Paul McCartney als Fotograf: Eine Bilder-Zeitreise mit den Beatles

Dass er singen kann und Songs schreiben für die Ewigkeit, das war ja klar. Auch an den Instrumenten ist er ein Meister, vor allem am Bass, mit dem er so viele Beatles-Songs geerdet hat. Aber die Kamera?
Ein Bildband ist jetzt neu erschienen, mit Fotos, die Paul McCartney selbst gemacht hat, damals, in der guten alten Zeit – da erwartet man erst mal eine Sammlung von mehr oder weniger gelungenen Schnappschüssen eines Hobbyfotografen von seinen berühmten Bandkollegen. Doch je länger man in diesem Band blättert, desto mehr gehen einem die Augen auf. Als wär’s so genial wie ein bislang unentdecktes Beatles-Album.
Knapp 1.000 Fotos, die McCartney in den Jahren 1963 und 1964 mit seiner 35-Millimeter-Kamera der Marke Pentax aufgenommen hat, tauchten erst im Jahr 2020 in seinem Archiv wieder auf. Aus einer Auswahl dieser Sammlung ist jetzt der Fotoband „1964 - Augen des Sturms“ entstanden, den McCartney selbst zusammengestellt und herausgegeben hat.

Der Musiker gibt sich im Vorwort bescheiden: „Ich bin ein begeisterter Gelegenheitsfotograf, der zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort war.“ Das als britisches Understatement zu bezeichnen, wäre wohl doppelt untertrieben. Tatsächlich zeigt sich Seite für Seite, Bild für Bild, dass der berühmte Beatles-Musiker nicht nur mit Blende und Belichtungszeit umzugehen weiß, sondern dass er einen talentierten Blick für wirklich gute Bilder hat.

Es war ja noch die Zeit, als man sich jedes Foto gut überlegen musste, denn irgendwann war die Filmrolle zu Ende, und dann wurde sie erst mal entwickelt. Motivauswahl, Bildausschnitt, Lichtverhältnisse, Perspektive – all das musste man sich gut überlegen, bevor man auf den Auslöser drückte. Anders als bei der Digitalkamera gab es keine zig Versuche, bis das Bild stimmte. Umso beeindruckender ist, wie professionell McCartney offenbar mit seiner Pentax experimentierte. Natürlich hatte er den Vorteil, dass er so nah dran war an einer der legendärsten Bands der Welt wie sonst kein Fotograf. Aber was er daraus gemacht hat, ist sagenhaft.
Vor allem die vielen Porträt-Aufnahmen von John Lennon, Ringo Starr und George Harrison vermitteln nicht bloß räumliche Nähe, sondern blicken oft auch hinter die Gesichter. Das gelingt in dieser Qualität sonst nur erfahrenen Fotografen. Man sieht die Pilzköpfe hier zwar auch strahlend und posierend, wie man sie kennt, aber ebenso oft auch nachdenklich, müde, gelangweilt, ratlos, geistesabwesend – wie das Leben eben so spielt, auch für Superstars.

Aber nicht nur die Band hat McCartney fotografiert, auch das Drumherum, all das, was sie bei ihren Reisen nach London, Paris, New York, Washington und Miami zu sehen bekamen. Dabei zeigte der Superstar auch ein besonderes Interesse für die gewöhnlichen Menschen, denen sie begegneten: einen Mann mit Schaufel vor einem Güterwaggon, weiß gekleidete Flugzeugmechaniker am Flughafen. „Das sind meine Leute“, schreibt McCartney. „Da komme ich her. Ich bin in einer Arbeiterfamilie in Liverpool aufgewachsen und fühlte mich solchen Menschen immer verbunden.“
Ein beliebtes Motiv waren für ihn auch die Journalisten und Fotografen, die ständig hinter den Beatles her waren. „Jahrelang wurden wir als The Beatles fotografiert und plötzlich konnten wir zurückfotografieren“, schreibt McCartney, „einigen dieser Aufnahmen haftet auch ein Moment spielerischer Vergeltung an.“ Zugleich gibt er zu, wie sehr seine Achtung vor den Fotografen im Umfeld der Beatles wächst, wenn er die Bilder heute betrachtet. Denn die Reporter mussten ihre Bilder unter oft irrsinnigen Bedingungen machen, zwischen kreischenden Fans und unter enormem Zeitdruck.

An anderer Stelle im Buch sinniert McCartney über das künstlerische Moment in der Musik und beim Fotografieren: „Wir erzählten unsere Geschichten mit unseren Instrumenten. Auf dieselbe Weise habe ich wohl auch die Kamera verwendet, total frei.“ Dabei habe er sich auch an berühmten Fotografen wie Henri Cartier-Bresson orientiert. Für den 81-Jährigen gibt es sogar Ähnlichkeiten zwischen dieser traditionellen Form der Fotografie und dem Aufnahmeprozess im Musikstudio: „Heutzutage gehen manche Leute ohne Song ins Studio, ohne Vorstellung davon, was sie machen wollen.“ Eben so, wie heute viele mit dem Handy fotografieren, gedankenlos.
Nach McCartneys Erfahrung sei es aber wichtig – bei Songs wie bei Fotos –, dass man erst mal eine Idee hat und dann daraus etwas macht. So entsteht Kunst. Und noch viel mehr: „Die Kraft und die Liebe zu sehen, das Staunen über das, was wir erlebt haben, das diese Fotos einfangen, darum geht es“, so McCartney. „Das ist es, was das Leben so großartig macht.“
Paul McCartney: 1964 – Augen des Sturms. Fotografien und Betrachtungen. Verlag C. H. Beck. 335 S., durchgehend bebildert, 49,90 Euro.