Kunst und Korrektheit - das passt nicht

Kilian Forster, Musiker und Intendant der Dresdner Jazztage, macht nicht nur mit musikalischen Aktion von sich reden. Als er im vergangenen Jahr dem umstrittenen Historiker, Publizisten und Verschwörungsideologen Daniele Ganser ein Podium gab, hagelte es Proteste. Andererseits gehörte dieser Vortrag zu den am besten besuchten Abenden der Jazztage. Forster setzt nun weiter auf kontrovers diskutierte Themen, entsprechende Veranstaltungen will er regelmäßig anbieten. Ein Gespräch über Zigeuner, Rassismus und die Folgen korrekter Kunst.
Herr Forster, am 27. Juni veranstalten Sie ein Konzert mit dem Titel „Zigeunerjazz & More“. Ist es eine bewusste Entscheidung, das so zu benennen?
In Absprache mit den Künstlern: Natürlich.Was hat Sie dazu veranlasst?Mir liegt die Kultur der Zigeunermusik und speziell das Erbe Django Reinhards sehr am Herzen. Joscho Stephan ist hier einer der herausragendsten Protagonisten des sogenannten Gypsy Swing und seit Langem Gast der Jazztage. Seit einigen Jahren schwelt nun aber die teils verbitterte Diskussion um das „Z-Wort“, wie es im Neusprech so schön heißt. 1984 war meine Gymnasialzeit und das gleichnamige Buch von G. Orwell Pflichtlektüre. Es hat mich unheimlich bewegt und ich möchte diese Dystopie nicht Realität werden lassen.
Was verbindet Sie persönlich mit dieser Art von Musik?
Noch zu meinen Zeiten als Solobassist der Dresdner Philharmonie hatte der damalige Intendant Olivier von Winterstein Roby Lakatos, den „König der Zigeunergeiger“, als Gastsolist eingeladen. Als ich sein Spiel, die Virtuosität, gepaart mit der Leichtigkeit und Spielfreude hörte, war ich hingerissen. Es war aufregend und normal zugleich, diese großartige Zigeunermusik zu hören. Niemand hatte sich darüber mokiert. Wohl, weil es genau so verstanden wurde und keine negative Konnotation besaß. Ich hatte damals die Ehre, mit Roby Lakatos als Gaststar das Philharmonische Jazzorchester zu leiten. Es gab gemeinsame Konzerte – und zu diesen eine Geschichte, die wir bis heute gerne erzählen –, die Roby fest mit Dresden verbindet. Da die Konzerte der Reihe „Dresdner Philharmoniker Anders“ ein sehr übersichtliches Budget hatten, wir aber unbedingt die Konzerte mit Roby Lakatos spielen wollten, der Weltruhm genoss und entsprechende Gagen erforderte, musste eine besondere Idee her. Wir erfuhren, dass Roby unbedingt einen Trabi besitzen und fahren wollte, und so haben wir ihm als Gage für die Konzerte einen Trabi besorgt. Roby fuhr dann mit dem Trabi von Dresden bis nach Brüssel. Seit damals besteht nun die starke Verbindung zu ihm und dieser wunderbaren Musik.

Sind Sie auf möglicherweise heftige Reaktionen eingestellt, die Ihre Genrebezeichnung auslösen könnte?
Ich habe das Grundvertrauen, dass die Freiheit der Kunst bei der Mehrheit nicht infrage steht. Nach den Angriffen im letzten Jahr bin ich aber nicht so naiv, zu glauben, dass Diffamierungen ausbleiben. Ich wünsche mir, dass jeder nach seiner Fasson argumentieren kann, ohne gleich in eine bestimmte Schublade gesteckt zu werden. Es wurden ja nach der ersten Hitze des Gefechts gute Argumente ausgetauscht.
Aber warum tun Sie sich das an?
Meinem Gerechtigkeitsgefühl widerstreben Verbote und Einschränkungen. Niemand darf gegen seinen Willen als Zigeuner oder Sinti oder Angehörige einer anderen kulturellen Gruppe bezeichnet werden. Als Schimpfwort und abwertende Stigmatisierung genutzt, verbietet sich jede Bezeichnung, egal, wie sie lauten mag. Aber wer sind wir, dass wir Zigeunern, die sich selbst als Zigeuner fühlen, so aufgewachsen sind und sich selbst als solche bezeichnen möchten, verbieten wollen, sich selbst so zu nennen? Da greift mein musikalischer Solidaritätsgedanke. Das kann nicht richtig sein.
