Er singt, wenn er mit dem Cello nicht weiter weiß

Von Hannah Küppers
Knallrot sei eigentlich gar nicht seine Farbe, sagt Christian Poltéra. Für das Foto vor dem Fasanenschlösschen sieht es trotzdem aus wie geplant. Der grelle, verschrammte Cellokoffer ist allerdings nur eine Leihgabe, genauso wie der wertvolle Inhalt, ein Stradivari-Cello von 1711. Darauf spielt er derzeit bei mehreren Konzerten beim Moritzburg Festival.Ziemlich früh war Poltéra klar, dass es das Cello sein musste, „das ging über den Klang“, eine Intuition, als jemand dem damals achtjährigen Grundschüler das Instrument vorstellte. „Das Cello hat eine Wärme, etwas Gesangliches“, findet der Schweizer. Viele Streicher würden für ihr Instrument beanspruchen, dass es der menschlichen Stimme am nächsten kommt – das hält Poltéra nicht davon ab, es auch für sein eigenes Instrument zu tun.
Vor 24 Jahren erstmals Moritzburg
Auch wenn das Cello der menschlichen Stimme nahekommt, seien manchmal instrumentale, technische Aspekte im Weg, sagt der Künstler. Dann hilft ihm beim Üben seine eigene Gesangstimme, wenn er sich fragt: „Wie würde man diese Phrase natürlicherweise singen? Jede nicht ganz unmusikalische Person macht dabei nichts falsch“, behauptet er. Deshalb helfe es ihm oft mehr, sich am Gesang zu orientieren. Poltéra hört deshalb auch besonders gern Liedgesang, etwa auf Autofahrten, ganz altmodisch mit CDs.
Bevor der Cellist neue Werke einstudiert, nimmt er sich aber auch die Interpretationen von Kollegen vor, schließlich erhebe er nicht den Anspruch auf die einzig beste Interpretation. Es passt zu seiner Ausstrahlung: bescheidene Zurückhaltung – wenn auch vielleicht nicht mehr so, wie als er vor 24 Jahren das erste Mal beim Moritzburg Festival eingeladen war und bei Proben noch „keinen Mucks gesagt“ hat. Damals ließ Jan Vogler, heute künstlerischer Leiter des Festivals, die Sektkorken knallen, als Poltéra während der Tage in Moritzburg 20 Jahre alt wurde.
Seitdem ist der Cellist regelmäßig im Sommer zu dem Festival im augusteischen Schloss wiedergekommen, alle drei bis vier Jahre. Inzwischen sind die meisten Künstler wesentlich jünger als er. Ihm gefällt die bunte Durchmischung. „Was passiert, wenn drei Unbekannte aufeinandertreffen?“ – auf diese Frage findet er beim Moritzburg Festival immer wieder neue Antworten. Manche Musiker begegnen sich erst kurz vor den Konzerten, haben manchmal nur zwei oder drei gemeinsame Proben vor dem Auftritt. „Man muss sich ziemlich schnell abtasten“, sagt Poltéra. Eine solch spontane Art miteinander zu musizieren, berge Risiken in sich. Die Körpersprache zum Beispiel, so banale Dinge wie einen Einsatz zu zeigen oder gemeinsam eine Phrase zu gestalten, das seien Herausforderungen. In seinem seit vielen Jahren bestehenden Trio kennt er das nicht, da sind alle sehr vertraut miteinander. Poltéra findet das Spontane aber inspirierend und kann viele neue Impulse daraus mitnehmen. Er beobachtet die unterschiedlichen Arten, Werke stilistisch zu gestalten, die unterschiedlichen Schulen auf den Kontinenten – auch die Motivationen, Berufsmusiker zu werden.
Um sich zu beweisen und in Szene zu setzen? Das war nie Poltéras Intention, er sei Musiker um der Musik willen geworden. Motiviert hat ihn immer das Musizieren in Gruppen, alleine üben hat er nie besonders gemocht, „ins Blaue üben“ auch nicht. Was er braucht, sei ein Ziel, ein Konzert vor Augen zum Beispiel, „dann sehe ich auch den Sinn“.
Durch Kinder effektiver geworden
Das Familien-Leben hat dem Vater von zwei kleinen Kindern einen anderen Blick auf das Üben gegeben: „Es ist plötzlich wieder etwas Schönes, wenn man in Ruhe arbeiten kann“, sagt er. Weniger Zeit, aber dafür effizienteres Arbeiten. Inzwischen übt er meistens in den Abendstunden, wenn seine Kinder im Bett sind. „Wenn ein kleines Kind einmal schläft, dann könnte eine Bombe platzen“, sagt er und lacht.
Musiker- und Familienleben sind für ihn eindeutig kombinierbar. Bei denen, die alles „auf die Karte Beruf“ setzten, würde irgendwann etwas fehlen, meint er. „Das kann einen auffressen.“ Das habe er selbst erst mit der Zeit lernen müssen, früher habe er manchmal rücksichtsloser und egoistischer sein Ding durchgezogen.
Flexibler ist der 44-Jährige mit der Zeit geworden, auch durch die letzten Pandemie-Monate. „Es gab keine langfristigen Ziele mehr, keine Sicherheit bei der Planung“, sagt Poltéra. Die Musikszene sei wesentlich regionaler geworden. „Macht das Sinn, dass jedes Orchester jedes Jahr nach Japan oder China auf Tournee gehen muss?“ Poltéra glaubt, dass die Pandemie einige Fragen aufgeworfen hat. „Ich habe nichts dagegen, ein Konzert zu spielen, wo ich zwei Stunden mit dem Auto hinfahre, anstatt zu jedem Konzert fliegen zu müssen.“
Nach Moritzburg ist er allerdings doch mit dem Flugzeug aus der Schweiz gekommen. Er freut sich hier auf das, was für ihn den Sommer ausmacht: „Das Ad-hoc, das Spontane, das Neue – all diese Dinge sind im Sommer im Vordergrund. Im Rest des Jahres geht es dann erst wieder darum, die Sachen zu vertiefen.“ Auch um neue Musiker kennenzulernen, sei das Festival ein Anlass. „Oft sitzen wir abends noch zusammen, trinken etwas.“ Der Austausch gehe nicht nur über die Musik. „In diesem Jahr haben sowieso alle ein besonderes Bedürfnis, etwas nachzuholen.“
Infos und Karten für das Moritzburg Festival gibt es online unter www.moritzburgfestival.de