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Kunst im Exil: Durchs Goldene Tor von Kiew

Die aus der Ukraine nach Dresden geflohene Elena Korus fand in den Staatlichen Kunstsammlungen Arbeit - eine Serie von Sächsische.de.

Von Birgit Grimm
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© SZ/ Veit Hengst

Die Fotos aus dem Nationalen Kunstmuseum in Kiew erinnern an die Hochwassersituation in der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister vor 20 Jahren: Leere Wände. Gemälde stehen auf dem Boden, Skulpturen wurden verpackt, Mitarbeiter tragen Kunstwerke eine Treppe hinab. Das Museum beherbergt 12.000 Werke: Ikonen aus dem 13. Jahrhundert, Skulpturen und Gemälde des 19. und 20. Jahrhunderts, Bilder von Malern wie Ilja Repin, Ivan Shishkin, Dmitri Levitsky, Isaac Levitan, Skulpturen von Bildhauern wie Mark Antokolsky. Nach 1917 wurde die Privatsammlung des Kiewer Sammlers und Kunstmäzens Fjodor Tereschenko, die in seinem Herrenhaus aufbewahrt wurde, verstaatlicht und zum Grundstock eines staatlichen Museums gemacht.

Im 20. Jahrhundert war es bekannt als Kiewer Museum für russische Kunst. Nach dem Ausbruch des Krieges im Jahr 2014 wurde es umbenannt in Nationalmuseum Kiewer Kunstgalerie. Elena Korus hat die Fotos aus dem Museum in Kiew, in dem sie bis zum Kriegsbeginn arbeitete, nach Dresden mitgebracht. „Die Kunstwerke schützen zu müssen, war für uns keine neue Situation“, erzählt sie. „Schon 2014, als der Krieg im Osten der Ukraine begann, wurde die Frage der Erhaltung des künstlerischen Erbes zu einem Thema, und die Museen begannen, nach Möglichkeiten für den Transport und die Lagerung von Kunstwerken zu suchen.“

Man kann die Flucht auch ein riesiges Glück nennen

Im März verließ die junge Frau ihre Heimatstadt. Ihr Ehemann blieb dort, auch die Familie ihres Bruders. „Noch gehen die Männer ihrer normalen Arbeit nach, aber wenn die Armee sie braucht, werden sie kämpfen“, sagt Elena Korus und runzelt besorgt die Stirn. Man kann es Flucht nennen, weil sie ohne den Krieg nicht aus der Ukraine weggegangen wäre. Man kann es aber auch ein riesiges Glück nennen, das ihr in dieser schwierigen Zeit widerfuhr: „Einmal, als wir im Keller Schutz vor einem Luftangriff gesucht haben, bekam ich diese SMS, dass ich in Deutschland für ein Jahr eine Stelle an einem Museum bekommen könnte.“ Die Ernst-von-Siemens-Kunststiftung legte kurz nach Kriegsbeginn eine Förderung auf, mit deren Hilfe bereits 22 ukrainische Museumsmitarbeiterinnen und Kuratorinnen in Deutschland eine Stelle fanden.

Elena Korus ist Expertin für figürliches Porzellan und hat auf diesem Gebiet promoviert. An den SKD arbeitet sie sowohl in der Porzellansammlung als auch im Kunstgewerbemuseum. Sie unterstützt die Kollegen bei der Digitalisierung, fotografiert Kunstwerke, pflegt die Dateien in die Datenbank ein, lernt nach Feierabend Deutsch. Sie will Führungen durch die Museen für ihre Landsleute anbieten, hält Vorträge und schildert die Situation der Museen in ihrer Heimat. Während des Krieges eher überraschend: „Einige Museen sind zeitweise geöffnet, und die Menschen kommen, sie haben Sehnsucht nach Kultur“, sagt die junge Frau.

