Turbulenzen beim Dresdner Palais-Sommer

Dresden. Der Dresdner Palais-Sommer ist eine erstaunliche Erfolgsgeschichte. Sein Konzept lässt sich mit „Kultur und Bildung für alle und zum Nulltarif“ umschreiben und hat der Veranstaltung von Jahr zu Jahr mehr Freunde und Fans sowie ein stetig wachsendes Programm beschert.
Jeden Sommer kamen Zehntausende an die Elbe hinter das Japanische Palais, machten Yoga, nahmen an Mal-Workshops teil, sahen Filme, hörten Konzerte und lauschten Hörspielen, Vorträgen und Podiumsdiskussionen zu aktuellen Themen. Eintritt wurde nicht erhoben, das Kulturfestival sollte sich nach dem Wunsch von Gründervater Jörg Polenz allein durch Sponsoring, einen Freundeskreis und Spenden der Besucher finanzieren, was offenbar auch gelang.
In diesem Jahr sollte mit der „Palais-Akademie“ ein weiterer Programmpunkt hinzukommen und das Bildungsangebot ausgebaut werden. 14 einstündige Vorträge waren geplant, die Themen reichten von Gesundheit und Bildung über Esoterik und Politik bis zu Kunst und Philosophie. Doch wer sich genauer darüber informieren will, schaut inzwischen ins Leere: Das Programm der Bildungs.Akademie ist von den Internetseiten des Palais-Sommers verschwunden – es wurde wieder abgesagt.
"Eine extremistische und verzerrende öffentliche Meinung "
Zur Begründung sagte der Palais-Sommer-Gründer Jörg Polenz: „Es herrscht im Moment offenbar eine derartige Erschöpfung und eine so emotionale Grundstimmung in der Gesellschaft, dass ein respektvoller und wertschätzender Umgang mit kontroversen Themen leider wohl nicht möglich ist.“ Man habe daher beschlossen, weder die Bildungs.Akademie noch Palais.Gespräche durchzuführen.
„Der Grundgedanke des Palais-Sommers ist ja Entschleunigung, Entspannung, Kultur und das Zueinanderbringen von Menschen. Das scheint vielen momentan sogar noch wichtiger zu sein denn je. Deswegen denke ich, jetzt müssen nicht auch noch wir diesen allgegenwärtigen Streit auf die Bühne bringen.“
Zuvor hatte das Mittun einiger Referenten der Bildungs-Akademie andere Vortragende zur Absage bewogen. Als Erste hatte kurz nach Bekanntwerden des Programms die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Marion Ackermann, ihren Vortrag „Die Brücken der Kultur werden zuletzt gesprengt“ zurückgezogen.
Ähnlich Stellung bezog der ebenfalls eingeplante Chemiker Jens Gaitzsch von der TU Dresden: „Von den Corona-Wissenschaftsleugnern im Programm distanziere ich mich ausdrücklich. Ich möchte denen aber auch nicht das Feld überlassen.“
Konkreter wird Anika Jankowski: „Ich schätze das Konzept des Palais Sommers sehr, auch die Idee der Palais Akademie ist wundervoll“, so die Dresdner Musikmanagerin. „Leider wurden einige Podiumsgäste eingeladen, die in meinen Augen eine extremistische und verzerrende öffentliche Meinung vertreten, die in keinster Weise zu einem demokratischen Diskurs beiträgt.“ Mit diesem Meinungsbild „möchte ich mir keine Bühne teilen und sehe deshalb von meinem eigenen Vortrag ab“.
"Psychologischer Krieg gegen die Bevölkerung"
Die Vorgänge haben eine Vorgeschichte. Schon in der Vergangenheit waren einige Grenzgänger und -überschreiter des faktisch und wissenschaftlich Seriösen zu Gast beim Palais-Sommer gewesen. Aber noch nie so viele, wie für dieses Jahr geplant waren. Fünf von ihnen gehören entweder eindeutig dem Milieu der Verschwörungsideologen an oder neigen solchen teilweise zu, sie sind vernetzt im „Querdenker“-Milieu, publizieren im einschlägigen Alternativen Medium rubikon.news oder auf der ähnlich ausgerichteten Verschwörungs-, Fake- und Hetz-Plattform KenFM von Ken Jebsen.
Ein alter Bekannter des Festivals ist etwa Rainer Mausfeld, emeritierter Psychologie-Professor und Autor des Buches „Das Schweigen der Lämmer“. Darin behauptet er, „eine privat finanzierte sogenannte Indoktrinationsindustrie“ würde einen psychologischen Krieg gegen die Bevölkerung führen. Seiner Ansicht nach manipulieren Medien, Stiftungen, Thinktanks und Lobbygruppen den Menschen an seiner schwächsten Stelle: dem Unterbewusstsein. Auch Rainer Mausfeld neigt dazu, unser System als „totalitär“ und „die Medien“ als dessen Helfer zu bezeichnen, was sich gerade in der Corona-Krise deutlich zeige.
