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Max Herre bringt seinen Hip-Hop nach Dresden im Klassik-Gewand

Hip-Hop mit Streichern? Bei Sänger Max Herre geht das. Mit einem Kammermusik-Ensemble im Kulturpalast gibt er seine Hits wie "A-N-N-A" zum Besten.

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Als sanfter Hip-Hopper alleine oder mit Joy Denalane wurde Max Herre baknnt. Jetzt kommt er klassisch mit dem Ensemble von Mihalj „Miki“ Kekenj.
Als sanfter Hip-Hopper alleine oder mit Joy Denalane wurde Max Herre baknnt. Jetzt kommt er klassisch mit dem Ensemble von Mihalj „Miki“ Kekenj. ©  [M] dpa/ SZ

Bei Musikhörern der 90er tröpfelt es aus der Erinnerung – mit seinem Hit „A-N-N-A (immer wenn es regnet)“ wurde der Stuttgarter Rapper und Musikproduzent Max Herre im Jahr 1997 bekannt. Mit seiner Band Freundeskreis prägte er fortan den deutschsprachigen Hip-Hop maßgeblich mit. Längst liegen andere Genres im Trend. Und da kommt das Takeover! Ensemble von Mihalj „Miki“ Kekenj ins Spiel. Klassische Instrumente treffen hier auf alles, was bekannt und beliebt ist. Diverse Größen der Musikszene haben es bereits getan, nun ist Max Herre an der Reihe. Wir fragten die beiden, wie man Unvereinbares zusammenbringt und wie es ist, freiwillig Teil eines Experiments zu sein.

Herr Kekenj, Sie haben einen ungarischen Namen, die Geige ist ein typisch ungarisches Instrument. Sie sagten mal: In Ungarn ist die Geige oft nicht nur Hobby, sondern Arbeitsgerät für einen späteren Beruf. Das scheint ja alles ganz gut geklappt zu haben, oder?

Mihalj Kekenj: Die Stadt, aus der meine Eltern kommen, liegt im heutigen Serbien, war aber mal ungarisch. Ich bin also eigentlich ursprünglich Ungar. An meinem Namen sieht man aber: Er ist nicht ganz konsequent Ungarisch geschrieben. Geige spiele ich schon seit der Kindheit. Nach meinem Abitur waren das bereits 14 Jahre, und das sollte letztendlich auch nicht umsonst gewesen sein. Damals sagte ich mir: Okay, dann studiere ich eben Musik und schaue mal, was passiert. Inzwischen bin ich ganz froh über diese Entscheidung. Insofern ist dieses „Arbeitsgerät“ wirklich etwas ganz Normales geworden.

Zu den Wurzeln Ihres Takeover-Projektes: Als Teenager standen Sie auf dem Skateboard, haben Hip-Hop gehört. Inwieweit war das eine Form von Protest gegenüber Ihren klassischen Musik-Wurzeln?

Kekenj: Eigentlich ging es nicht direkt um Protest. Ich war eher immer schon jemand, der über seinen eigenen Tellerrand hinausschauen wollte. Mit 14, 15 habe den Hip-Hop kennengelernt und neue Freunde, mit denen ich meine erste Band gegründet habe. Schon damals habe ich versucht, die Klassik mit dem Hip-Hop zu verbinden. Und das hat sich aber über die Jahre immer weiterentwickelt. So entstand irgendwann dieser Kompromiss, sich andere Musikrichtungen zu erschließen, aber eben aus der Sicht der Klassik. Und über dieses „Einverleiben“, das „Kapern“ anderer Genres, kam es dann schließlich zur Gründung des „Takeover! Ensembles“. Es ist eine gemeinsame Reise zwischen Musikwelten, aber eben inspiriert von der klassischen Tonsprache. Vor gut anderthalb Jahren haben wir dann Max Herre angefragt, nachdem wir auch schon mit seiner wunderbaren Frau Joy Denalane des Öfteren zusammengearbeitet hatten. Er kannte also unsere Arbeit, und so kam eins zum anderen.

Max Herre, wie einfach oder schwierig war es, sich für das Projekt Takeover zu entscheiden? Man sitzt da ja als Hip-Hopper quasi als Fremdkörper mitten in einem Streicherensemble.

Max Herre: Die Antwort war für mich sehr einfach. Zumal ich Mikis Arbeit schon seit vielen Jahren kenne und damit auch wusste, worauf ich mich einlasse: auf Mikis Adaptionen und Neu-Kompositionen meines Repertoires der letzten 25 Jahre. Dass er meine Musik sozusagen „kapert“ und in seine Klangwelt überführt. Man rückt also definitiv ein Stück ab von der eigenen künstlerischen Praxis, auch davon, alles kontrollieren zu wollen. „Takeover“ bedeutet ja auch: Jetzt mach du mal, übernimm das Ruder. Man stellt sich also auch als Frontperson in den Dienst der gemeinsamen Sache.

Wie andersartig ist diese Live-Situation, im Gegensatz zu einem Konzert mit einer Band beispielsweise?

