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Ein Ostdeutscher schrieb gesamtdeutsche Filmgeschichte

Der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase ist tot. Bekannt wurde er für den DDR-Klassiker "Solo Sunny". Einer seiner letzten Filme wurde in Sachsen gedreht.

Von Oliver Reinhard
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Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase ist tot. Er sei am 5. Oktober in Berlin gestorben, teilte die Akademie der Künste unter Berufung auf seine Frau mit.
Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase ist tot. Er sei am 5. Oktober in Berlin gestorben, teilte die Akademie der Künste unter Berufung auf seine Frau mit. ©  Patrick Pleul/dpa (Archiv)

So kann es klingen, wenn sich jemand in wenigen Worten selbst beschreibt: „Ich schlafe mit jemandem, wenn es mir Spaß macht. Ich nenne einen Eckenpinkler einen Eckenpinkler. Ich bin die, die bei den Tornados rausgeflogen ist. Ich heiße Sunny.“ Gut, man sollte präzisieren: So konnte es klingen, wenn Wolfgang Kohlhaase einer seiner Filmfiguren eine Selbstbeschreibung auf den von ihm erdachten Leib schrieb. In diesem Fall auf den Leib von Sunny, Kohlhaases wohl berühmtestem Geschöpf, zur Welt gebracht von ihm und Regisseur Konrad Wolf 1980 im legendären Leinwanddrama „Solo Sunny“.

Diese ungekünstelte „Echtheit“, diese unbedingte Glaubwürdigkeit, dieses zwischen Beiläufigkeit und Besonderheit direkt dem Leben Entlehnte zeichnete sie alle aus: den Halbstarken Dieter aus „Berlin Ecke Schönhauser“ von 1957. Den Kriegsheimkehrer Gregor Hecker in „Ich war neunzehn“ (1968). Das Gaunertrio der deutsch-deutschen Komödie „Der Bruch“ (1988). Die Freundinnen Nike und Katrin in „Sommer vorm Balkon“ (2005). „Die Menschen um die Ecke“, so sagte er einmal, die hätten es ihm angetan. Sie genau und präzise zu beobachten, war das wichtigste Handwerkszeug für Kohlhaase. „Ich gehe gerne um jemand herum und versuche, dahinterzukommen, warum ist der so, wie er ist“, so beschrieb er das selber.

Berufsstart als Journalist für die FDJ

So etwas wie Dieter, Gregor, Sunny, Nike und Katrin wird es nicht mehr geben: Der karrierebruchlos aus der DDR in die Bundesrepublik geglittene Defa-Veteran Wolfgang Kohlhaase ist am Mittwoch im Alter von 91 Jahren im märkischen Reichenburg gestorben. Knapp sieben Jahrzehnte nach „Die Störenfriede“, der Verfilmung seines ersten Drehbuchs. Er hat deutsche Filmgeschichte geschrieben. Er war eine Klasse für sich. Er war einzigartig.

Wolfgang Kohlhaase wird am 13. März 1931 in Berlin geboren, Vater Schlosser, Mutter Hausfrau. Bereits in der Schule entdeckt er seine Lieben zum Schreiben. Nach dem Krieg lernt und arbeitet er zunächst bei der Jugendzeitschrift Start, später für die Junge Welt, dem Zentralorgan der Freien Deutschen Jugend FDJ. 1950 wird kurz bei der Defa als Dramaturgie-Assistent angestellt, doch schon zwei Jahre später beginnt sein Leben als freier Künstler, der Drehbücher schreibt, Erzählungen, Theaterstücke, Hörspiele.

Ein schwerer Schlag für das SED-Mitglied

Als politischer Mensch mit den Erfahrungen von NS-Zeit und Krieg im Rücken meint auch Wolfgang Kohlhaase, seine Begabung in den Dienst einer guten Sache zu stellen, als er in die SED eintritt, in Kopf und Herz die „Idee von einer Gesellschaft, in der das Geld nicht alle Dinge regelt“. Zum feinen Gespür für literarische Figuren gesellt sich das Fingerspitzengefühl für künstlerische Partnerschaften: Gerhard Klein wird der erste in einer ganzen Reihe von Regisseuren, mit denen Wolfgang Kohlhaase zur kreativen Hochform aufläuft, und sie mit ihm. Mit Konrad Wolf, Frank Beyer und Andreas Dresen dreht er später jeweils mehrere Filme.

Mit Klein realisiert er zunächst auch „Berlin Ecke Schönhauser“, und bekommt erstmals Probleme mit den SED-Kulturoberen, denen das darin gezeigte Bild der „sozialistischen Gesellschaft“ nicht passt. „Berlin um die Ecke“ ist dann zuviel der Kritik am Sozialismus. Der Film wird verboten, wie fast die gesamte Defa-Produktion des Jahres 1965. „Es war töricht. Nicht atemberaubend, sondern Atem wegnehmend“, sagte Kohlhaase.

Ohne Karriereknick über die "Wende"

Noch 1968 geht es ihm und Regisseur Konrad Wolf in „Ich war Neunzehn“ um die politische Haltung, um den Antifaschismus. Danach wenden sie sich erneut jenen Schicksalen zu, die entlang der Ränder der Gesellschaft verlaufen und manchmal darüber hinaus kippen. Über Künstler, „die an der sozialistischen Wirklichkeit verzweifelten“, so Wolfgang Kohlhaase rückblickend in einem Interview. Das Bildhauer-Drama „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ entsteht. Und „Solo Sunny“.

Anders als viele Kolleginnen und Kollegen übersteht Kohlhaase die „Wende“ nahezu reibungslos, zumindest in Sachen Kunst und Kreativität. Er findet seinen Platz in der neuen Zeit und dank seines Gespürs für funktionierende Partnerschaften Regisseure, die ihn wollen: Frank Beyer für „Der Hauptmann von Köpenick“, Volker Schlöndorff für das RAF-Drama „Die Stille nach dem Schuss“ und schließlich Andreas Dresen.

Emöke Pöstenyi wurde und blieb seine Lebensliebe

Das Seltsame an dieser doch so passend klingenden Gemeinschaft: Die Qualität von „Sommer vorm Balkon“ können sie nicht halten. „Whisky mit Wodka“ fällt 2009 schon deutlich ab – das Beste daran sind die Dialoge –, mit der Kinoversion von Clemens Meyers Bestseller „Als wir träumten“ wird es sechs Jahre später nicht besser. Ein Zeichen dafür, dass sich künstlerische Partner auch zu gut verstehen können?

In seinem Privatleben jedenfalls gab es offenbar kein „zu gut“. Über ein halbes Jahrhundert war Wolfgang Kohlhaase mit seiner Ehefrau Emöke Pöstenyi zusammen, eine der bekanntesten Tänzerinnen und Choreografinnen der DDR. Lange ist er gesund geblieben, ans Aufhören hat er nicht gedacht. „Ich würde gerne noch einen Film machen“, hatte Wolfgang Kohlhase sich im vergangenen Jahr zum 90. Geburtstag gewünscht. „Er müsste hinten ran passen an alles, was ich gemacht habe, traurig oder komisch, laut oder leise.“ Nur eins sollte nicht in die Tüte kommen: „Es darf nichts Beliebiges sein.“