Richard Wilhelm schuf das Glasobjekt „Das große Tor von Kiew“ im Jahr 1984.
Richard Wilhelm schuf das Glasobjekt „Das große Tor von Kiew“ im Jahr 1984. © Kunstgewerbemuseum / SKD, Foto: Torsten-Pieter Röser

Ein Symbol für die Widerstandsfähigkeit der Stadt

Im Dresdner Kunstgewerbemuseum gibt es ein Glasobjekt, das das Interesse der Wissenschaftlerin auf besondere Weise weckte: Es ist „Das große Tor von Kiew“, eine Arbeit des aus Bautzen gebürtigen Glasmachers Richard Wilhelm. Lange stand es unbeachtet im Depot. Elena Korus hat es nun gemeinsam mit ihrer Kollegin Klara Nemečkova in die Ausstellung im Wasserpalais integriert. Richard Wilhelm hatte sich 1982 vom zehnten Satz aus Mussorgskis Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“ inspirieren lassen, „Das große Tor von Kiew“. In Magdeburg, wo viele baugebundene Glasobjekte realisiert wurden, ließ er es herstellen. 1984 gab das Ministerium für Kultur ein zweites Glasobjekt bei ihm in Auftrag, das schließlich dem Kunstgewerbemuseum übergeben wurde.

Wo sich Wilhelms erste Ausführung befindet, weiß auch der Künstler nicht. Im Herstellungsjahr 1982 feierte Kiew 1.500. Stadtjubiläum, und es wäre nicht unwahrscheinlich, wenn Wilhelms Arbeit damit im Zusammenhang stünde. Denn in jenem Jahr hatte man in Kiew die Rekonstruktion des „Goldenen Tores“ eingeweiht. Einst war es das befestigte Haupttor an der Stadtmauer. Heute ist es ein beliebter Treffpunkt und beherbergt ein Museum. „Es kann als Symbol für die Widerstandsfähigkeit und Unabhängigkeit der Stadt betrachtet werden“, meint die Kunstwissenschaftlerin.

Kaum war sie eingezogen, brannte im Haus der Dachstuhl

Elena Korus kann mit der Förderung der Ernst-von-Siemens-Kunststiftung maximal ein Jahr in Deutschland bleiben. Doch mit dem Bleiben läuft es nicht ganz so gut wie mit der Arbeit. Die 46-Jährige wohnte anfangs bei einer Kollegin aus den SKD. „Ich bin sehr dankbar für die großzügige Unterstützung“, sagt sie und erzählt, wie die Kolleginnen aus Porzellansammlung und Kunstgewerbemuseum ihr halfen, eine eigene kleine Wohnung zu finden, für sich und ihre Katze, die sie aus Kiew mitbrachte.

Doch kaum war sie eingezogen, brannte im Haus der Dachstuhl. Ihre Wohnung im Erdgeschoss wurde komplett unter Löschwasser gesetzt. „Als ich auf der Straße saß und die Löscharbeiten beobachtete, fragte mich ein Nachbar, ob ich jemanden kennen würde, der mich aufnehmen könnte. Ich hab ihn gar nicht verstanden, weil ich fest davon überzeugt war, in die Wohnung zurückzukönnen.“ Doch die Villa ist nun unbewohnbar. Einen Monat dauerte es, bis sie eine neue Wohnung fand.

Mein erster Monat in Deutschland war eine echte Therapie

Großartig findet sie, wie die SKD und andere deutsche Museen Flüchtlinge aus der Ukraine unterstützen und dass sie ihnen den kostenlosen Besuch der Sammlungen ermöglichen. „Mein erster Monat in Deutschland war eine echte Therapie und eine Gelegenheit, vom Krieg in ein anderes, friedliches Leben zu wechseln. Ich habe die Museen auf der Museumsinsel in Berlin und die Museen der SKD besucht.“

Beim Betrachten der Objekte fragt sich Elena Korus auch, welche Verluste die Museen hierzulande im Zweiten Weltkrieg und nach 1945 erlitten haben, als die Trophäenkommission der Roten Armee Museumsbestände in die Sowjetunion verbrachte. „Sollte man in den Ausstellungen nicht auch darauf verweisen?“