Schnell noch mal die Welt erobern

Von Karin Großmann
Der Eroberer sitzt mit dem Gouverneur bei Tisch und spricht über welthistorische Größe, Pathos und Schicksal, als seine Gattin sagt: „Du hast ein Stück Käse an den Manschettenknöpfen.“ So geht es zu im neuen Historienroman von Franzobel. Wenn der 53-jährige Österreicher vom Horrortrip der Spanier durch Amerika im 16. Jahrhundert erzählt, tut er das mit dem Blick von heute. Auch die Sprache klingt heutig. „Passt schon“, knurrt der Eroberer. Dabei passt es nie. Alles geht schief.
Nicht mal die Hälfte der Männer überlebt die viereinhalb Jahre dauernde Expedition. Sie bringt weder Ruhm noch Gold noch bekehrte Seelen und auch keine neuen Kolonien. Hernando de Soto geht als der erfolgloseste aller spanischen Konquistadoren in die Geschichte ein. Gerade das habe ihn gereizt, sagt Franzobel und verkleinert ihn im Roman zu Ferdinand Desoto. Der ist auf früheren Eroberungszügen reich geworden. Weil er aber außer seiner Frau nur die Bedeutungslosigkeit und den Lebensstumpfsinn fürchtet, holt er sich den kaiserlichen Segen für eine neue Tour. Und weil der Autor gern mittelgroße und große Schleifen beim Schreiben zieht, dauert es bis zum Aufbruch.

Für überbordende, anspielungsreiche Fabulierlust ist er berühmt. Er breitet bizarre Geschichten aus und installiert zahllose Nebenfiguren wie den New Yorker Anwalt, der mit einer Sammelklage die Rückgabe des heutigen US-Territoriums an die Indianer erkämpfen will. Die letzten Seiten des Romans entstanden in Dresden. Hier arbeitete Franzobel, der eigentlich Franz Stefan Griebl heißt, im Vorjahr mit einem Stipendium als Stadtschreiber.
Stehlen, brandschatzen, vergewaltigen
Die Reise beginnt im April 1538, und beim Zwischenstopp auf La Gomera gibt es nicht nur Käseigel mit Gouverneur, sondern die Uraufführung der ersten Oper. „Setzt sich nie durch“, mault Ferdinand Desoto. Aber dann rührt ihn der Gesang fast zu Tränen. Mehr Oper und weniger Eroberung wäre eine prima Alternative. Doch die spanischen Abenteurer halten den Goldrausch für alternativlos. Unter dem Vorwand der Christianisierung überfallen sie die Indianerdörfer, sie stehlen, brandschatzen, vergewaltigen, sie zerstören die Kultur, machen Einheimische zu Sklaven und Häuptlinge zu Geiseln.
Franzobel beschreibt das 16. Jahrhundert als brutal und menschenverachtend, „als hätte die Mafia sämtliche KZ-Aufseher zu einem Wettbewerb in Sachen Grausamkeit herausgefordert“. Scheiterhaufen stillten das Unterhaltungsbedürfnis des Volkes. Scheiterhaufen waren populär, so Franzobel, „die Feuerteufel hatten sich zu einem Dachverband namens Inquisition zusammengeschlossen“.
Kann man da von einem Amerika-Eroberer irgendwas Nettes erwarten?
Blutigrot ausgemalt
Als Hauptleute setzt Desoto sechs Kumpane ein. Diese „Buberlpartie“ schickt der Autor durch Florida, Georgia, Alabama und hinauf bis North Carolina: eine Spur der Verwüstung. „Es gibt keine schönere Aufgabe, als die Heimat vor gottlosen Wilden zu schützen“, sagt ein Priester. Unfassbare Gewalt, so der Autor, steht am Beginn der Globalisierung. Sein Roman ist eine Groteske über Größenwahn und Gier der westlichen Welt. Diese sogenannte Zivilisation kann nur scheitern – das malt Franzobel blutigrot aus. Ein Häuptling warnt: Die Bärtigen werden das große Eis zum Schmelzen bringen, Wälder vernichten, sie werden das Wasser und die Luft vergiften … Der Bischof von Nicaragua bittet, die Expedition abzublasen, es gehe doch nur um Profit, Gewinnmaximierung, Wachstum, Fortschritt, alles auf Kosten armer, unschuldiger Menschen. Desoto entgegnet: „Ich habe 800 Leute, die wären alle arbeitslos.“
Mit an Bord der zehn Schiffe haben sie Pferde, Schweine und Kampfhunde, Schwerter, Messer, Steinschleudern und Armbrüste. „Im 21. Jahrhundert muss man im Flughafen jeden Nagelknipser abgeben.“ Mit Kommentaren und inneren Monologen mischt sich der Autor in den Fortgang der Handlung ein. Das changiert zwischen schrägem Witz, gallebitterem Sarkasmus und derber Ironie. Franzobel verschmäht auch den Kalauer nicht, wenn er einen bedeutenden Arzt eine Konifere nennt, und testet die Grenze zur Blasphemie aus. Desoto etwa plant bei glücklicher Heimkehr eine Kapelle für den Heiligen Sebastian, „Patron der Akupunktur“.