Krisenmaßnahmen gleichen Repressalien und Gewaltakten
Ebenfalls im Akademie-Programm und schon 2018 Gast beim Palais-Sommer war Ernst Wolff, ein Buch-Autor und Verschwörungsideologe. Per Video behauptet Wolff zum Beispiel, eine „Finanzelite“ habe Corona absichtlich verbreitet, um die Welt ins Chaos zu stürzen. Das Synonym „Finanzelite“ für „Juden“ könnte er womöglich nicht zufällig benutzt haben: Ernst Wolff war unlängst Gast bei der „Anti-Zensur-Koalition“ des Schweizer Sektenführers Ivo Sasek, der über seine „Organische Christus-Generation“ antisemitische Verschwörungstheorien und esoterische Lebenshilfe vermischt und verbreitet.
Die für Dresden geplante Referentin Karolin Ahrens ist Juristin und häufige Gastautorin bei KenFM und Rubikon. Ihr Vortrag heißt „Der übergriffige Staat“ und basiert wohl auf einem gleichnamigen Text für Rubikon. Darin heißt es etwa: „Seit 2020 verbieten sie (die Regierung, d. Red.) uns, Geschäfte zu betreten, ohne die untere Gesichtshälfte mit einem Stück Stoff zu verdecken, das uns zur Selbstvergiftung zwingt ... Als ,Schutzmaßnahmen‘ deklariert, versetzten die politisch Verantwortlichen mit medialer Unterstützung die Menschen in einen traumatisierenden Dauerpanikmodus“, und zwar „vorsätzlich“.
Darin glichen die Maßnahmen „Repressalien und Gewaltakten“. Der „angestrebte Zweck – der Schutz von Leib und Leben für eine Vielzahl von Menschen“ sei „schon längst gegen die Verfolgung politischer Interessen ausgetauscht“ worden.
„Das sind die Mittel von Diktaturen“
Der Autor und Philosoph Betrand Stern hat sich während der Corona-Krise offenbar ebenfalls radikalisiert. Er trat bei „Querdenker“-Demos auf und sprach davon, dass „wohlerzogene und isolierte Menschen durch künstlich geschürte Ängste in Panik“ versetzt würden und „hinter der sinnlos aufgedrängten Maske das Du zum gefährlichen Es“ verkomme. „Weshalb lassen sich so viele Menschen vor den Karren dieses Irrsinns einspannen?“, fragt Stern und nennt das „System“ einen „widerwärtige(n) Gegenstand“.„Das sind die Mittel von Diktaturen.“
Wie Stern äußern auch andere Vortragende teils durchaus berechtigte und für einen demokratischen Diskurs nötige Kritik an der Regierungspolitik. Doch dabei gleiten sie immer wieder ins Verschwörungsideologische ab. Gleiches tut der Philosoph Matthias Burchardt, ebenfalls Autor bei Rubikon und unlängst zu Gast beim Talk mit Rainer Füllmich, einem Star der „Querdenker“-Szene. Dort sprach Burchardt über die „Corona-Angstmache“ der Regierung, bewertete sie mit „... das sind die Mittel von Diktaturen und totalitären Herrschern“ und klagte über die „Umerziehung“ der Bevölkerung durch die Medien. Seine Diagnose: „Multiples Organversagen der demokratischen Instanzen.“
Medienpartnerschaft mit der Sächsischen Zeitung
Referentinnen oder Referenten, die Gegenmeinungen vertreten zu diesen im Tenor einstimmigen Ansichten über Politik und Gesellschaft in der Corona-Krise, waren im Programm der Akademie nicht vertreten. Die übrigen geplanten Vorträge drehen sich mit einer Ausnahme um Esoterik, Medizin, Kultur.
Die Verstörung über das Programm hat inzwischen auf Institutionen des Freistaates übergegriffen, der als Grundstückbesitzer Gastgeber des Palais-Sommers ist. Aus dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst hieß es, man sei irritiert und werde die weitere Entwicklung der Veranstaltungsreihe aufmerksam beobachten.
Die genaue personelle und inhaltliche Besetzung der Bildungs.Akademie war den Teilnehmenden zum Zeitpunkt der Anfrage an sie unbekannt; das ist beim Planen und Buchen solcher Veranstaltungen mit langem Vorlauf Normalität. Auch die Sächsische Zeitung war darüber nicht informiert, als unlängst der neue Vertrag über die Medienpartnerschaft der SZ mit dem Palais-Sommer unterschrieben wurde.
Aktuell laufen intern Gespräche darüber, wie der Verlag nun mit dem neuen Informationsstand umgehen wird. Ein weiterer langjähriger Partner hat sich bereits entschieden: Laut Aussage des Geschäftsführers von Dresden Fernsehen wird der Privatsender den Palais-Sommer künftig weder über die Bildschirme in den Fahrzeugen der Dresdner Verkehrsbetriebe noch sonst wie medial begleiten.
CoronaCast über Maßnahmenkritik, Proteste und Hass im Netz
Auch im CoronaCast waren die umstrittenen Programmpunkte des Palais-Sommers Thema. In der Episode geht es um die verschiedenen Formen von Maßnahmenkritik bis hin zu Protesten, die eskalierten.