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Uwe Tellkamp und die "Vergewaltigung" der Sprache

Der Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp bezeichnet Gendern als "Vergewaltigung" der Sprache. Aber was genau bedeutet das? Ein kleine Stilkritik.

Von Marcus Thielking
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Uwe Tellkamp
Uwe Tellkamp © Jürgen Lösel

Das Reden in Metaphern ist die vornehmste Übung unserer Dichter (und, sei’s drum, Dichterinnen). „Ach, an deinem Busen/ Lieg ich, schmachte,/ Und deine Blumen, dein Gras/ Drängen sich an mein Herz“, schwärmte Goethe. Jedem war klar, was da poetisch gemeint war: der Busen der Natur. Nun hat der Dresdner Schriftsteller Uwe Tellkamp, nicht ganz so lyrisch, bei einer Lesung in Neubrandenburg das Gendern als „eine Vergewaltigung von Sprache“ bezeichnet. Diese Metapher verdient eine genauere Betrachtung.

Wem gehört die Sprache?

Zwar ist der Dichter in der Wahl seiner Sprachbilder naturgemäß frei. Doch jede Stilkunde und jeder Deutschlehrer mahnt, die Beziehung zwischen Bezeichnetem und Bezeichnendem möge in sich schlüssig sein, damit das Bild nicht schief gerate. Eine präzise Wortdefinition ist dafür unerlässlich. Hier stellt sich schon die Frage, ob Tellkamps „Vergewaltigung“ etwa im Sinne des Strafgesetzbuchs zu verstehen sei, wonach eine V. vorliegt, wenn jemand „gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt“ (§ 177 StGB).

Oder – wie zu hoffen ist – meint Tellkamp eher jene allgemeinere und veraltete Bedeutung von V., wie sie anno Achtzehnhundert-Tobak im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm umschrieben wurde, nämlich als „gewaltsames unterwerfen, gewaltsamer eingriff in fremde rechte, fremden besitz“. Dies aber würfe weitere Fragen auf, auch in metaphorischer Hinsicht: Worin besteht beim Gendern die Gewalt? In wessen Rechte wird eingegriffen? Wem gehört die Sprache?

Das Bild ist von der Wand gefallen

Unglücklicherweise hat Tellkamp seine Metapher mit einem weiteren Bild verknüpft, indem er die Sprache mit einer Orgel verglich. Gendern sei, als ob man einem Organisten zwei Register wegnehme – dann klinge die Orgel nicht mehr. Hierzu muss man wissen, dass eine gewöhnliche Kirchenorgel über etwa 30 Register, also Pfeifenreihen gleicher Klangfarbe, verfügt. Nähme man zwei weg (Fügt man beim Gendern nicht hinzu? Egal…), könnte sich der Klang der Orgel verändern. Aber dass sie gar nicht mehr klänge, wird kaum ein Organist bestätigen.

Wenn wir schließlich alle drei vor dem geistigen Auge zusammenführen – Gendern, Vergewaltigung, Orgel –, dann kann von einem schiefen Bild schon nicht mehr die Rede sein. Es ist von der Wand gefallen.

Liebe Dichter, rettet die deutsche Sprache – aber fangt bei Euch selbst an!