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Neues Buch zur "Antifa"-Geschichte

Vor 100 Jahren begann die Geschichte des Antifaschismus. Im Rückblick zeigt sich: Dessen genauere Deutung ist stets auch abhängig vom Gesellschaftsklima.

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Solche allgemeine Aussagen wie hier auf einer Demo in Leipzig sind zwar zackig, aber letztlich wenig hilfreich. Es kommt immer darauf an, was genau man mit "Antifaschismus" meint.
Solche allgemeine Aussagen wie hier auf einer Demo in Leipzig sind zwar zackig, aber letztlich wenig hilfreich. Es kommt immer darauf an, was genau man mit "Antifaschismus" meint. © xcitepress/lpk

Von Karl Adam

Wer oder was ist die Antifa? Eine linke Terrorgruppe oder ein rechtes Drohgemälde? Ein zivilgesellschaftliches Aufklärungsnetzwerk oder eine verfassungsfeindliche Vereinigung? Bei der Lektüre des vorzüglich geschriebenen "Porträts einer linksradikalen Bewegung", das der Zeithistoriker Richard Rohrmoser jetzt vorlegt, wird schnell deutlich, dass es "die" Antifa gar nicht gibt. Vielmehr handelt es sich um ein lockeres Bündnis oftmals lokaler Initiativen mit unterschiedlichen Ausprägungen. Die sind charakterisiert durch ein oft vibrierendes Spannungsverhältnis zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement auf der einen Seite und Gewaltbereitschaft auf der anderene.

Das Erbe des Antifaschismus

Dieses Spannungsverhältnis führt zu allerlei Konflikten und Abgrenzungsschwierigkeiten. Im Selbstbild setzen sich aktive Antifaschisten, so Rohrmoser, "bei kritischer Einstellung gegenüber Politik und Gesellschaft (…) für humanistische Grundwerte wie Freiheit, Gleichheit, Gleichwertigkeit und Gerechtigkeit sowie für demokratische und soziale Rechte für alle Menschen ein." Dieser humanistische Grundimpuls führte beispielsweise in der Corona-Pandemie zu einer klaren Bejahung der getroffenen Eindämmungsmaßnahmen. Dem gegenüber stehen jedoch immer wieder Gewaltakte wie in Leipzig 2019 oder in Hamburg 2017. Und auch in der Pandemie schoss man über das Ziel hinaus, indem – wie in Berlin geschehen – eigenmächtig Maskenkontrollen in der U-Bahn durchgeführt wurden.

Zuletzt geriet Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in die Kritik, weil sie im Juni 2021 einen Text in der Zeitschrift "antifa", einem Periodikum der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten" (VVN-BdA), veröffentlicht hatte. "Auf dem linken Auge blind?", lautete hier die Kritik.

Doch warum ist "Antifaschismus" in der Bundesrepublik überhaupt umstritten? Sollte die Gegnerschaft gegen Faschismus aller Art nicht vielmehr – wie zumindest offiziell in der ehemaligen DDR – Staatsräson sein? Um das zu beantworten, geht Rohrmoser in seinem Buch zurück zur Spaltung der politischen Linken zu Zeiten der Weimarer Republik. Es sind diese Abschnitte im Buch, die möglicherweise etwas ausführlich geraten sind und wie eine allgemeine Geschichte Deutschlands anmuten, andererseits als Referenzrahmen der späteren Antifa-Bewegung ihre Bedeutung haben. Die diskursive Vergiftung des "Antifaschismus"-Begriffs am Ende Weimars ist es, die etwa den Historiker Jan C. Behrends von einem "Produkt aus der Giftküche des Stalinismus" sprechen lässt. Laut "Sozialfaschismus"-These handelte es sich bei der Sozialdemokratie lediglich um den "linken Flügel" des Faschismus.

