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Sind die Medien zu sehr im Gleichklang?

Der Philosoph Richard David Precht und der Soziologe Harald Welzer üben Generalkritik an der deutschen Presselandschaft.

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Finden viel Gehör mit ihrer Klage darüber, dass sie zu wenig Gehör finden: Richard David Precht und Harald Welzer.
Finden viel Gehör mit ihrer Klage darüber, dass sie zu wenig Gehör finden: Richard David Precht und Harald Welzer. © Foto: Debora Mittelstaedt

Von Karl Adam

Werden die sogenannten Leitmedien zusehends austauschbarer? Verengt sich ihr Meinungskorridor? Treibt die Presse die Politik mit ihrer Meinungsmacht vor sich her? Das jedenfalls behaupten der Philosoph Richard David Precht und der Soziologe Harald Welzer in ihrem ersten gemeinsamen Buch über „Die vierte Gewalt“ und geben sich im Untertitel felsenfest davon überzeugt, dass „Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“. Das ist starker Tobak, der gut belegt sein will.

Laut den beiden leben wir längst nicht mehr in einer „Demokratie mit medialer Begleitung“, sondern in einer „Mediokratie“, in der die Leitmedien direkten Einfluss auf die „politische Klasse“ ausüben. Keines der von ihnen angezählten Leitmedien kommt um ihr Buch herum: Es ist die meistdiskutierte Neuveröffentlichung auf dem Buchmarkt nicht nur dieser Tage, sondern wohl des ganzen Jahres. „Ungezügelter Aktivismus durch die amtierenden Massenmedien ist nicht nur Treibmittel für ihren eigenen mittelfristigen Untergang; er ist es auch für die Erosion einer funktionierenden Öffentlichkeit in Deutschland“, schreiben sie.

„Wer stellt sich Abdriften und Niveauverlust entgegen?“

Wie konnte es so weit kommen und was ist dagegen zu tun? Man wird nicht umhinkönnen, am Ende dieses mit vielen Redundanzen gespickten Buches eine gewisse Selbstreferentialität zu erkennen: „Wer stellt sich dem Abdriften und dem Niveauverlust entschlossen entgegen?“ Natürlich die Autoren selbst. Dass ausgerechnet das von Harald Welzer herausgegebene Format „Futur Zwei“ der Tageszeitung als Beispiel für Journalismus, so wie er sein sollte, genannt wird, rundet das Bild ab.

Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Berichterstattung zum Ukraine-Krieg. In weiten Teilen geht es um die Reaktionen auf den offenen Brief an Bundeskanzler Scholz, in dem er aufgefordert wurde, alles zu unterlassen, was zu einer Eskalation des Krieges führen könnte, also auch die „Lieferung großer Mengen schwerer Waffen“.

Der Spott der Autoren klingt nach persönlicher Kränkung

Welzer gehörte zu den Mitunterzeichnern, einen späteren Waffenstillstandsaufruf unterzeichnete auch Precht. Die Darstellung der Reaktionen auf den zunächst in der Zeitschrift Emma erschienenen Brief und auf den Ukraine-Krieg insgesamt ist durchzogen von oftmals beißendem Spott, der eine persönliche Kränkung beider Autoren nahelegt. Da sich das Geschehen zudem kontinuierlich weiterentwickelt, erweisen sich viele Urteile als Schnellschüsse, die bereits jetzt, bei Erscheinen des Buches, überholt sind.

War es etwa nur „Schuldstolz“, der nach dem Februar 2022 zahlreiche Akteure zu Kritik an der bisherigen Russland-Politik geführt hat und war es wirklich so unklar, „welche ganz konkreten Handlungen der Vorgängerregierungen nun diese Exkommunikation verdienten und ein öffentliches Schuldgelöbnis erforderten“? Wurden diese Diskurse wirklich „souffliert“ durch den Welt-Journalisten Robin Alexander und „inquisitorisch fragende Talkmaster“? Und was sagt eigentlich Prechts Podcast-Freund Markus Lanz (ZDF) zu solchen Formulierungen?

Linksliberale Kritik am "Haltungsjournalismus"

Kritik an der Lieferung schwerer Waffen hätte rund die Hälfte der Bevölkerung geteilt, im „frappierend einheitlichen Meinungsbild“ der Leitmedien wäre jedoch der Eindruck erweckt worden, diese käme lediglich von Außenseitern. Richard David Precht und Harald Welzer bauen auf dieser These, die auf einer einzigen frühen Umfrage basiert, in der das Meinungsbild tatsächlich gespalten war, ihr gesamtes weiteres Gedankengebäude.

