Abschiedsglocken auf dem Königstein

Sie kann hart kämpfen. Wenn Angelika Taube etwas für die Festung Königstein erreichen will, lässt sie nicht locker. Mancher wird überrascht gewesen sein, wenn er meinte, die zierliche Frau mit den Löckchen und den Lachfältchen könne sich nicht durchsetzen. „Wenn ich sehe, auf mich kommt es an, von mir hängt es ab, dann wachsen mir Kräfte zu“, sagt Angelika Taube. Mit ihrem Team hat sie als Geschäftsführerin auf dem Königstein die Festung zu einem attraktiven Ausflugsziel für Touristen und Einheimische entwickelt – und als Historikerin das Museum zu einer Institution, die Leihgaben für ihre Sonderausstellungen sogar aus international renommierten Häusern bekommt.
Nach ihrem Geschichtsstudium kam Angelika Taube im September 1981 auf die Festung Königstein und bezog dort in der Alten Kaserne ein kleines Zimmer ohne Küche, ohne Bad, ohne WC. „Ich hatte nur ein Waschbecken und musste mir das Wasser mit einem Tauchsieder erhitzen. Als in meinem ersten Winter dort oben die Wasserleitungen einfroren, bin ich mit einem Eimer Wasser holen gegangen.“ Andere hätten spätestens in dieser Situation den Job geschmissen und die Flucht ergriffen. Die junge Frau blieb, weil es ihr die faszinierende Festungsgeschichte angetan hatte, die im Mittelalter begann und in der DDR-Zeit dunkle Lücken hatte. Überglücklich zog sie im Frühjahr nach dem harten Winter in eine kleine Wohnung auf dem Felsen: „Mein eigenes Reich“, sagt sie, und das klingt immer noch schwärmerisch. Wohnungen waren trotz des staatlich organisierten Bauprogramms auch in den 80ern noch Mangelware in der DDR.
Vom kleinsten Übel zur guten Lösung

„Damals habe ich jedes Gebäude neugierig erkundet. Viel habe ich von den Kollegen gelernt, überall sind sie mit mir hingegangen. Auch in die tiefsten Keller und auf den Kirchturm zu den Glocken.“ Die Garnisonskirche war Baustofflager, und im Glockenstuhl hing nur noch eine von drei Glocken. Was in der DDR nicht auf der Agenda stand, nahm die Protestantin Angelika Taube schließlich in den 90er-Jahren in Angriff: Die Sanierung der Garnisonskirche war eines der ersten Bauvorhaben des Freistaates Sachsen auf dem Königstein. Die Glocken sollten im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen werden, hatten aber in Hamburg auf dem sogenannten Glockenfriedhof überlebt und kamen zurück nach Königstein. Die Stadtkirche hatte eine Glocke eingebüßt und freute sich über den Zuwachs. Die andere Festungsglocke stand ungenutzt herum und kam zurück, als Angelika Taube darum bat. Um auch die zweite Glocke zurückzubekommen, berappte sie den Festungsetat um 23.000 Mark und ließ der Stadtkirche eine neue Glocke gießen. „Es kostete mich Überwindung, unsere eigene Glocke zurückzukaufen. Aber auf einen Rechtsstreit wollte ich es nicht ankommen lassen. Mir ist an einem guten Verhältnis zur Stadt gelegen“, sagt sie. Am Pfingstmontag im Jahr 2000 wurde die Kirche wieder in Dienst genommen. Nun läuten die drei Glocken zweimal am Tag, mittags um zwölf und abends um sechs.
Gekämpft hat sie auch um eine gute Lösung für eine Brandschutztreppe am Torhaus. Es gab Ausschreibung und Wettbewerb, bei dem die Jury sich für das kleinste Übel entschied: einen riesengroßen, trichterförmigen Anbau am Gebäude. „Ich saß mit in der Jury und dachte, dass dieses kleinste Übel immer noch zu groß ist. Mit den Bauunterlagen bin ich zum Chef des Staatshochbauamtes gegangen. Er hat mir nichts versprochen, sich aber gekümmert.“ Fluchtwege und Sicherheitstreppen müssen sein. „Aber wenn man nur will, findet man verträgliche Lösungen“, sagt Frau Taube. Die Treppen, die dem Torhaus schließlich hinzugefügt wurden, werden Besucher kaum bemerken, und Denkmalschützer werden sie nicht als Frevel empfinden.
Mehr als nur Dienst nach Vorschrift