Nicht zuletzt hierher rührt das ambivalente Erbe des Antifaschismus, das sich bis heute durchzieht. Nicht umsonst bestand in der SPD bis ins Jahr 2010 ein Unvereinbarkeitsbeschluss mit dem VVN-BdA; wegen erkennbarer kommunistischer Unterwanderung des Vereins, der einst von Überlebenden des Holocaust und von Persönlichkeiten wie unter anderem Konrad Adenauer gegründet worden war.

Nach KPD, DKP und anderen kommunistischen Gründungen in der Bundesrepublik, fand die Entstehung erster "autonomer" Antifa-Gruppen Ende der 1970er-Jahre statt. Rohrmoser leitet faktengesättigt durch das Dickicht der verschiedenen Gruppen und Aufspaltungen, so etwa der migrantischen "Antifaşist Gençlik", der feministischen "Fantifas" oder der neugegründeten "Edelweißpiraten". Wir verfolgen die Entwicklungen in den 1990er-Jahren vom "Cultural Turn", der Verlagerung des politischen Kampfes in die kulturelle Sphäre, bis hin zur Spaltung der linksradikalen Bewegung in den 2000er-Jahren in pro-israelische "Antideutsche" und pro-palästinensische "Antiimperialisten". Richard Rohrmoser beschränkt sich dabei nicht auf die Beschreibung der einzelnen Gruppen. Vielmehr zeigt er auch das gesellschaftliche Klima, in dem Linksradikalismus gedeihen konnte: Es sind insbesondere die pogromartigen Gewaltausschreitungen gegen "Ausländer", die mit den Städtenamen Rostock, Solingen und Mölln assoziiert sind, die Misstrauen in die staatliche Bekämpfung des Rechtsradikalismus plausibel machten und heute mit den Stichworten "NSU", "Halle", "Hanau" und "Lübke-Mord" ihre Fortsetzung finden.

Vorreiter für Integration von "Gästen"

Deutlich wird dabei ebenfalls, dass der Antifa ein ums andere Mal eine gesellschaftliche Vorreiterrolle zukam: In einer Zeit, in der die Regierung Kohl noch daran festhielt, Deutschland sei kein Einwanderungsland, erklärte die Antifaşist Gençlik: "Es muss begriffen werden, dass wir (…) keine "Gäste" oder "Ausländer", sondern Angehörige dieser Gesellschaft sind." Und auch der zentrale Referenzpunkt der feministischen Fantifa-Gruppen, die Theorie der "Triple Oppression", der dreifachen Unterdrückung in Form von "Rassismus, Kapitalismus und Sexismus", ist heute unter dem Stichwort "Intersektionalität" verbreiteter Teil des politischen Diskurses. Rohrmoser unterstreicht zudem immer wieder die Verdienste der Antifa bei der Aufklärung rechtsextremer Verbrechen und spricht in diesem Zusammenhang von einem regelrechten "Fahndungsantifaschismus". Informationen über rechtsradikale Netzwerke, die oftmals eben nicht die eigentlich zuständigen staatlichen Stellen, sondern linke Aktivisten zusammentragen, werden gerne auch von Journalisten für ihre Recherchen genutzt. Das wiederum ließ CDU-Rechtsaußen Hans-Georg Maaßen im letzten Bundestagswahlkampf an der "Verfassungstreue" vieler Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zweifeln.

Richard Rohrmosers Buch ist in einem Geist kritischer Sympathie geschrieben. Die Antifa-Bewegung versuche, "als normative Korrektivkraft staatlichen und institutionellen Defiziten bei der Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus durch eigenständiges Engagement entgegenzuwirken." Doch der Autor verklärt nicht und verschweigt auch nicht die Schattenseiten; weder die gelegentlich haarsträubenden programmatischen Ansätze, noch den zentralen Kritikpunkt an vielen autonomen Antifa-Gruppierungen: die ungeklärte Gewaltfrage.

  • Richard Rohrmoser: Antifa. Porträt einer linksradikalen Bewegung. Von den 1920er -Jahren bis heute, C. H. Beck Paperback, 208 Seiten, 16 €.