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Lukas Rietzschel erhält den Sächsischen Literaturpreis

Vom SZ-Jugendredakteur zum gefeierten Schriftsteller: Der Görlitzer Lukas Rietzschel bekommt den mit 10.000 Euro dotierten Sächsischen Literaturpreis.

Von Karin Großmann
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Lukas Rietzschel
Lukas Rietzschel © Wolfgang Wittchen

Wer jetzt eine Schneeschippe braucht, hat schlechte Karten. So heißt es in einem Artikel, der am 23. Dezember 2010 in der Kamenzer Lokalausgabe der Sächsischen Zeitung stand. Der Verfasser war Lukas Rietzschel. Er schrieb nicht nur über winterliche Engpässe, sondern auch über ein Sommerfestival in Oberlichtenau, ein Kirchenkonzert in Elstra und die Suchtberatung der Diakonie. Am Lesertelefon kümmerte er sich um Fragen und Beschwerden von Einwohnern. In dieser Zeit gehörte er zu SZ-Jugendredaktion.

Jetzt, gut zehn Jahre später, erhält Lukas Rietzschel den Sächsischen Literaturpreis. Das gab der Sächsische Literaturrat am Montag bekannt. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und wird alle zwei Jahre vergeben, gestiftet vom Kulturministerium des Landes.

Sein Buch wird gerade verfilmt

Was mit Graswurzeljournalismus im besten Sinne begann, führte in erstaunlich kurzer Zeit auf die Höhen des Literaturolymps. Rietzschel hat das genaue Hinschauen und Zuhören gelernt und das Festhalten von Wirklichkeit. Der 28-Jährige kennt die Verwerfungen in der Provinz, über die er schreibt. Gleich sein erster Roman "Mit der Faust in die Welt schlagen" fand 2018 bundesweit Aufmerksamkeit, wurde auch in überregionalen Medien gefeiert und von mehreren Theatern auf die Bühne gebracht. Die Verfilmung läuft gerade.

Erzählt wird von Wendeverlierern und Rechtsradikalen in der Lausitz. Doch es könnte jede andere ländliche Gegend im Osten sein, wo mit den volkseigenen Betrieben nicht nur Tausende Arbeitsplätze abhandenkamen, sondern das soziale Netz drumherum zerriss mit Betriebspoliklinik, Kindergarten, Ferienheim, Kulturhaus, Sportclubs und Kunstzirkeln. Jetzt fährt der Bus alle paar Stunden und am Wochenende gar nicht. Das Internet kann die verloren gegangenen Strukturen nicht ersetzen, sagt Lukas Rietzschel.

Was das für die Menschen bedeutet, beschreibt er auch in seinem Theaterstück "Widerstand", das im Auftrag des Leipziger Schauspiels entstand, und in seinem jüngsten Roman "Raumfahrer". Der Autor porträtiert jene, die nicht mehr in der Vergangenheit wurzeln, aber auch nicht ankommen in der Gegenwart. Sie hängen in der Luft wie manche Figuren in den Bildern von Georg Baselitz. Der berühmte Maler und dessen Bruder spielen eine Rolle in diesem Buch. Die Vergangenheiten und Familiengeschichten werden geschickt miteinander verschachtelt.

Im Ortsverein der SPD

Lukas Rietzschel stammt aus Räckelwitz und wuchs in Kamenz auf. Er studierte an der Uni in Kassel Politikwissenschaft und Germanistik und an der Hochschule Görlitz/Zittau Kulturmanagement. In Görlitz, wo er heute lebt, engagiert er sich im Ortsverein der SPD. Im Unterschied zu vielen anderen Schriftstellern mischt er sich in Zeitungsbeiträgen und Diskussionsforen in politische Debatten ein. "Manchmal habe ich den Eindruck, dass mich die DDR-Vergangenheit mehr umtreibt als jene, die sie erlebt haben", sagt er im Gespräch für die Zeitschrift Ostragehege.

"Aber nur weil ich eine reflektierte politische Meinung habe, müssen meine Figuren die nicht auch haben. Ihnen kann ich all das unterjubeln, womit ich im Familien- und Freundeskreis vermutlich anecken würde. Alles, was ich an Ungerechtigkeiten erlebe oder als Blödsinn in der politischen Kultur empfinde, kann ich in meine Figuren stecken. Für mich ist die Kunst ein großartiges Medium, weil sie Zuspitzungen und Provokationen erlaubt."

Der Sächsische Literaturpreis wird im Herbst verliehen. Vielleicht sollte man den Schlagzeuger dazu einladen, der damals in Elstra trommelte. In der stockfinsteren Kirche seien seine leuchtenden Drumsticks wie Glühwürmchen durch die kalte Luft gewirbelt, schrieb Lukas Rietzschel 2011 in der Kamenzer SZ. Nächstes Jahr reist er als Stipendiat der Villa Aurora nach Los Angeles

  • Transparenzhinweis: SZ-Autorin Karin Großmann ist Mitglied in der Jury zum Sächsischen Literaturpreis.