Gekonnt erobert

Margret Eicher, Luzia Simons, Rebecca Stevenson und Myriam Thyes – eine Deutsche, eine Brasilianerin, eine Britin und eine Schweizerin – erobern frech diverse Plätze in den drei Pillnitzer Palais. Sie schleichen sich gekonnt in die Dauerausstellungen ein und haben dabei weder Scheu vor barocker Pracht noch vor höfischer Dekadenz. Was sie eint, ist der Respekt vor dem Denkmal und die Lust, der Aura der Vergangenheit eine zeitgenössische Schicht hinzuzufügen und auf eine feine, hintersinnige Weise Strukturen der Macht zu hinterfragen an einem Ort, der einst Macht repräsentierte.

Margret Eichers Tapisserien muten auf den ersten Blick historisch an. Auf den zweiten Blick könnte man sich über die trivialen Motive ärgern, doch alle guten Blicke sind drei: Bei genauer Betrachtung offenbaren sich spitzfindige Kommentare auf das Hier und Heute und unser Leben am digitalen Endgerät.

Myriam Thyes übersetzt die Inhalte chinoiser Freskenmotive, die man in Pillnitz an Wasser- und Bergpalais entdecken kann, in eine zeitgenössische, in ihre Bildsprache und macht zum Beispiel aus einem Gärtner einen Bauern, der eine Pestizid-Drohne befüllt.
Luzia Simons ließ sich von der Tulpomanie am sächsischen Hof und von der etwa 250 Jahre alten Kamelie im Pillnitzer Park inspirieren. Ihre zauberhaften Blumenscans erinnern an die Stillleben alter Meister, in denen Schönheit und Vergänglichkeit nah beieinander wohnen.

Und Rebecca Stevenson formt überbordende Wachsskulpturen, als wollten diese in Konkurrenz treten zu feudalen Tischaufsätzen und verspielten Jagdszenen aus Porzellan. Doch Vorsicht, das Schöne hat es in sich!

Die Ausstellung „Artists’ Conquest“ ist das gemeinsame Projekt der beiden Institutionen, die Pillnitz museal bespielen: Seit 1963 residiert das Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) im Wasser- und im Bergpalais. Anfang der 90er-Jahre zog das Schlossmuseum der Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen gGmbH (SBG) ins Neue Palais. SBG ist außerdem für den Park verantwortlich. „Seit dieser Zeit gibt es eine friedliche Koexistenz. Man hat sich gekannt, mehr aber auch nicht“, sagt Dirk Welich. Als er im vorigen Jahr das Amt als Schloss- und Parkdirektor übernahm, machte er deutlich, dass er das ändern möchte. Den Direktor des Kunstgewerbemuseums, Thomas A. Geisler, musste er nicht lang überreden: „Der Austausch zwischen uns war von Anfang an gut. Die Anlage ist ein Besuchermagnet, wir wollen sie als ein Erlebnis erfahrbar machen.“ Das fängt mit einem gemeinsamen Ticket an, das es bereits gibt. Und es hört nicht auf, wenn „Artists’ Conquest“, diese erste gemeinsame Sonderausstellung, zum Saisonende im November wieder abgebaut wird.
Sinnvoll wäre es, Besucherservice, Sicherheit, Logistik, Restaurierung und Aufsichten gemeinsam zu organisieren. Doch der Teufel steckt im Detail. Das Kunstgewerbemuseum ist als Teil der SKD dem Kulturministerium unterstellt. Über SBG wacht das Finanzministerium. „Man könnte sagen, dass diese Situation gesellschaftlich gewollt ist, weil sie bisher von allen Verantwortlichen, die sie hätten ändern können, nicht geändert wurde“, sagt Welich. Die Zeit ist längst reif für ressortübergreifende Synergien, erst recht, weil nach der Corona-Krise die Mittel für Kunst und Kultur absehbar nicht üppiger werden.
„Aufgrund unserer Sammlungen und Vermittlungsschwerpunkte haben wir zwar unterschiedliche Perspektiven auf den Ort. Aber es wird spannend, gemeinsam zu denken und daraus eine neue Kraft für Pillnitz zu entwickeln“, sagt Geisler. Es gibt drei Schlösser, und im besten Fall huschen die Parkbesucher nicht nur, weil es zu regnen beginnt, auch ins Wasser- oder Bergpalais, sondern genießen neugierig einen Rundgang, der Geschichte und Gegenwart der Anlage kongenial verknüpft.
Beide Museumsteams wollen ihre Dauerausstellungen neu konzipieren und sich dabei abstimmen, in welchem Palais welche Pillnitzer Geschichte erzählt wird: Chinoiserie, Architektur, Botanik? Es macht keinen Sinn, bestimmte Themen doppelt abzuhandeln, auch wenn man die Perspektive darauf ändere, darin sind sich beide Museumschefs einig.
Ein gemeinsames Thema haben sie bereits gefunden: die Pillnitzer Bildwirkerei. Die Designerin und Kunsthandwerkerin Wanda Bibrowicz hatte zusammen mit Max Wislinecius 1919 eine Tapisserie-Werkstatt im Neuen Palais gegründet, später an der Dresdner Kunstgewerbeschule die Weberei-Werkstatt geleitet und bis zu ihrem Tod in Pillnitz gewohnt. Ihr Nachlass kam ins Kunstgewerbemuseum und drängt nun in die Öffentlichkeit. Auch Dirk Welich hatte diese Künstlerin auf dem Zettel. Er plant eine Ausstellungsreihe über Künstler, die im 20. Jahrhundert in Schloss Pillnitz lebten und arbeiteten.

Ohnehin haben beide Museumschefs ein großes Interesse für Kunst und Design, künstlerische Provokationen inklusive. „In der Provokation steckt doch auch ein Potenzial, um mit den Besuchern ins Gespräch zu kommen. Das machen wir beide sehr gern, auch weil wir in der Diskussion mit eventuellen Kritikern unsere eigene Position überdenken und noch mal schärfen können“, sagt Geisler.
Mit Provokation meinen sie freilich nicht den Christmas Garden im Dezember und Januar, obwohl auch diese Veranstaltung ihre Kritiker hat. Welich sagt: „Christmas Garden ist ein Angebot in einer Zeit, in der die Museen geschlossen sind. Neben dem wirtschaftlichen Aspekt finde ich toll, dass so viele Menschen von Christmas Garden begeistert sind, die sonst vielleicht nicht nach Pillnitz kämen. Daran sollten wir anknüpfen.“ Gern auch immer wieder mit künstlerischen Kommentaren. Im Neuen Palais funktionieren diese hier als gelungene Raumeroberungen. Im Wasser- und im Bergpalais wirken sie als herausfordernde Interventionen, von denen sich mancher provoziert fühlen mag. Andere Arbeiten wieder sind so gekonnt, so gewitzt in der Dauerausstellung platziert, dass man sie leicht übersehen kann.
„Artists’ Conquest“ bis 31. Oktober. Das Schlossmuseum ist Di – So 10 – 17 Uhr geöffnet, das Kunstgewerbemuseum zurzeit Fr – So 10 – 17 Uhr, ab 24. August Di – So 10-17 Uhr