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Das sind die faszinierendsten Porträts des Jahres

Die Finalisten des 6. Hellerau Photography Award zeigen, dass Zusammenhalt und Beisammensein zwei völlig verschiedene Dinge sind.

Von Birgit Grimm
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Aus der Serie "Corona Rhapsody" von Rafael Heygster und Helena Manhartsberger
Aus der Serie "Corona Rhapsody" von Rafael Heygster und Helena Manhartsberger © Heygster & Manhartsberger

Viele Fotografen, ob als Dokumentaristen oder Künstler, sind nah dran am Zeitgeschehen, können aktuell reflektieren, was Menschen bewegt. „Portraits“, die Ausstellung zum 6. Hellerau Photography Award, zeigt das überzeugend. Hunderte Fotografen aus 47 Ländern beteiligten sich an dem internationalen Wettbewerb, der seit 2016 in Dresden ausgetragen wird.

"Togetherness", was Zusammenhalt bedeutet und Beisammensein, könnte als Thema nicht besser gewählt worden sein und zeigt die Paradoxie: Wenn wir zusammenhalten in der Pandemie, indem wir Rücksicht nehmen auf andere, dürfen wir nicht beisammen sein. Persönliche Begegnungen bleiben selten, Umarmungen von Menschen, die nicht in einer Wohnung leben, oder im selben Bett schlafen, sind verboten.

Die Hauptschau der Finalisten, die sich in den Technischen Sammlungen Dresden nicht nur auf den Sonderausstellungsraum beschränkt, zeigt Werke von 26 Fotografen und Fotografinnen. Eine Jury hat sie ausgewählt und die Preisträger des Jahrgangs benannt: Den mit 5.000 Euro dotierten 1. Preis erhalten Rafael Heygster und Helena Manhartsberger für ihre „Corona Rhapsody“.

Unendlich erschöpfte Ärzte

Diese Serie zeigt die „neue Normalität“ in diversen Lebensbereichen: Eine junge Frau mit Vollschutz. Abgeordnete tagen in einer Messehalle in Bremen und halten Abstand. Berittene Polizisten diskutieren mit Jugendlichen im Park. Anzugträger und Kostümträgerinnen mit Maske stehen neben einem Lkw stramm. Firmenmeeting auf einem Parkplatz? Und dann ist da noch die junge Frau, die aus dem Dachfenster eines Pkw mit einem Fernglas schaut. Ob sie eine Querdenker-Demo beobachtet, derentwegen ihre Fahrt gestoppt wurde?

Mit Abstand in der Messehalle Bremen. Ein Foto aus der Serie "Corona Rhapsody" von Rafale Heygster/Helena Manhartsberger
Mit Abstand in der Messehalle Bremen. Ein Foto aus der Serie "Corona Rhapsody" von Rafale Heygster/Helena Manhartsberger © Rafael Heygster/Helena Manhartsberger

Andere Fotografen reflektieren das erzwungene Zusammensein in Quarantäne, die Einsamkeit der Alten und der Kinder, die sich nicht einsperren lassen. Selbstverständlich in mehreren Arbeiten die Mediziner im Fokus. Das Video von Gabriele Micalizzi und seine Fotoserie werden all jene zutiefst verunsichern, die sich davor fürchten, dass ihnen ein Wattestäbchen tief in der Nase geschoben wird, und die deshalb nicht zum Testen gehen.

Aber was ist dieser Test gegen das Liegen auf der Intensivstation und die künstliche Beatmung?! Die italienischen Ärzte und Schwestern, die Arianna Arcara porträtierte, möchte man am liebsten nach Hause schicken, so erschöpft sehen sie aus, und ihnen sagen: Schlaft euch aus! Behandeln lassen möchte man sich von ihnen nicht.

