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Gerne mal ein arroganter Stinkstiefel: Manfred Krugs Erinnerungen Teil 2

Flegelhaft und auch noch stolz darauf: Als Prolet mit zarter Seele zeigt sich der Allroundkünstler in seinen nachgelassenen Tagebüchern.

Von Karin Großmann
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An diesem Mittwoch erscheint der zweite Band mit Notizen des Schauspielers und Sängers Manfred Krug über sich und die Welt.
An diesem Mittwoch erscheint der zweite Band mit Notizen des Schauspielers und Sängers Manfred Krug über sich und die Welt. © kairospress

Ende 1998 wirft der Irak die Waffeninspektoren der Uno raus. Daraufhin bombardieren Amerikaner und Engländer Bagdad. „Das muss hart für die Russen sein, dass sie nicht mehr gefragt werden“, notiert Manfred Krug in sein Tagebuch. Ein Jahr später schreibt er, dass Boris Jelzin die Macht an „das schmale Jüngelchen Wladimir Putin“ abgibt. Der sammle nun durch den Tschetschenienkrieg Pluspunkte bei seinen gedemütigten Landsleuten. Mit kritischem Blick verfolgt der populäre Sänger und Schauspieler die Ereignisse auf der politischen Bühne.

Er empört sich über das Morden im Kosovo, nennt Helmut Kohl einen Mauschelkanzler und sieht beim SPD-Parteitag Schröder und Lafontaine zu „hymnischer Primitivmusik“ in den Saal trippeln. Doch vor allem kreist er um sich, mal witzig, mal wehleidig und immer direkt. Seine damalige Lektorin Krista Maria Schädlich hat aus 800 eng beschriebenen Seiten mit Zustimmung der Erben einen Extrakt verfertigt. Es ist der zweite Band nach dem sensationellen Auftakt im Vorjahr. Privates wurde öffentlich: Schlaganfall, Doppelleben, uneheliche Tochter.

Als Schauspieler und Sänger in Ost und in West erfolgreich

Ähnliche Enthüllungen gibt es hier nicht. Viel Alltagskram. Krug fliegt nach Hamburg zum Drehen. Abends sitzt er im Hotelzimmer mit „Tatort“-Kommissar Charles Brauer bei Wurstbroten, Bier und Fußball. Zu Hause trifft er wahlweise Gattin Otti oder die Geliebte mit der kleinen gemeinsamen Tochter Marlene. So geht es Woche um Woche. Streit mit der Zweitfrau, Trauer über Verluste, Krach mit dem Regisseur: „Ich bin zu zart für diese Welt“, schreibt Manfred Krug selbstironisch. Schließlich sei er ja als Gesamtkunstwerk engagiert.

Weil er ein scharfsinniger Beobachter ist und ein spöttisch-amüsanter Erzähler, lohnt sich die Lektüre für alle, die sich noch an ihn erinnern, an seine Charakterstudien in „Spur der Steine“, „Wege übers Land“, „Daniel Druskat“ oder an die Fernsehserien „Auf Achse“ und „Liebling Kreuzberg“. Er starb 2016 im Alter von 79 Jahren. Als Filmschauspieler und Jazzsänger war Krug in Ost und in West erfolgreich. Das schafften wenige Künstler. Vielleicht haben auch wenige so gearbeitet wie er.

Je älter, schwächer und teurer, desto begehrter wurde er

Allein die jetzt edierten Tagebücher von 1998 und 1999 belegen ein enormes Pensum, ganz abgesehen von Haushaltsbesorgungen, Flohmarktjagden und mitternächtlichen Fernsehexzessen. Krug dreht in dieser Zeit mehrere „Tatorte“ und Dutzende Werbespots für die Telekom. Er nimmt eine CD auf mit „Tatort“-Musik und eine mit deutschen Schlagern. Er stellt ein Buch mit seinen Gedichten zusammen, schreibt an seinen Memoiren, spricht Fototexte für eine WDR-Serie ein – und hält bei allen Projekten die Fäden selbst in der Hand. Viele Aufträge und Einladungen lehnt er ab oder antwortet gar nicht erst.

