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Wie ich mich vom Zwang befreite

In unserer neuen Serie "Kunstszene Ost" erzählen ostdeutsche Künstler über die Umbrüche in ihrem Leben: Teil 1: Die Malerin Christine Schlegel.

Von Birgit Grimm
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„An Ideen mangelt es mir nie. Keine Minute. Eher lähmt mich das Gefühl, im Atelier zu sehen, wie voll es ist“, sagt die 71-jährige Christine Schlegel. 200 ihrer Bilder sind noch in Berlin eingelagert.
„An Ideen mangelt es mir nie. Keine Minute. Eher lähmt mich das Gefühl, im Atelier zu sehen, wie voll es ist“, sagt die 71-jährige Christine Schlegel. 200 ihrer Bilder sind noch in Berlin eingelagert. © Thomas Kretschel

Im dem langfristig angelegten Interviewprojekt "Kunstszene Ost" berichten Malerinnen und Bildhauer, Grafikerinnen und Galeristen, Zeichner und Kunstvermittlerinnen, welche Wege sie gingen, um in der DDR kreativ und frei arbeiten zu können. Christine Schlegel erinnert sich, wie sie als junge Mutter in Dresden Kunst studierte, welche Freiheiten sie sich nahm und was sie A. R. Penck zu verdanken hat, der sechs Jahre vor ihr die DDR verlassen musste.

Frau Schlegel, Sie lebten 1989 in Westberlin. Wie haben Sie die Maueröffnung erlebt?

Am Tag vor der Maueröffnung war ich noch in New York. Als ich in Berlin ankam, war ich sehr müde. Und ich hatte nichts zu essen im Kühlschrank. In der Nacht riefen mich viele Freunde aus Ostberlin an und sagten: Wir stehen in Westberlin mit Sekt, komm doch rum! Aber ich kämpfte noch mit meinem Jetlag. Nur mit einer wichtigen Freundin, Willfriede Maaß, und unseren Kindern, feierten wir das große Ereignis. Am nächsten Morgen bin ich dann über den Winterfeldplatz gelaufen. Da kam mir ein Ehepaar entgegen, und die Frau sagte zu ihrem Mann: „Gugge ma, das ist bestimmt ooch so eene Drogensüchtige!“ Da wurde ich leicht panisch und dachte: Oh je, jetzt sind die, vor denen ich auch geflüchtet bin, wieder da. Nicht nur den Bonzen, Stasi-Mitarbeitern, sondern auch den Biedermännern und -frauen war ich mit der Ausreise entkommen.

Warum sind Sie in den Westen gegangen? Gab es einen Auslöser?

Ich hatte in Dresden mit Freunden, also mit Schauspielern, Schriftstellern und Musikern, die Gruppe SUM gegründet. Wir haben absurdes Theater gemacht. Ich drehte Filme, es war alles frei und wild und verrückt und hat mir viel Spaß gemacht. Aber innerhalb eines halben Jahres sind alle verschwunden und waren weg – im Westen. Ich war traurig, dass ich die Freunde verloren hatte, mit denen ich gemeinsam denken und fühlen konnte. Der Gedanke wegzugehen war mir aber schon viel eher gekommen. Der Fasching, den wir in der Dresdner Kunsthochschule nach der Biermann-Ausweisung 1976 gefeiert haben, wurde uns als Konterrevolution ausgelegt. Ich hatte das Gefühl, das geht gar nicht. Wenn so ein bisschen Spaß und Kritik als Konterrevolution angesehen werden, dann ist die Gefahr groß, dass ich im Knast lande wegen nichts.

Was war an diesem Karneval konterrevolutionär?

Gar nichts. Ein ganz ähnlicher Fasching fand in Leipzig statt, dafür hat sich kein Mensch interessiert. Aber der Dresdner Rektor Fritz Eisel hatte Kritik an unseren Bildern geübt. Die Assistenten und die Professorenkinder bekamen Eimer mit weißer Farbe und mussten unsere Bilder übermalen. Und dann holte er auch die Staatssicherheit wegen eines „Angriffs auf eine sozialistische Leiterpersönlichkeit“. Wir hatten ihn sehr klein auf einem Thron dargestellt, mit Fußrasten. Nach seiner Kritik malten wir ihn weg und dafür sein „Nuttentäschel“, also seine Handgelenktasche, hängend am Thron und ein Schild dazu: „Der Rektor ist in Indien“, weil er immer in den Westen fahren durfte. Das Geschehen eskalierte. Die Partei hat überreagiert, und die Stasi wurde einbezogen. Das Kulturministerium meinte allerdings, wenn an dieser Schule Konterrevolutionäre studieren, dann stimme etwas mit dem Lehrkörper nicht. Wir wurden wochenlang mit Rotlicht bestrahlt, aber nicht geext. Spätestens seitdem wurde ich von der Stasi überwacht. Eine Nachbarin hat über mich berichtet und auch mein damaliger Partner. Er war von der Stasi erpresst worden. Diese Zeit war für mich immer eine Mischung aus Angst und Verkrampfung. So wollte ich nicht leben.

"Totentanz" nennt Christine Schlegel dieses Gemälde, das sie 2020 malte. Es ist 180 mal 200 cm groß. Wie verloren stehen die Generationen beieinander vor apokalyptisch gefärbtem Himmel. Gitftgelb ist die Tröte des Sensenmanns, aber auch der spitze Hut des
"Totentanz" nennt Christine Schlegel dieses Gemälde, das sie 2020 malte. Es ist 180 mal 200 cm groß. Wie verloren stehen die Generationen beieinander vor apokalyptisch gefärbtem Himmel. Gitftgelb ist die Tröte des Sensenmanns, aber auch der spitze Hut des © Christine und Antonia Schlegel
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