Sie kennen selbst Menschen, die explizit "Zigeuner" genannt werden wollen?
Aber ja; Markus Reinhardt, selbst Sinti und Organisator des Zigeunerfestivals in Köln, sagt klar, dass er, wie viele andere auch, Zigeuner genannt werden möchte. Auch wenn die Sinti und Roma die größten Stämme sind, so gibt, darüber hinaus viele Stämme mit eigener Tradition und Kultur, die ebenfalls wertvoll und schützenswert sind. Zigeuner ist ein jahrhundertealter Sammelbegriff für das fahrende Volk und ist in der Kultur sehr positiv geprägt. Beim Versuch, die Kultur dieser Stämme und Traditionen vor negativen Anhaftungen zu schützen, darf deren Kultur selbst nicht infrage gestellt oder eingeschränkt werden. Und wenn es sich hier um Minderheiten handelt, erst recht nicht. Dann liegt hier ein besonderes Schutzbedürfnis vor und Solidarität ist notwendig.
Was halten Sie prinzipiell davon, aus Rücksichtnahme bestimmte Begriffe, die rassistisch empfunden werden können, zu ersetzen?
Man sollte das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Das gilt nicht nur beim Thema Rassismus. Jeder empfindet anders, hat unterschiedliche Blickwinkel und Perspektiven, und man kann sich mitunter leicht in die Opferrolle begeben. Ein seit zwei Jahrzehnten in Dresden lebender schwarzer Kollege hat sich über Rassismus in der Ausländerbehörde beschwert, weil sich die Einreisegenehmigung für seine Frau sehr lange hinzog. Als ich ihn darauf aufmerksam machte, dass seine Frau ja weiß ist und die Mühlen der Bürokratie für alle in diesem Land mitunter langsam mahlen, fühlte er plötzlich anders. Historische Kunstwerke wie Pipi Langstrumpf, Räuber Hotzenplotz oder der Zigeunerbaron dürfen nicht umgeschrieben oder umbenannt werden. Selbst wenn sie rassistisch wären. Das ist eine vom Autor nicht legitimierte Zensur. Und jeder Leser kann eigenverantwortlich sehen, wie in verschiedenen Zeitepochen gedacht und empfunden wurde.
Was erwidern Sie jemandem, der Ihnen dennoch für Ihre Wortwahl Rassismus unterstellt?
Ich habe eine sichere Stelle als Solobassist der Dresdner Philharmonie gegen die Selbstständigkeit als Musiker eingetauscht. Und zwar im Quintett, gemeinsam mit zwei wunderbaren kubanischen Mitmusikern meines Ensembles Klazz Brothers & Cuba Percussion, mit denen ich seit 20 Jahren gemeinsam musiziere. Wir schlagen Brücken zwischen Kulturen und verbinden Genres, die als unvereinbar galten. Europäische Klassik, traditionelle kubanische Musik, internationaler Jazz. Und die Jazztage Dresden sind darüber hinaus wohl das internationalste Festival in Dresden mit der größten Bandbreite an Künstlern aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen und musikalischen Traditionen. Musiker aller Kontinente teilen ihre Musik und damit ihre Tradition mit uns – egal welcher Hautfarbe, Ethnie, welchen Geschlechts.
Aber noch einmal: Wie erklären Sie Ihre ganz persönliche Haltung?
Ein Mann der Kultur und des Jazz kann doch kritisch gegenüber gesellschaftlichen und politischen Themen wie der Flüchtlingspolitik sein. Es darf und muss in der Gesellschaft immer unterschiedliche Meinungen und Lösungsvorschläge zu Problemen geben. Der Begriff des Rassismus wird jedoch zunehmend inflationär verwendet, vielleicht auch, um seine eigene perspektivisch gefühlte Identität zu schützen. Dies verengt und erschwert oft den Austausch und das notwendige Aufeinanderzugehen. Echte Rassisten kann man mittelfristig nur durch positive Beispiele und grenz- wie Kulturen-überschreitende Zusammenarbeit für Humanismus begeistern. Ich freue mich riesig, wenn ein Rassist, der etwa heimlich von einem Bluesalbum bewegt ist, damit beginnt, seine Ideologie zu überwinden.