Ein Material, das es nicht geben dürfte

Das sind starke Fotos. Aber die Jury tat gut daran, mit den weiteren Preisen Porträts jenseits von Corona zu ehren. Tim Franco erhielt für seine Porträts von nordkoreanischen Überläufern den mit 2.000 Euro dotierten 2. Preis. Seine Serie „Unperson“ zeigt Nordkoreaner, die aus politischen Gründen oder aus Verzweiflung ihre Heimat verließen. Direkt über die Grenze von Nord nach Süd – das ist nicht möglich.

Tim Franco porträtierte nordkoreanische Flüchtlinge und bearbeitete die Fotos "in einer Technik, die es eigentlich nicht gibt.
Tim Franco porträtierte nordkoreanische Flüchtlinge und bearbeitete die Fotos "in einer Technik, die es eigentlich nicht gibt. © Tim Franco

Oft dauert so eine Reise Jahre. Angst spiegelt sich in den Gesichtern, auch Müdigkeit. In Südkorea müssen sie sich neu verorten zwischen ihrer nordkoreanischen Vergangenheit und ihrer südkoreanischen Zukunft. Franco sagt: "Um diesen unglaublichen Übergang widerzuspiegeln, habe ich ein analoges Material verwendet, das es eigentlich nicht geben dürfte: Das Negativ einer Polaroidfotografie, das durch eine Reihe von chemischen Reinigungen enthüllt wird, was oft zu etwas Ungewissem, Schmutzigem und Unvollkommenem führt."

Ebenfalls mit Polaroids arbeitet der Dresdner Manuel Frolik. Wie er sie mit der historischen Fototechnik der Daguerrotypie kombiniert, das war der Jury den 3. Preis (1.000 Euro) wert. Frolik hat sich an die Seite seiner Idole „gemogelt“, als wolle er zeigen, dass man dem Unerreichbaren doch sehr nahe kommen kann.

Der Dresdner Künstler Manuel Frolik will Idolen ganz nah sein und "beamte" sich selbst in historische Porträts hinein.
Der Dresdner Künstler Manuel Frolik will Idolen ganz nah sein und "beamte" sich selbst in historische Porträts hinein. © Manuel Frolik

Die Doppelporträts wirken auf eine sympathische Weise geschichtsverliebt und auch ein wenig absurd. Aber sie passen neben und in die Museumsvitrinen mit den historischen Kameras. Und wer sagt denn, dass man in der Pandemie alles bierernst nehmen muss? Man könnte diese Arbeit auch als Verweis auf die aktuelle Situation deuten. Denn was macht ein Fotograf, der nicht raus kann? Selbstporträts!

Militarismus in der Grundschule

Auch andere Fotografen in dieser Schau, zum Beispiel Jonas Dengler in „Periodic Waves“, dokumentieren das eigene Eingesperrtsein – allerdings ohne jedes Augenzwinkern.Zusammenhalt wird auch immer wieder durch diverse Rituale beschworen, mit denen man schon Kinder begeistern kann. Natalia Kepesz fotografierte polnische Jungs in der militärischen Ausbildung in einem Sommerlager.

Natalia Kepesz besuchte polnische Sommercamps, in denen die Kinder und Jugendlichen militärisch ausgebildet werden.
Natalia Kepesz besuchte polnische Sommercamps, in denen die Kinder und Jugendlichen militärisch ausgebildet werden. © Natalia Kepesz

Sie erhielt für ihre hochgelobte Serie den Residenzpreis, der ihr einen Arbeitsaufenthalt im Europäischen Zentrum der Künste mit anschließender Ausstellung im Festspielhaus Hellerau ermöglicht. „Es gibt zahlreiche militärische Organisationen für Kinder in Polen, und Patriotismus macht einen großen Teil der Grundschulbildung aus. Auffällig ist der spielerische Charakter dieser Lager, der den Ernst und die Wirklichkeit des militärischen Umfelds herunterspielt“, sagt Kepesz.

Aktuelle Informationen zu den Öffnungszeiten auf www.portraits-hellerau.com Der Katalog erschien im Verlag der Kunstagentur Dresden und kostet 25 Euro.