Herre: Schon sehr anders. Das Ganze ist viel fragiler. Ich habe mit meinem letzten Album „Athen“ zwar auch schon vor Sitzpublikum gespielt, aber schon in der Hoffnung, dass spätestens beim dritten Lied die Leute stehen oder tanzen. Das bleibt bei „Takeover“, einem Konzert im klassischen Rahmen, aus. Weil sowohl Publikum als auch Musiker sich viel mehr aufs Hören konzentrieren. Die Aufgabe für mich ist auf der Bühne weniger die Rolle als MC, als Master of Ceremony, die Zuschauer zu animieren, sondern es geht wirklich darum, sehr nah am Ensemble und den eigenen Song-Geschichten zu bleiben und die Texte mit dieser neuen Musik zu transportieren.

Kekenj: Ein großer Unterschied zu einem Pop-, Rap- oder Hip-Hop-Konzert ist auch, dass das Publikum nicht nur sitzt, sondern während des ganzen Konzertes mucksmäuschenstill ist und sich voll auf das Bühnengeschehen konzentriert. Es ist schon vorgekommen, dass so mancher Künstler mit dieser neuen Situation erst einmal überfordert war. Dazwischen wird natürlich auch geplaudert und das Ganze aufgelockert. Aber während der Stücke findet wirklich eine sehr konzentrierte Performance statt, das ist etwas Besonderes.

Herre: Ja, das ist der eine große Unterschied. Der andere ist, gerade in unserem spezifischen Fall, dass Miki meine Musik umgeschrieben hat, für ein Ensemble ohne Schlagwerk, also ohne ein tragendes rhythmisches Konzept. Das heißt: Sowohl das Ensemble als auch ich als taktgebender Vokalist müssen die Musik auch rhythmisch navigieren. Und das ist schon eine sehr andere Aufgabe als die, die wir sonst auf der Bühne haben, wo unsere Musik sehr stark auf einem festen rhythmischen Fundament steht, auf dem ich mich bewege. Bei „Takeover“ müssen wir aufeinander reagieren, das Klanggebilde im Takt halten.

Dieses „coole“ Element des Hip-Hop-Schlagwerks fehlt Ihnen nicht?

Herre: Es fehlt insofern nicht, als dass andere Sachen in den Vordergrund treten, das Ensemble, der Text, die gemeinsame Performance – das alles nimmt viel mehr Raum ein. Wenn also dieser typische Hip-Hop-Beat einmal wegfällt, dann kommen plötzlich ganz andere Elemente zum Tragen. Und so hat es Miki auch konzipiert, diese Klangräume in den Fokus zu stellen, die sonst in meinem Genre nicht so eine große Bedeutung haben.

Was sagen die Hip-Hop-Puristen zum neuen Sound? Macht man sich damit auch Feinde? Oder spielen Gedanken über die „traditionelle“ Hip-Hop-Welt keine Rolle?

Herre: Ich glaube, dass wir uns dieser Art von Feinden schon vor 25 Jahren entledigt haben. Feinde gibt es natürlich immer. Aber es steht ja jedem frei, zu so einem Konzert zu kommen oder nicht. Das ist ja das Schöne. Ich glaube die Leute, die zum Konzert kommen, sind alle aufgeschlossen und der Sache erstmal freundlich gesonnen. Vor allem sind neugierig auf Hip-Hop mit Kammerorchester.

Kekenj: Es kommen ganz unterschiedliche Leute, Leute aus dem klassischen Kontext, vielleicht auch Karten-Abo-Besitzer, die schauen und sich fragen: Was öffnet sich hier gerade in Richtung populäre Musik? Um umgekehrt ist sich das Publikum aus anderen musikalischen Umfeldern sehr bewusst darüber, dass sie mit Mikis „Takeover“ keine klassische Boom-Hip-Hop-Show bekommen.

Könnte man sogar sagen, dass beim „Takeover“ eine ganz neue Art von Publikum entsteht?

Kekenj: Ja, das ist letztendlich ein positiver Nebeneffekt, wenn man vermeintlich gegensätzliche Genres zusammenbringt, dass Leute zusammenkommen, die in einem anderen Kontext so nicht zusammengefunden hätten. Wenn unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen, dann entsteht ja meistens eine neue Energie. Ob man sich jetzt dadurch eine ganz neue Art von Publikum erschließt, kann ich nicht genau sagen, weil wir ja auch keinen expliziten Bildungsauftrag haben. Aber ich denke schon, dass wir auf diese Art ein neues Zielpublikum für eine Philharmonie oder klassische Ensembles erschließen können, Leute, die vielleicht von alleine nicht in diesen Konzertsaal gefunden hätten.

Wie weit kann man gehen mit „Takeover“? Würde auch eine Mischung aus Punkrock und Klassik funktionieren?

Kekenj: Denkbar ist alles. Ich habe mir über Punkrock, Heavy Metal und alles möglich schon Gedanken gemacht. Also klar, warum nicht? Für mich ist nur wichtig, dass die Künstler, auf die ich treffe, das Ganze mit Liebe und ganz viel Leidenschaft betreiben. Dann ist nahezu jede Kombination möglich. Ich denke, man kann mit fast allen Genres eine überzeugende Symbiose bilden. Wenn die Menschen auf der Bühne harmonieren, dann ist das im Grunde egal.

Das Interview führte Tom Vörös.

Max Herre und Mikis Takeover! Ensemble spielen am 21. August im Kulturpalast Dresden.