Sollte sich aus Ihrer Sicht Kunst überhaupt an die Regeln der politischen Korrektheit halten?
Nein. Und das gilt nicht nur für Künstler.
Warum nicht?
Politik ist etwas für Diplomaten. Alle Menschen, auch Künstler, haben eigene Perspektiven und ihren Lebensrucksack an Erfahrungen, die einen oftmals anders handeln lassen, obwohl man oft dieselben Ziele hat und etwa eigene Kinder, Enkel, Träume und Wünsche. Kunst soll Anregungen geben. Sie darf sogar provozieren, muss Fragen aufwerfen. Musik hingegen kann gerade Gefühle erzeugen, die jeder aber auf seine eigene Weise rezipiert und transformiert. Die Antworten muss sich jeder selbst erarbeiten. Wenn diese unterschiedlich ausfallen, ist es ein gutes Werk.
Von strittigen Begriffen abgesehen, wird in der Kunst derzeit viel über kulturelle Aneignung diskutiert, darüber beispielsweise, ob Weiße Texte von Schwarzen übersetzen dürfen. Wie sehen Sie das?
Gefährlicher Bullshit. Sozusagen Biodünger für neue Gräben und Rassismus. Wir sind eine Menschheitsfamilie und keine Rasse ist intelligenter, empfindungsreicher, besser oder schlechter. Wir Menschen sind nur unterschiedlich gebildet, geliebt oder sozialisiert. Das kann man nicht auf Rassen projizieren. Wenn man den Übersetzungsgedanken weiterdenkt, dann dürften Schwarze auch nicht Mozart spielen oder Weiße keinen Blues. Manche dieser Weltverbesserer denken einfach nicht an die Konsequenzen, die ein Zuendedenken solcher Überlegungen bewirkt.
Schlägt sich das Ganze auf Ihre Arbeit als Musiker oder Jazztage-Intendant nieder?
Ja, denn die Jazztage sind inzwischen so bekannt geworden, dass die Privatmeinung oftmals als die Festivalmeinung angesehen wird. Wenn ich persönlich die Coronamaßnahmen für überzogen halte, dann hat das nichts damit zu tun, dass wir uns als Jazztage exakt nach dem genehmigten Hygienekonzept verhalten. Es ist inzwischen schwierig geworden, einfach eine andere Haltung als Meinungsvielfalt zu sehen, ohne dass man Empfindlichkeiten von teils lautstarken Randgruppen verletzt. So ist das Spontane, wovon gerade der Jazz auch lebt, oftmals in Gefahr, weil man sich sehr wohl überlegen muss, was man sagt und tut. Natürlich haben wir auch mehrfach überlegt, ob wir den Zigeunerabend auch so nennen. Aber irgendwie bin ich so gestrickt, dass, wenn mein Gerechtigkeitsgefühl verletzt wird, ich trotz aller Herausforderungen dann erst recht weitermache. Das ist das Paradoxon der Kritik. In der Sache kann man etwas ändern, aber wenn Kritik persönlich wird, dann erzeugt sie oft Trotzreaktionen. Das gilt für alle Seiten. Man darf Personen nie abwerten, sondern muss in der Sache ehrlich und transparent bleiben.
Können Sie dieser Debatte auch etwas Positives abgewinnen?
Verschiedene Perspektiven, Opposition und Widerspruch erzeugen Pluralität und sind die Grundessenzen demokratischer und humanistischer Gesellschaften. Diskurs muss also sein und sollte im besten Falle immer Reflexion auf beiden Seiten auslösen. Nur sollten Standpunktdebatten nie ideologisch geführt werden. Aber selbst diese Ideologen wollen Gutes erreichen und das ist der Ansatzpunkt, miteinander zu reden und zu versuchen, den anderen zu verstehen. Deswegen wird die Diskussion „Paprikabaron statt Zigeunerbaron“ spätestens zu den Jazztagen nachgeholt werden. Es hat mich auch inspiriert dazu, mit Markus Reinhardt in Dresden ein eigenes Zigeunermusikfestival zu planen.
Das Interview führte Andy Dallmann.
Unsere Serie:
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