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Sternstunde einer Bibliothek

Clara Schumanns Korrespondenz mit einem völkisch getönten Komponisten und Naturschützer ist erstmals zugänglich.

Von Karin Großmann
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Eigenhändiger Brief der deutschen Pianistin Clara Schumann an den Komponisten Ernst Rudorff (Moskau und Petersburg, April/Mai 1864)
Eigenhändiger Brief der deutschen Pianistin Clara Schumann an den Komponisten Ernst Rudorff (Moskau und Petersburg, April/Mai 1864) © Slub Dresden

Beinahe wäre der Schatz bei Sotheby´s versteigert worden: rund 400 Briefe, Postkarten, Notizen und Telegramme von Clara Schumann, ihrem Schüler Ernst Rudorff und ihrem gemeinsamen Freund Johannes Brahms. Im letzten Moment habe man sich mit den Eigentümern auf einen direkten Ankauf einigen können, sagt Barbara Wiermann. Sie leitet die Musikabteilung der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden (Slub). Dort liegt das Konvolut nun, „die letzte bisher unzugängliche Korrespondenz der europaweit anerkannten Pianistin“. Für Wissenschaftler und Interessenten wurde das Material digitalisiert. Neben den gescannten Schnörkelschriften steht der lesbare Text, in dem man nach Schlagwörtern recherchieren kann. Da sind die Stunden weg wie nichts.

Der Briefwechsel umfasst knapp vier Jahrzehnte. Dabei geht es zunächst um die Musik, um Kompositionen und Konzerte. „Clara Schumann und Ernst Rudorff haben viel gemeinsam, die künstlerische Haltung, die ästhetischen Positionen“, sagt Barbara Wiermann. „In ihren Briefen spiegelt sich ein Stück Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts.“ Doch sie teilen einander auch Politisches und Privates mit. Clara Schumann gesteht, dass sie das Publikum „im Grunde des Herzens“ geringschätzt – aber sie fühle sich doch angeregt von der Teilnahme im Konzertsaal. Jedenfalls hätten die Zuhörer in Paris mit Enthusiasmus auf Werke ihres Mannes Robert reagiert. Sie hätte gar nicht vermutet, dass eine so tief deutsche Natur wie er anderswo anerkannt würde.

Für das tief Deutsche ist Ernst Rudorff zu haben. Wer ist dieser Mann, der das Vertrauen des der rund zwanzig Jahre älteren Komponistenwitwe, des Weltstars genoss? Er wurde 1840 in Berlin in einer Familie geboren, die mit sämtlichen Größen der Romantik bekannt und verwandt war. Ersten Klavierunterricht nahm er bei einer Freundin von Clara Schumann. Auch sie selbst gab ihm Stunden. Seine erste Komposition hat sie in Wien aufgeführt, ein Stück für zwei Klaviere, gewidmet „Frau Dr. Schumann in innigster Verehrung“. Diese Verehrung bestimmt seine Briefe von 1858 bis zu ihrem Tod 1896. Er sei glücklich, dass sie da sei, „zu der ich aufblicken darf als zu einem Gestirn, das unverwandt in derselben Reinheit und Schönheit leuchtet, und nicht nur leuchtet, sondern zugleich erquickende Wärme ausstrahlt“. In anderen Briefen bittet er sie um Hilfe bei der Jobsuche. Ob sie nicht ein gutes Wort für ihn einlegen könne … Er unterrichtet in Köln, Leipzig, Hamburg, Berlin, arbeitet mit Johannes Brahms an der Chopin-Gesamtausgabe, komponiert Lieder und Orchesterwerke, wird Professor und Mitglied der Akademie der Künste. Wenn Clara Schumann in Berlin gastiert, besorgt er Unterkunft und Klavierstimmer.

Mit Dresden ist Ernst Rudorff auf besondere Weise verbunden. Hier heiratet er 1876 Gertrud, jüngste Tochter des Bildhauers Ernst Rietschel. Und hier gründet er im März 1904 den Deutschen Bund Heimatschutz – Ursprung aller Naturschutzvereine. Zum ersten Mal wird der Begriff „Heimatschutz“ nicht nur militärisch gebraucht. Der Schutz richtet sich allerdings gegen andere. Deutschen Bürgern jüdischen Glaubens will Rudorff keinen Zugang zu seinem Verein gewähren. Schon 1880 unterschreibt er die Berliner Antisemitenpetition. Dort wird Ministerpräsident Bismarck aufgefordert, Gesetze zur Gleichstellung von Juden zurückzunehmen. Zu den Erstunterzeichnern gehört der Komponist und Wagner-Freund Hans von Bülow.

Die jetzt erworbenen Briefe zeigen den völkisch getönten Rudorff von einer anderen Seite. Er schwärmt geradezu für den jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy: „Wie lieb mir Mendelssohns Persönlichkeit durch die Briefe wird, kann ich Ihnen nicht sagen“, schreibt er an Clara Schumann, „und so lernt man auch allmählich manches von seiner Musik, was vielleicht schwächer ist, mit Liebe ansehen, für die Sachen aber, die an sich wundervoll sind, noch mehr sich begeistern!“ Auch seine Freude an der Natur teilt er ihr mit, lädt sie zu Wanderungen im Schwarzwald ein. Wenig später wundert er sich über seine Arglosigkeit. Der Deutsch-Französische Krieg hat begonnen. Die Briefpartner schreiben einander von ihren Sorgen und Ängsten.

„Mich hat überrascht, dass sich Clara Schumann auch zu politischen Themen äußert“, sagt die Chefin der Musikbibliothek Barbara Wiermann. Die Slub kaufte die Handschriften von Nachfahren der Familie Rudorff mithilfe des Bundes, der Kulturstiftung der Länder und der Mariann Stegmann Foundation für einen „namhaften sechsstelligen Betrag“, so Bibliothekschef Achim Bonte. Eine solche Erwerbung sei „eine Sternstunde für einen Direktor“. Für ihn ist sie schon fast ein Abschiedsgeschenk. Am 1. September tritt er sein Amt als Generaldirektor der Staatsbibliothek zu Berlin an.