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Grönemeyer: „Ich halte Gendern für richtig und wichtig“

Mit seinem neuen Album „Das ist los“ taucht Herbert Grönemeyer sehr tanzbar aus langen Jahren der Isolation auf. Nun spricht "Gröni" von neuen Perspektiven, von Frauen und von Druck.

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Bestlaune mit Bär: Herbert Grönemeyer beim letzten Sachsen-Konzert vor der Pandemie 2019 im Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion.
Bestlaune mit Bär: Herbert Grönemeyer beim letzten Sachsen-Konzert vor der Pandemie 2019 im Dresdner Rudolf-Harbig-Stadion. © kairospress

Da sucht einer. Nach von Isolation und Krisen, selbst Krieg geprägten Jahren braucht es sicher keine einfachen Antworten, aber Perspektiven, Wege, Aufbruch. Herbert Grönemeyer sucht mit seiner Musik. Das Resultat geht gut ins Ohr, ist teils mächtig tanzbar. 13 Songs, ein für seine Verhältnisse langes Album, markieren den vielschichtigen Blick des Musikers auf zwischenmenschliche Gefühle und gesamtgesellschaftliche Nöte.

Der Titel wirkt wie ein Hinweis: „Das ist los“ erscheint an diesem Freitag. „So eine Zeit wie in den letzten drei Jahren habe ich mit 66 auch noch nie erlebt. Wir alle nicht“, sagt der Sänger. Die daraus resultierenden Fragen liefert er gleich mit: „Was schreibt man dann? Was ist da? Wie denkst du, wie fühlst du dich? Was hast du zu erzählen? Hast du überhaupt was zu erzählen? Wie geht es mit deinen Ängsten? Wie skeptisch bist du? Wie optimistisch bist du?“

Zwischen menschlichen Gefühlen und harten Realitäten

Kunst wie etwa Musik sei „schon auch dafür da, Ängste ernst zu nehmen und gleichzeitig aber auch eine Perspektive zu formulieren“. Dafür hat sich Grönemeyer zusammen mit Produzent Alex Silva in ein Haus nach Umbrien zurückgezogen. Er vergleicht es mit der Situation eines Malers: „Man sitzt zunächst wie vor einer weißen Leinwand.“ Aber dann. „Diese italienische Lebensart, so eine luftige Heiterkeit, das hat uns dann schnell dabei geholfen, den Einstieg zu finden.“

Die Songs markieren nun eine hügelige Landschaft zwischen menschlichen Gefühlen und harten Realitäten, vieles noch im Nebel, aber manche Perspektive ist schon zu erkennen. Die Klavierballade „Tau“ beschreibt Glück und Zweisamkeit: „Wir teilen die Kräfte auf“. Im Opener „Deine Hand“ singt Grönemeyer von Hoffnung, die „gerade so schwer zu finden“ sei. Aber da ist eben auch jemand, der ihn gibt, „den Halt, den ich so dringend brauch‘, um nicht zu brechen“.

Die erste Tour nach der Pandemie startet am 16. Mai.

Musikalisch lässt sich Grönemeyer durch seine Landschaften treiben. So wird das Album auch zu einer Zeitreise mit Anklängen früher Kraftwerk-Rhythmen („Herzhaft“), 80er-Rock („Genie“) oder 90er-Pop („Das ist los“). Treibende Beats („Oh Oh Oh“) wechseln sich ab mit Elektro- („Angstfrei“) oder Hiphop-Sounds („Turmhoch“). „Nicht umsonst tanzen alle Kulturen, tanzen Kinder, weil sie sofort merken, sie sind versetzt in eine völlig andere Stimmung“, sagt der Künstler.

Tanzen sei elementar, um sorglos zu werden, „ein wunderbares Vehikel, um einfach mal für eine Zeit den ganzen Müll aus dem Kopf zu kriegen“. Als Musiker beschreibt er „dieses irre Privileg“ für sich: „Ich gehe auf die Bühne, spiele ein Konzert und die Leute freuen sich daran. Ich kann das anschieben, dass die Leute sich in Bewegung versetzen.“ Die erste Tour nach langen Pandemie-Jahren startet am 16. Mai.

Eine neue Heimat für die Flüchtlinge

Dabei kann Grönemeyer mit „Der Schlüssel“ auch auf einen Song zu Migration und Flucht zurückgreifen. „Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl, Herkunft“, sagt er. „Aber natürlich ganz klar: Wo fühle ich mich geborgen und in welcher Gemeinschaft fühle ich mich geborgen? Das ist ein Heimatbegriff, der – wenn man den wirklich sehr behutsam benutzt – uns alle interessiert.“ Grönemeyer sieht viel von notwendiger Solidarität. „Leute versuchen hier, Flüchtlingen mit ihren Möglichkeiten eine neue Art von Heimat zu bieten. Wir sind eine starke Gemeinschaft, deswegen sind wir auch in der Lage, so vielen Menschen Schutz zu bieten.“

Starke Frauen bestimmen immer wieder Teile des Albums. „Das Aufbegehren der Frauen im Iran, Afghanistan und überhaupt weltweit seit einigen Jahren schüttelt uns andere richtig durch und ist wichtig: Wir erkennen enorme Kraft, eine bedingungslose Radikalität für weibliche und humanistische Themen und den Kampf für echte Freiheit und es wird Zeit, dass die überall gesehen wird und Dinge sich nachhaltig ändern“, sagt der Sänger. „Dafür braucht es auch das Gendern, denn es geht um alle Menschen, nicht nur die klar männlichen.“

„Die Aufregung ums Gendern verstehe ich nicht“

Generell sieht Grönemeyer die Notwendigkeit dieser umstrittenen sprachlichen Veränderung. „Die Aufregung ums Gendern verstehe ich nicht“, sagte der 66-Jährige. „Ich halte es für absolut richtig und wichtig, weil wir überhaupt erst mal begreifen, wie unsichtbar viele sind.“ Beim Gendern werden auch weibliche Formen eines Wortes berücksichtigt, etwa durch Nutzung beider Formen wie bei Musikerinnen und Musikern. Andere Möglichkeiten nutzen optische Markierungen, die sprachlich mit Pausen im Wort angedeutet werden (Musiker*innen).

Das Gendern mag mal ein bisschen komplex sein und holprig, aber das schmerzt ja nicht“, sagte Grönemeyer. Er verwies auf die Wirkung. „Durch dieses Holpern werden uns Dinge bewusst gemacht, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.“ „Ohne Druck keine Diamanten“ singt Grönemeyer in „Turmhoch“. „Der Druck für mich bei diesem Album war enorm hoch. Ich glaube, das ist auch das Drama des Alters, dass der gefühlte Druck immer höher wird. Also auch der Anspruch an einen selber.“ Erwartungen kommen allerdings auch von außen. Mit „Das ist los“ hat Grönemeyer sein 17. Studioalbum eingespielt. Bisher elf davon landeten auf Platz eins. (dpa)

Herbert Grönemeyer: Das ist los (Universal)