Erstaunlicherweise nehmen sie dabei überhaupt nicht zur Kenntnis, dass die Zustimmung der deutschen Gesamtbevölkerung danach regelmäßig bei sechzig bis siebzig Prozent gelegen hat. Nun kennt man die Rede auswendig von den „Haltungsjournalisten“, die zu „Aktivisten“ einer Sache werden, statt vermeintlich neutral zu berichten, insbesondere aus dem rechten Spektrum. Jetzt zäumen der Philosoph und der Sozialpsychologe das Pferd aus linksliberaler Sicht auf.

"Einseitige Positionierung" in den "deutschen Leitmedien"

Sie wollen zeigen, dass eben keine zentrale Steuerung der Medien durch den Staat erfolgt, sondern dass die Medien sich durch allerhand gruppensoziologische Prozesse freiwillig einander angleichen, ohne dass so richtig klar wird, wann das eigentlich angefangen haben soll. Damit möchten die Autoren zur Aufklärung beitragen und Verschwörungserzählungen widerlegen.

Dennoch sind ihre Thesen in das entsprechende Milieu hinein anschlussfähig: So ist die Rede von der „Lügen“- oder „Systempresse“ sicher niveaulos. Doch wenn Precht und Welzer immer wieder eine „nahezu geschlossen einseitige Positionierung der Kommentare, Leitartikel und Kolumnen meinungsführender Publizisten in den deutschen Leitmedien“ eher herbeireden als nachweisen, raunt es doch ganz gewaltig in diese Richtung.

Die Autoren segeln hart am Stammtischniveau

„Die da oben sind doch alle gleich“, mag ein unterkomplexer Befund sein. Doch was schreiben Precht und Welzer zum Thema? „Im Vergleich zur Frühgeschichte der Bundesrepublik, den Parteiengegensätzen bis in die 1990er-Jahre, ist es heute weitgehend egal, wer regiert und mit wem. Die Themen werden ohnehin kaum noch bewusst gesetzt und weiterverfolgt, sondern von medialen Erregungskurven vorgegeben.“

Das wiederum ist eine exklusive Deutung der Zeitgeschichte, mit der die Autoren hart am Stammtischniveau segeln. Mit ihrer wackeligen Grundthese von den „gemachten“ Meinungsmehrheiten im Gepäck, können sie dann zwar in einer kurzen Geschichte der Öffentlichkeit die ein oder andere Studie, den ein oder anderen Effekt im Meinungsbildungsprozess aufzählen, von der „Schweigespirale“ oder vom „Overton-Fenster“ – seit Jahren bekannte Modelle, mit denen die Bildung von Öffentlichkeit analysiert werden kann – liest man hier jedoch ebenfalls kein Wort.

Der Elefant im Raum wird mit keiner Silbe erwähnt

Vielmehr scheinen Precht und Welzer dem „Hostile Media Effect“ zu unterliegen. Dabei handelt es sich um eine Tendenz von Personen mit einer starken Einstellung zu einem Thema, die Medienberichterstattung als voreingenommen gegen die eigene Seite wahrzunehmen und Antagonisten prinzipiell bevorteilt zu sehen. Das würde zumindest die vielen Formulierungen von den „abweichenden“ Meinungen erklären, die in der medialen Öffentlichkeit angeblich nicht „vorkommen“.

Schwer verständlich ist zudem, dass der Elefant im Raum mit keiner Silbe erwähnt wird, nämlich der systematische Desinformationskrieg, den das Putin-Regime mit seiner Troll-Armee seit spätestens 2014 führt. Die Fachliteratur dazu etwa von Jesikka Aro, Peter Pomerantsev oder Thomas Rid nehmen die Autoren nicht zur Kenntnis.

„Kontextwissen nicht erforderlich, meinen genügt“

Ein Buch aber, das sich im Jahr 2022 mit Dysfunktionalitäten im politischen Meinungsbildungsprozess auseinandersetzt, und diesen gesamten Themenkomplex außer Acht lässt – Ex-Trump-Berater Steve Bannon mit seinen medialen Zerstörungsabsichten fehlt ebenfalls –, ist mindestens unvollständig. So können Richard David Precht und Welzer zwar vom unheilvollen Einfluss der digitalen „Direktmedien“ auf die klassischen Leitmedien berichten, zum Kern ihres Themas dringen sie jedoch nicht vor.

„Kontextwissen nicht erforderlich, meinen genügt“, urteilen die Autoren über heutige Journalistinnen und Journalisten, deren Berufsstand wirklich nicht gut wegkommt. Aber fällt es nicht auch auf sie selbst zurück, wenn Precht und Welzer erklären, über Putins Absichten lasse sich „nur wild spekulieren“? Spätestens seit Februar ist klar: Es hilft, wenn man einfach nur dessen Texte liest und dessen Reden hört.

Richard David Precht und Harald Welzer: Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist. S. Fischer, 288 Seiten, 22 Euro