Feuilleton
Merken

Winnetou wird im Kino zum neuen Kinderfilmhelden

Ein neuer „Winnetou“, mit deutschen Darstellern gedreht in Spanien. Kann das gut gehen, wenn überall über „kulturelle Aneignung“ diskutiert wird.

 4 Min.
Teilen
Folgen
Mika Ullritz spielt die Titelrolle im neuen Kinofilm „Der junge Häuptling Winnetou“.
Mika Ullritz spielt die Titelrolle im neuen Kinofilm „Der junge Häuptling Winnetou“. © Leonine

Von Matthias von Viereck

Sechzig Jahre ist es her, dass Pierre Brice erstmals in die Rolle des Apachen Winnetou schlüpfte („Der Schatz im Silbersee“, 1962, Regie: Harald Reinl). Was folgte, gilt längst als Pop-Kulturgut: zehn weitere Winnetou-Streifen mit Brice und anderen Darstellern wie etwa Götz George, Karin Dor, Ralf Wolter und Lex Barker als Old Shatterhand. Nun reitet Winnetou wieder – auch, wenn er noch nicht allzu fest im Sattel sitzt. Ist er doch noch recht jung, der Häuptlingssohn und Häuptling in spe.

Ein paar nicht eben geringe Probleme warten aber doch auch jetzt schon auf ihn. Die Regie besorgt hat Mike Marzuk („Sommer“, „Fünf Freunde“). „Ich bin der Häuptlingssohn!“ Mit diesen, von frühem Selbstbewusstsein kündenden Worten stellt sich Winnetou in dem 103-Minüter „Der junge Häuptling Winnetou“ vor. Worte, gesprochen in Richtung von Tom, einem jungen, wie Winnetou sagt: „Pferdedieb“. Nicht ahnend, dass sich die beiden Jungen mit dem so unterschiedlichen Hintergrund anfreunden werden im Verlauf der Geschichte.

Unerwartete Effekte durch großartige Landschaft

Zuvor aber gilt es, sich größeren Anliegen zuzuwenden: Winnetous Vater nämlich hat schlechte Nachrichten: „Euer Häuptling kommt mit leeren Händen zurück. Die Büffel sind ausgeblieben.“ Der nächste Winter nähert sich. Und als dann auch noch ihre Vorräte in Flammen aufgehen, stehen die Apachen vor der Frage, ob sie das ihnen heilige Land verlassen sollen. Und Tom und Winnetou, die bekommen es zudem mit einem gefürchteten Verbrecher zu tun.

Gedreht wurde dieser neue „Winnetou“ in der Wüste von Tabernas (Desierto de Tabernas), einer staubigen und doch, das unterstreicht dieser Film mittels wunderbarer Totalen, pittoresken Region Spaniens. Eine Gegend mithin, die Filmfreunden bekannt vorkommen sollte: Teile eines „Indiana Jones“-Films wurden hier genauso eingefangen wie etwa Szenen aus „Spiel mir das Lied vom Tod“. Die wunderbar anmutige Landschaft jedenfalls verleiht dem neuen „Winnetou“ eine Grandezza, die man angesichts des Genres Kinder- respektive Jugendfilm so gar nicht erwartet hätte.

"Der junge Häuptling Winnetou" ist eine anrührende Geschichte über die Annäherung zweier sehr unterschiedlichen Jungen, die schließlich Freunde werden und gemeinsam Abenteuer erleben.
"Der junge Häuptling Winnetou" ist eine anrührende Geschichte über die Annäherung zweier sehr unterschiedlichen Jungen, die schließlich Freunde werden und gemeinsam Abenteuer erleben. © Leonine

Dazu passend, bemüht sich der Film auch inhaltlich um eine (indes nie verkrampfte) Ernsthaftigkeit: Wie sich etwa die beiden Jungen über gemeinsame Abenteuer näherkommen, das ist nicht nur rührend erzählt, sondern kündet auch von dem Bemühen, hier so etwas zu generieren wie Verständnis für die jeweils andere Kultur. Auch Verlusterfahrungen können verbinden: Tom hat seine Eltern nie kennengelernt, Winnetous Mutter starb früh.

Der flankierende Score versteht es, dem Ganzen noch etwas hinzuzufügen: Die treibende, zuweilen dramatische Musik ist nie zu ernst, niemals aufdringlich. Allein in den nach Klischee riechenden, in einer Westernstadt angesiedelten Szenen droht der Ton in Richtung „Schuh des Manitu“-Klamauk zu kippen: hier der Bürgermeister im Badezuber, dort slapstickartige Saloon-Prügeleien, da unterbemittelte Hilfssheriffs, noch dümmere Kriminelle. Obendrauf: eine Mundharmonika.

Bei aller Betonung gemeinschaftlicher Werte („Ein einzelner Pfeil bricht leicht, viele Pfeile kann nichts brechen“) gibt es doch Momente, in denen einem die aktuelle Diskussion um „kulturelle Aneignung“ durch den Kopf geht: Sollten weiße Schauspieler Indigene oder People of Color überhaupt verkörpern dürfen? Obwohl sie etwa deren Unterdrückungserfahrungen gar nicht teilen?

Werden wieder nur Stereotype bedient?

Winnetou wird in dieser deutschen, laut Abspann in Kooperation mit dem Karl-May-Verlag entstandenen Produktion von keinem Indigenen, keinem Ureinwohner Nordamerikas verkörpert. Sein Darsteller trägt den Namen Mika Ullritz („Sturm der Liebe“), ist laut der den Film betreuenden Agentur Deutscher und lebt in München. An seiner Seite: Mimen wie Tim Oliver Schultz (geboren 1988 in Berlin), die Deutsche Xenia Georgia Assenza, der deutsch-türkische Schauspieler Mehmet Kurtulus. Regisseur Mike Marzuk ist gebürtiger Oberbayer.

Pierre Brice (1929 – 2015), Hauptdarsteller der 1960er-Winnetou-Filme und selbst Franzose, soll den „Schuh des Manitu“ von Regisseur Michael „Bully“ Herbig einst mit dem Argument abgelehnt haben, dass darin die Kultur der nordamerikanischen Indigenen verunglimpft werde. Von einer Verunglimpfung indigener Kultur wird man angesichts dieser um Verständigung, Ausgleich und Respekt durchaus bemühten Neuauflage wohl nicht sprechen. Bei allem sicher guten Willen aber bleiben Fragen. Ob hier nicht doch Stereotype bedient werden, und ob es angemessen ist, dass sie von deutsch- oder europäisch-stämmigen Schauspielern verkörpert werden, das können letztlich nur die Betroffenen selbst, die Ureinwohner Nordamerikas, die Native Americans, beantworten. (dpa)

Der Film läuft ab Donnerstag unter anderem im Dresdner Programmkino Ost und in der Schauburg.