„Als junge wissenschaftliche Assistentin hätte ich mir nie vorstellen können, dass aus der Festung das wird, was sie heute ist. Damals ging es um den puren Erhalt der Gebäude“, erinnert sie sich. Inzwischen hat das Sächsische Immobilien- und Baumanagement die Festung so saniert, dass Besucher in den Gebäuden erkennen, erfahren und erleben, was deren frühere Nutzung war. „Das zu erreichen, war immer meine Devise. Die Denkmalpflege ist uns ein wichtiger Partner, nie ein lästiges Übel.“ Prominenteste Beispiele sind das Brunnenhaus mit der Wasserförderung und die Friedrichsburg, in der schon August der Starke Feste gefeiert und seine Gäste mit der Maschinentafel beeindruckt hat. In der Friedrichsburg werden Ehen geschlossen. Und wer den Raum für eine private Feier mietet, wird die Verzauberung seiner Gäste erleben, wenn der Fußboden sich öffnet und die Festtafel mit brennenden Kerzen heraufgefahren kommt.

Für die Festung, die schon 1995 ohne staatliche Zuschüsse auskam, war das Jahr 2000 eins der erfolgreichsten. Angelika Taube, die 1991 Leiterin des Staatlichen Schlossbetriebes geworden war, musste sich nun in die Aufgaben als Geschäftsführerin der damals gegründeten gemeinnützigen GmbH einarbeiten. Achtzig Mitarbeiter hat die Festung in der Saison, etwa sechzig im Rest des Jahres.
Wie man ein Unternehmen führt, das hat die Historikerin im Alltag gelernt und dafür hat sie diverse Fortbildungen fit – „mit großer Freude, denn ich bin vielseitig interessiert“. Und als wären Bilanzrechnungen, kaufmännische Buchhaltung, Arbeitsrecht, Verhandlungsführung nicht genug, belegt sie privat an der Volkshochschule Kurse in Französisch und verbesserte ihr Englisch. Als Musikliebhaberin, die schon während des Studiums in Leipzig keine Operninszenierung verpasste, war sie glücklich, in den 90er-Jahren endlich ein Auto kaufen und abends von der Festung nach Dresden in die Semperoper fahren zu können.
Als die Besucherzahlen – in guten Jahren sind es mehr als eine halbe Million – nach der Jahrtausendwende absackten, holte sie einen Unternehmensberater ins Boot, der in ihrem Sinne auch vorschlug, die Sonderausstellungen noch attraktiver, publikumswirksamer zu inszenieren. Diese Ideen sind 2015 auch in die Gestaltung der neuen Dauerausstellung eingeflossen, die dreisprachig beschriftet ist und auch für Kinder ein Erlebnis.
Zum Forschen kam die Historikerin lange nicht mehr, in die Ausstellungsarbeit aber hat sie sich konsequent eingebracht. „Ohne meine kompetenten Kolleginnen und Kollegen wäre das alles nicht geworden, ihr Wissen und ihr Engagement sind unser größtes Kapital“, sagt die Chefin, die selten Dienst nach Vorschrift macht.
"Ich gehe mit zwei lachenden Augen"
Auch die Wochenenden mit Arbeit auf der oder für die Festung zu verbringen, war für die 65-Jährige kein Problem. Lange lebte sie allein. Kinder hat sie keine. Seit einigen Jahren ist sie verheiratet und wohnt nicht mehr auf dem Königstein. Wird sie loslassen können? „Aufdrängen werde ich mich nicht, aber die Festung ab und zu besuchen. Ich gehe mit zwei lachenden Augen in den Ruhestand. Das eine Auge sieht, was auf der Festung geworden ist und dass sie auch künftig gut geführt werden wird. Und das andere blickt auf meine neuen Freiheiten. Ich freue mich, Zeit für meinen Mann und unser Privatleben zu haben.“
Bis es Ende des Sommers so weit ist, arbeitet sie ihren Nachfolger ein. Das ist nicht üblich, aber: „Es war meine Bedingung!“ André Thieme ist wie sie Historiker, kennt Festung und Team aus der Zusammenarbeit mit den Staatlichen Schlössern, Burgen und Gärten in Sachsen, wo er bisher als Bereichsleiter Museen tätig war.
