Ein Dresdner Bühnenleben ist zu Ende

Von Rainer Kasselt
Seine Lieblingsrolle spielte Hanns-Jörn Weber im Ehekriegs-Drama „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“. Regisseur Klaus Dieter Kirst besetzt ihn 1989 im Dresdner Staatstheater mit der Rolle des Geschichtsprofessors George. Seine Frau Martha, hasserfüllt und verloren von Regina Jeske verkörpert, hält ihn für einen Versager, in Beruf und Bett. George schlägt zurück, enthüllt die Lebenslüge über einen gemeinsamen Sohn, den es nie gegeben hat.
Martha kann keine Kinder bekommen. „Das war so ein gebrochener, differenzierter Charakter“, schreibt Weber über den Akademiker. „Ich bin ja in meinem Leben sehr oft angeeckt, war oft spontan, da konnte ich mich in diesen zerrissenen Menschen gut hineinversetzen.“ Nachzulesen in der Broschüre „Gestaltung und Gestalten“ zum 100. Geburtstag des Schauspielhauses.
Am Mittwoch, dem 17. Februar, ist Hanns-Jörn Weber nach langer, schwerer Krankheit gestorben. Er wurde am 16. Dezember 1941 in Bromberg (Bydgoszcz) geboren, stammt aus einem Künstlerhaushalt. Der Vater Intendant und Schauspieler, die Mutter Opernsängerin. Das Studium an der Filmhochschule Babelsberg endet abrupt, „als Theaterkind wusste ich alles besser“. Weber nimmt privaten Unterricht, legt 1963 die Bühnenreifeprüfung ab. Erste Engagements in Quedlinburg, Schwerin und Magdeburg, dann Dresden.

Er ist auf dem Theater gefragt, im Film, im Fernsehen. Mehr als 40 Mal steht er vor der Kamera. So als Karl Marx im Episodenstück „Kopf und Herz“, Friedrich II. im TV-Mehrteiler „Johann Sebastian Bach“, Graf Watzdorf in „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“. Auch in Krimis der Reihen „Polizeiruf 110“ und „Tatort“ ist er oft zu sehen. Seine Leidenschaft aber gilt dem Theater. 37 Jahre lang, von 1970 bis 2007, gehört der vielschichtige Schauspieler Hanns-Jörn Weber dem Dresdner Staatsschauspiel an. Sein Einstieg ist Cassio in Shakespeares „Othello“.
"Die Lachtaube" und ihre Brigade-Kumpels
Über hundert Rollen folgen, so der Titelheld in Helmut Baierls Komödie „Lachtaube“. Wegen seines kuriosen Lachens wird Stahlwerker Rolf von seinen Brigade-Kumpels mit dem Spottnamen bedacht. Weber legt Lachtaube als sächselnden, dickköpfigen, mutigen Arbeiter an, der den Mund aufmacht, wenn es um bessere Arbeitsbedingungen geht, während andere schweigen.
Die Haltung ist Weber nah. 1982 vertraut ihm Regisseur Horst Schönemann die Königsrolle Philipp II. in Schillers „Don Karlos“ an, da ist Weber knapp über vierzig. Am nächsten Abend steht er als ungestümer, junger Tempelherr in Lessings „Nathan der Weise“ auf der Bühne. In solchen Situationen zeigt sich, welche Qualitäten in einem Darsteller stecken.

Einer der Höhepunkte von Webers Schauspielkunst wird 1985 die Gestaltung des lebensprallen Säufers Fondrak in Heiner Müllers lange verbotenem Stück „Die Umsiedlerin oder Das Leben auf dem Lande“. Die Aufsehen erregende Inszenierung von B. K. Tragelehn über die Kollektivierung kommt in Dresden zum ersten Mal wieder mit der Originalbezeichnung heraus, zwischenzeitlich hieß sie „Die Bauern“. Webers anarchistischer Fondrak wird auch überregional wahrgenommen.
Anspielungen auf das greise SED-Politbüro
In der 1989er-Uraufführung von Christoph Heins legendären „Die Ritter der Tafelrunde“ über das Scheitern von Utopien gibt Hanns-Jörn Weber den Ritter Parzival. Kirsts Inszenierung, wenige Monate vor der Wende vom standhaften Intendanten Gerhard Wolfram ermöglicht, wird von Kritikern und Zuschauern als Anspielung auf das greise SED-Politbüro verstanden.

Weber steht in der ersten Reihe, als die Kollegen im Herbst 89 aus ihren Rollen treten. Und meldet sich freiwillig als Ordner zu den Demonstrationen, um mitzuhelfen, dass die Losung „Keine Gewalt“ befolgt wird. Zu Webers wichtigen Inszenierungen der 90er-Jahre gehört die Rolle des Arnholm in Tobias Wellemeyers Ibsen-Aufführung „Die Frau am Meer“.
"In Dresden darf es keinen Platz für Neonazis geben"
Nach dem offiziellen Abschied kehrt er als Gast an das Staatsschauspiel zurück, spielt in Tellkamps „Der Turm“ und Hauptmanns „Die Ratten“. Vor allem setzt er seine 1997 begonnene Oldtimer-Busreise auf den Spuren des jüdischen Romanisten Victor Klemperer fort. Mehr als 200 berührende Touren, unvergesslich für alle, die dabei waren. Weber liest aus Klemperers Tagebüchern, stellt die Dresdner Lebens- und Leidensstationen des Gelehrten und seiner Frau vor.
So das „Judenhaus“ in der Caspar-David-Friedrich-Straße 15b, wo das Ehepaar zwangsweise eingewiesen wurde. Klemperer litt unter Park- und Konzertverbot, Bibliotheks-, Kino- und Telefonverbot. Er durfte kein Haustier besitzen, keine Wolldecke, keine Schreibmaschine. Am Ende der zweistündigen Fahrt klappt Hanns-Jörn Weber seine Textmappe zu. Wendet sich zu den Mitfahrenden: „Faschismus ist ein Verbrechen“, sagt er „in Dresden darf es keinen Platz für Neonazis geben“.