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Zeitenwende: Ein Begriff ohne Inhalt?

Was ist die "Zeitenwende"? Das sollte eine Veranstaltung in der Dresdner Frauenkirche klären. Zu Gast war auch der sächsische Wirtschaftsminister.

Von Niels Heudtlaß
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Martin Dulig sieht die "Zeitenwende" vor allem als Chance etwas gegen den Klimawandel zu tun.
Martin Dulig sieht die "Zeitenwende" vor allem als Chance etwas gegen den Klimawandel zu tun. © Archivfoto: Hendrik Schmidt/dpa

Die Frauenkirche in Dresden ist ein Zeichen für Beständigkeit, aber auch für den Wandel. Im 18. Jahrhundert gebaut, im Zweiten Weltkrieg zerstört, stand die Ruine in der DDR als Mahnmal für den Frieden. Nach der Wiedervereinigung wieder aufgebaut, wurde sie als Wahrzeichen Dresdens Symbol einer neuen Zeit. Ein guter Ort, um über Krieg, Frieden und historische Wendepunkte zu sprechen.

Das dachte sich auch das Forum Frauenkirche und lud am Donnerstag den sächsischen Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD), Weltärztebund-Chef Frank Ulrich Montgomery, die Politologin Anna Holzscheiter und den Dresdner Schriftsteller Ingo Schulze ein, um das Thema "Zeitenwende – Zurück ist die Zukunft?!" zu diskutieren. Doch was heißt "Zeitenwende"?

Wenig Diskussion auf dem Podium

Der russische Überfall auf die Ukraine markiere "eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents" - das hatte Kanzler Scholz kurz nach Kriegsbeginn gesagt. Der Begriff ist Wort des Jahres 2022. Doch was er wirklich ausdrückt, darauf konnten sich die Diskutanten in der Frauenkirche nicht einigen. Gibt es eine Zeitendwende oder sind alle Krisen der letzten Jahre ein solcher Umbruch? Die Diskutanten sprangen zwischen dem Krieg in der Ukraine, der Corona-Pandemie, dem Klimawandel und der Wiedervereinigung hin und her.

Schriftsteller Schulze sah die Zeit für den Westen gekommen, sich selbst zu hinterfragen. Durch den Krieg in der Ukraine, aber auch wegen der wirtschaftlichen Zerreißproben in der Corona-Krise, müsse die Wachstumspolitik hinterfragt werden. Sie basiere auf der Ausbeutung anderer Länder. Politologin Holzscheiter bezeichnete die Zeitenwende als einen Transformationsprozess, der uns zeigt, woran wir uns gewöhnen können.

Der Radiologe Montgomery merkte an, dass der Begriff der Zeitenwende nicht eine politische Legitimation für alles sein dürfe. Die vom Bundespräsidenten angesprochene Friedensdividende dürfe unter keinen Umständen aufgegeben werden. Das weit gefasste Thema bot augenscheinlich viel Platz für verschiedenste Statements. Doch so wirklich ins Gespräch kamen die Podiumsgäste nicht.

Energiekrise als Chance für das Klima

Für Austausch auf dem Podium sorgte allein Dulig. Die "Zeitenwende" habe Sachsen aus der Lethargie gerissen, sagte der Wirtschaftsminister. Die Energiekrise sei eine Chance, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren - den vollständigen Wechsel auf erneuerbare Energien. "Ich glaube nicht, dass die Energiewende nur über Vernunft funktioniert. Die Probleme waren schon immer da, nun haben wir mit der Energiekrise einen Anlass sie endlich anzugehen".

Dafür erntete er viel Zuspruch. "Ich finde es schrecklich, dass es erst einen Krieg braucht, in dem tausende junge Männer sterben, bevor wir die Energiewende angehen", sagt Holzscheiter. In der Pandemie habe sich gezeigt, dass wir uns umgewöhnen können. Das müsse nun auch für das Sparen von Energie gelten und das nicht nur für 2023, sondern für immer, stimmt sie Dulig zu.

Weltärztebund-Chef: "Wir haben verlernt uns Sachen zuzumuten"

Schulze kritisierte die Energiekonzerne: "Wir haben einen Mangel an Energie. Trotzdem machen diese Konzerne Gewinne" Ob es nicht besser wäre, sie zu verstaatlichen, richtete er eine Frage an den Wirtschaftsminister. Der weicht aus. "Mehr Staat, da würde ich nicht widersprechen. Der Staat muss auf jeden Fall mehr Verantwortung bekommen", so Dulig. Die Pandemie und auch die Lieferengpässe hätten gezeigt, dass der Staat in Krisenzeiten durchaus in der Lage sei, schnelle und richtige Entscheidungen zu treffen.

Auch Montgomery verlangte mehr Führung. "Wir haben verlernt uns Sachen zuzumuten", meint der Weltärztebund-Chef. Die Menschen müssten den Mangel einfach aushalten. Auch in Zukunft wäre es nötig Energie einzusparen, auch wenn es keinen Mangel mehr gebe. Da müssten die Bürger Haltung zeigen.

Am Ende der Veranstaltung haben die Gäste so zwar keine Definition für die "Zeitenwende" gefunden, aber sich zumindest darauf geeinigt, dass sie eine Chance ist.