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Was kann Volkswille bewirken?

Prognosen sind meistens schwierig. Insofern ist Herfried Münklers Buch „Die Zukunft der Demokratie“ ein wenig Etikettenschwindel.

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Kinder an die Macht!? Wenn die Zukunft der Demokratie doch so einfach zu organisieren wäre ...
Kinder an die Macht!? Wenn die Zukunft der Demokratie doch so einfach zu organisieren wäre ... © Digital Vision

Von Karl Adam

Wenn der ebenso kreative wie umtriebige Politikwissenschaftler Herfried Münkler nicht gerade den Dreißigjährigen oder den Ersten Weltkrieg durchdringt, deutsche Mythen dekonstruiert oder anhand von Marx, Wagner und Nietzsche eine „Welt im Umbruch“ neu deutet, wendet er sich der politischen Gegenwart zu, mit seiner in Dresden lehrenden Ehefrau Marina und auch allein, in Talkshows oder per schriftlicher Wortmeldung.

Münklers neuester Eintrag ins Nebenwerk verhandelt nichts weniger als „Die Zukunft der Demokratie“ und liest sich wie ein längerer Essay. Wer die politikwissenschaftliche Publizistik zum Stand der Demokratie in den letzten Jahrzehnten verfolgt hat, wird hier zwar kaum Neues finden. Totalitäre Herausforderungen (Russland, China, Trump) und der schwächelnde Westen, Aufstieg des Populismus und das Ende der Volksparteien, illiberale Demokraten gegen technokratische Liberale, Kosmopoliten gegen Kommunitaristen, Anywheres gegen Somewheres, Agonistik gegen Konsens, Expertentum gegen Vereinfachung – all das darf nicht fehlen und wird knapp und präzise referiert.

Originelle Gedanken und Wendungen

Herfried Münkler gelingen darüber hinaus auch immer wieder originelle Gedanken und Wendungen: „Die gewachsene Gestaltungsmacht der Politik wurde mit der Zeit von den gestiegenen Leistungserwartungen der Bevölkerung eingeholt und überholt, und diese „Revolution der gestiegenen Erwartungen“ verband sich seit den 1960er-Jahren (…) mit der Vorstellung, die Lücke zwischen Erwartungshaltung und staatlichem Leistungsprofil lasse sich durch eine stärkere Demokratisierung der staatlichen Institutionen schließen.“ Hierbei ging es jedoch – und das ist der springende Punkt – weniger um „die Inklusion weiterer, bislang von der Teilhabe ausgeschlossener Bevölkerungsschichten in den politischen Prozess“, sondern um „den Einbau direktdemokratischer Elemente in die parlamentarische Demokratie.“Vom Plebiszitären, das komplexe Fragestellungen oftmals auf simple Ja-Nein-Fragen herunterbricht, hält Münkler indes wenig. Nicht umsonst werden hier einige US-Gründerväter zitiert: „Die Gewaltenteilung (…) ist in Nordamerika von Madison, Hamilton und Jay in den Federalist Papers als ein System der checks and balances entwickelt worden, um den unmittelbaren Mehrheitswillen, dem die drei durchweg misstrauten, Schritt für Schritt in politische Vernunft zu transferieren.“ So sei es von Anfang an darum gegangen, „den „rohen“ Willen des Volkes zu filtrieren und zu verfeinern.“

Insbesondere die digitalen Medien, in denen sich rohe Stimmungskonjunkturen weitgehend ungehindert Bahn brechen, kommen bei Münkler dann auch besonders schlecht weg. Die von Ihnen ausgehenden Gefahren für den öffentlichen Diskurs, für fakten- und evidenzbasierte Politik, werden ausführlich referiert, wobei die progressiven und segensreichen Wirkungen für die globale Demokratie, die das Internet eben auch haben kann, weitgehend unerwähnt bleiben. Es ist ja kein Zufall, dass Autokraten und Diktatoren jeglicher Couleur zuerst das Internet drosseln oder auch ganz abschalten, wenn es zu Massendemonstrationen oder Aufständen kommt.

Spott gegenüber Populisten

Hier wie auch an anderen Stellen zeigt sich, dass Herfried Münkler in erster Linie ein engagierter Verteidiger des Bestehenden ist, der jederzeit ideengeschichtlich herleiten kann, warum die Dinge letztlich schon ganz vernünftig eingerichtet sind und – von behutsamen Reformen abgesehen - auch so bleiben sollten. Sein kaum verhohlener Spott gegenüber den Populisten dieser Welt wird diese kaum von ihren Überzeugungen abbringen, ist jedoch für jene, die in dieser Hinsicht auf Münklers Wellenlänge sind, teils amüsant zu lesen: „Es hat sich eine gleichermaßen unübersehbare wie unüberhörbare Frustration gegenüber dem Typus der westlichen Demokratien ausgebreitet, ein Oszillieren zwischen Enttäuschung und Ablehnung, das, nach den Gründen der Unzufriedenheit gefragt, weithin diffus bleibt und auch keine anderen Änderungsvorschläge geltend zu machen weiß als die, dass man zu einer direkten Demokratie zurückkehren müsse, in der dem „Volkswillen“ wieder die entscheidende Bedeutung zukomme. Wie dieser „Volkswille“ ermittelt werden soll, bleibt indes unklar.“

Echte Gefahren sieht Münkler hingegen in einer „bürokratisch-juristischen „Verholzung““, einer „Technokratie des Sachzwangs“, durch die demokratische Handlungsspielräume bedrohlich eingegrenzt werden können. Doch wie wäre dem zu begegnen? In Deutschland hat sich die Ampel-Regierung auf den Weg gemacht, Verfahrenswege zu vereinfachen und Bürokratie abzubauen. Der Erfolg wird sich zeigen. Ebenso wie der Erfolg der Demokratie der Zukunft. Ein Buch wie das vorliegende ist in dieser Hinsicht sicherlich ein kleiner Etikettenschwindel, denn natürlich wird die Gegenwart der Demokratie behandelt und weniger die Zukunft. Da Prognosen bekanntlich schwierig sind und die diesbezügliche Bilanz der professionellen Weltendeuter äußerst dürftig ist, wagt auch Herfried Münkler kaum Vorhersagen.

Erschienen ist das Buch im Oktober. Seither hat die ukrainische Armee im Krieg gegen die russischen Angreifer spektakuläre Siege eingefahren. Die Halbzeit-Wahlen in den USA gingen entgegen allen Vorhersagen sehr knapp aus – kein Durchmarsch der Trump-Republikaner nirgends. Menschen protestieren und demonstrieren im Iran und zuletzt auch in China. Nicht auszuschließen, dass all diese Entwicklungen günstige Folgen für die Zukunft der Demokratie haben. Ein Buch zum Thema würde dann schon wieder ganz anders aussehen.

  • Herfried Münkler: Die Zukunft der Demokratie. Brandstätter Verlag, 200 Seiten., 20 Euro