„Je älter, schwächer und teurer ich werde, desto begehrter werde ich. Es ist verrückt.“ In den Tagebuchnotizen erlebt man den Künstler als personifizierten Widerspruch. Einerseits fühlt er sich nach dem Schlaganfall matt und müde. Die Zeit, da ihn „Dankschreiben von Damen aus dem ganzen sozialistischen Lager erreichten“, und nicht nur wegen seiner berühmten heißen Füße, wie er meint, die Zeit ist vorbei. Er quält sich mit einer Diät herum. Kann sich seine Texte nicht merken. Schimpft über schlechte Drehbücher. Spielt nach Instinkt und fragt sich schon: „Bin ich ein verdammter Hochstapler?“

"Den ganzen trostlosen Sozialismus wegsprengen"

Am liebsten würde er auf den Dächern Berlins sitzen, dem Verfall des eigenen Körpers zusehen und dem Aufwachsen von Tochter Marlene. Andererseits aber wirft er sich in die Arbeit, als hinge sein Leben davon ab. Und so ist es wohl. Er braucht den Betrieb. Der fordert seine robuste Widerstandskraft heraus und gibt ihm Bestätigung. Der Vielgefragte spottet zwar darüber, dass er im Programmheft eines Manfred-Krug-Abends als lebende Legende angekündigt wird – „so schnell kann das gehen“ –, doch insgeheim freut es ihn.

Knallvoll, intelligentes Publikum, schöne Lesung, schreibt er über einen Auftritt im Haus des Buches in Dresden. Nachts träumt er im Hotel Hilton, er sei Anführer einer Sprengkolonne, „die den ganzen trostlosen Sozialismus wegsprengen soll“. 1977 hatte er die DDR verlassen. Akribisch notiert Manfred Krug seine Träume. Der Autor Jurek Becker taucht oft darin auf. Es ist rührend zu lesen, wie sehr Krug den Freund vermisst, der die meisten Drehbücher für „Liebling Kreuzberg“ schrieb und 1997 starb. Nur seinetwegen würde er jetzt Leichtathletik im Fernsehen schauen, das sei er ihm irgendwie schuldig.

„Solo Sunny“ ist nur „aufgemotzte Durchschnittsware“

Auf Feiern geben andere den Ton an: der Schriftsteller Stefan Heym, die Sängerin Uschi Brüning, der Karikaturist Willy Moese, der Schauspieler Günter Naumann, die Schauspielerin Christel Bodenstein … Manfred Krug versammelt die Berliner Künstlerszene um sich. Auf ein Personenverzeichnis verzichtet der Verlag leider wie schon im ersten Band. Manchen Prominenten wirft Krug einen Halbsatz nach. Nina Hagen nennt er „eine der produktivsten Verwirrten“ und Renate Krößner „die letzte anständige Schauspielerin drüben“. Ihr Film „Solo Sunny“ sei aber nur „aufgemotzte Durchschnittsware“.

Wirklich ärgerlich wird es, wenn der Allroundkünstler Leute beleidigt, die sein Publikum sein könnten: einen Chauffeur, der nicht an der Haustür klingelt, oder einen Schornsteinfeger, der lärmt.Krug schnauzt sie zusammen und ist auch noch stolz darauf. Er könne deutlich mit Proleten reden, weil er selbst einer sei. Dafür wurden Tagebücher erfunden: um Kleinigkeiten eine Bedeutung zu geben und sich selbst zu betrügen. Sie konservieren die Erinnerung in der Hoffnung, dass sich mal jemand dafür interessiert. Fortsetzung folgt gewiss.

  • Manfred Krug: Ich bin zu zart für diese Welt. Kanon Verlag, 301 Seiten, 24 Euro