Von Glück ist nie die Rede und von Heimkehr noch längst nicht. Zur Reisegesellschaft gehören einige Handwerker, ein Schiffbrüchiger, ein schwäbischer Kunsthändler, zwei Frauen und zwei Ganoven, die wie Robert Redford und Paul Newman aussehen. Alle Figuren werden üppig-liebevoll ausgeschmückt. Da ist ein niederländischer Arzt, der ein Beatmungsgerät konstruiert, ein Koch namens Castro, der die Castronomie, Cola und Puffmais erfindet, ein Priester, der den Kirchenbann gegen Alligatoren verhängt. „Es geht doch nicht, dass die zum Abendbrot die Mannschaft schnabulieren.“ Der Einzige, der sich ein wenig in der Gegend auskennt, stirbt unterwegs. Die Verständigung mit den Indianern läuft über Dolmetscher von Dolmetschern nach dem Prinzip der Stillen Post.
Indianischer Widerstand
Manchmal leisten Indianer Widerstand, hängen spanische Soldaten gevierteilt am Baum, und jemand denkt: „Unfreundliche Gegend! So wird das nichts mit dem Tourismus.“ Da stockt einem der Atem. Für Franzobel ist Humor das einzig probate Mittel gegen das Grauen. Er stimmt ein höllisches Gelächter an. Ständig kippt die Tragik ins Komische und wieder zurück.
Auf ihrem mörderischen Gewaltmarsch durch fremdes Land treffen die Spanier auf verschiedene Stämme. Einer führt seine mumifizierten Toten immer mit sich. Einer lebt streng vegetarisch. Einer entwickelt Bausätze für Hütten, Möbel und Drachenboote. Die Feuerstelle heißt Folke. Das Zusammenstecken treibt die Soldaten zur Verzweiflung. Ein anderer Stamm wird ausschließlich von Frauen regiert. Das zeigt sich auch in der Sprache. Der Mandelbaum heißt Fraudelbaum und das Erlebnis Sielebnis. Die Damen leben an der Flüssin und besitzen „Perlen wie Säue am Strand“. Die verschenken sie großzügig. Der Schatz geht natürlich verloren.
Soldaten sehen aus wie Moorleichen
Von Dorf zu Dorf, von Überfall zu Überfall verlottern die Soldaten mehr. Sie sehen aus „wie Gammler, die Requisiten für einen Mittelalter-Film gestohlen hatten“. Nach Sumpfmärschen ähneln sie „Moorleichen aus einem drittklassigen Horrorstreifen“. Im Erfinden von wilden Vergleichen macht dem Autor niemand was vor.
Und doch folgt er bei aller Erfindung den Fakten, soweit sie bekannt sind. Er ist dem glücklosen Eroberer fast 500 Jahre später nachgereist, als das noch möglich war. Im Roman zeigt er „endlose Weiten voll mit nichts“, wo die demoralisierte Truppe unter Hitze, Kälte und Aussichtslosigkeit leidet, unter Hunger und Durst. Da kommt mancher auf kannibalische Gedanken. In Franzobels vorigem Roman „Das Floß der Medusa“ war es nicht bei Gedanken geblieben. Doch bevor sich das Äußerste ereignet, wird zumindest noch der Mississippi entdeckt. Am Ende treibt Ferdinand Desotos Leiche den Strom hinab. „Man sollte sich beim Reiseveranstalter beschweren“, denkt einer.
Franzobel: Die Eroberung Amerikas. Paul Zsolnay Verlag, 542 Seiten, 26 Euro