsbranche zu tun haben, warten jedoch weiterhin auf den zündenden Funken. Einen Wumms wird es für sie so oder so nicht geben, aus dem Corona-Sumpf müssen sie sich irgendwie alleine ziehen. Denn sämtliche Hilfen sind im Dezember ausgelaufen. Und das Geschäft ruckelt weiter vor sich hin.

Jetzt muss keiner gleich Taschentücher verteilen. Niemand in der Branche, in der über Jahre sehr, sehr viel Geld verdient wurde, heult rum. Wer in diesem Geschäft auch nur ein paar Wochen mitmischt, weiß, dass nichts so sicher wie die ständige Unwägbarkeit des wirtschaftlichen Erfolges ist. Nicht vom ganz persönlichen Einsatz, nicht vom betriebenen Werbe-Aufwand hängt ab, ob ausreichend Publikum kommt. Die Frage, läuft ein Thema oder läuft es nicht, lässt sich selten sicher beantworten. Doch noch nie war alles so wenig kalkulierbar wie jetzt.

Konzerte nach Corona: Frust beim Fan

Es gibt mal Massenandrang, mal leere Säle. Manche Künstler setzen in Minuten alle Karten für ferne Freiluftkonzerte ab. Andere, die als sichere Bank galten, sagen frustriert Shows ab, weil viel zu wenige Tickets verkauft worden sind. Der Sommer der zurückgewonnenen Freiheiten weckte letztlich falsche Erwartungen. Wer seine Karte für das nun endlich über die Bühne gehende Stadionkonzert von Udo Lindenberg eingelöst hat, kauft nicht zwangsläufig gleich noch ein neues Ticket für eine Hallenshow im Herbst oder Winter. Der ist vielmehr vorsichtig, geprägt von den vielen Verboten der vergangenen Monate, mittlerweile an Netflix-Abende gewöhnt und obendrein vielleicht knapp bei Kasse. Zu den Nachwirkungen der Corona-Krise kamen schließlich noch Inflation und steigende Energiekosten hinzu.

Entscheidend aber ist, dass in Sachen Live-Veranstaltungen das potenzielle Publikum eine gewisse Gleichgültigkeit entwickelt hat. Die Vorfreude etwa, die einst der Gedanke an die kommende Show eines geschätzten Künstlers bereits bei der Terminankündigung auslöste, kommt nur noch selten auf. Das hat sich die Branche – allerdings nicht aus eigenem Antrieb heraus – zum Teil selbst eingebrockt.

Ein Beispiel: Zunächst waren für das im Vorjahr angesetzte Open-Air-Konzert von Herbert Grönemeyer im Leipziger Stadion alle 45.000 Karten fix verkauft worden. Wegen eines Corona-Falls sagte der Deutschrocker die Tour ab. Alle bekamen das Geld für ihr Ticket zurück, aber nicht die Vorverkaufsgebühr. Erstmals Frust beim Fan.

Dann ging neu die für 3. Juni geplante Show in den Verkauf – mit deutlich höheren Kartenpreisen aufgrund kräftig gestiegener Produktionskosten. Wieder Frust beim Fan, bei dem nun außerdem das Geld deutlich weniger locker sitzt. Das Ergebnis: Es sind immer noch reichlich Plätze im Stadion frei.

Künstler bleiben auf der Strecke

Diese Kombination aus höheren Kosten sowie Preisen und dem gesunkenen Interesse beim Kunden lässt Konzertmacher verzweifelt nach Lösungen suchen. Zudem kommen Wissenschaftler mit Thesen um die Ecke, die endgültig Verzweiflung schüren könnten. Wenn tatsächlich erst die Generation derer, die an Corona keine wirkliche Erinnerung haben, wieder gänzlich unbeschwert Live-Kultur genießen, könnte die amtierende Generation der Veranstalter einpacken. Macht sie natürlich nicht.

Sie kann aber auch nicht einfach beim Aufwand für die Shows abrüsten, um die Kosten zu senken. In einem Geschäft, das extrem von Wettbewerb geprägt ist, räumt nicht Aschenputtel, sondern (fast immer) die glitzernde Konkurrenz ab. Deshalb verlegen sich manche Agenturen verstärkt auf Stars mit erwiesener Zugkraft. Sozusagen Klasse statt Masse, wobei Ersteres sich leider allein auf die Verkaufstauglichkeit und nicht auf die Qualität bezieht.

Künstler, die man bislang so nebenbei mitgenommen hat, bleiben auf der Strecke. Wer mit dem Verkauf seiner Songs wenig verdiente, sicherte seinen Lebensunterhalt bislang durch Auftritte. Dieses Konstrukt ist derzeit so wackelig wie nie.

Das Publikum gibt das Tempo vor

Glück hat, wer sehr junges Publikum anspricht. Aus der Szene heißt es, dass die Unter-25-Jährigen die einzige verlässliche Zielgruppe sind. Sie haben weder Angst vor Ansteckung noch Geldsorgen, dafür aber richtig Lust aufs Ausgehen.

Ob sich nun die Älteren mit Kombitickets, bei denen die Anfahrt inklusive ist, oder mit einem Mehr an anderem Drumherum, noch aufwendigeren Inszenierungen oder direkterer Ansprache aus der Reserve locken lassen, werden die Show-Anbieter testen müssen. Zu Recht beschwören sie, dass sich das Erlebnis eines gelungenen Live-Konzertes durch nichts ersetzen lässt. Dieses Wissen nützt allerdings gar nichts, wenn parallel keine Emotionen gezündet werden. Nicht der Verstand entscheidet über den Kauf der Konzertkarte, sondern das Herz.

Die Optimisten unter den Veranstaltern glauben, das hinzubekommen, rechnen aber damit, dass es fünf Jahre bis zur Normalisierung der Lage dauern könne. Nun liegt es beim potenziellen Publikum: Das allein gibt das Tempo vor. Und nur, wenn ein paar Leute mehr wieder vom Sofa hochkommen, wird es weiterhin ein breites Spektrum an Live-Musik geben.

Mail an Andy Dallmann