Feuilleton
Merken

Zwischen Gestapo-Verhör und verbissenem Training

Die Neuverfilmung von Stefan Zweigs „Schachnovelle“ wird durch fulminante Einzelleistungen in der Darstellerriege zu einem Ereignis.

 5 Min.
Teilen
Folgen
Albrecht Schuch (l.) brilliert als Franz Josef Böhm und Oliver Masucci als Josef Bartok in "Schachnovelle".
Albrecht Schuch (l.) brilliert als Franz Josef Böhm und Oliver Masucci als Josef Bartok in "Schachnovelle". © Studiocanal/Walker + Worm Film

Von Andreas Körner

Wir müssen reden! Über Albrecht Schuch. Der 1985 in Jena geborene Schauspieler hat sich zum Titan entwickelt, der nach zehn Jahren immer häufiger in großen und kleinen Filmen auftaucht, für den es die Unterscheidung in Haupt- und Nebenrolle nicht zu geben scheint, der durch extreme Wandlungsfähigkeit und magische Präsenz besticht und damit jeglichen Anflug eines Über-Sehens auf der Leinwand abfängt. Man kann nicht genug bekommen von Schuchs Qualität.

Er gibt einen NSU-Terroristen oder Polizisten genauso prägnant wie Naturforscher Alexander von Humboldt oder Maler Otto Modersohn, ist als „Bad Banker“ in Geldanlagen unterwegs, fotografiert in Gladbeck, hilft als Sozialarbeiter einem „Systemsprenger“-Kind oder als Kruso an der DDR schiffbrüchig Gegangenen auf Hiddensee. Zuletzt gerieten auch und gerade durch Albrecht Schuch zwei zeitgenössische Literaturvorlagen zu Kinoerlebnissen: „Berlin Alexanderplatz“ nach Alfred Döblin und Erich Kästners „Fabian oder Der Gang vor die Hunde“. Schuch erweiterte sein bestechendes Figuren-Portfolio also um einen psychopathischen Drogendealer und einen scheiternden Literaten. Seit gestern nun ist die Adaption von Stefan Zweigs „Schachnovelle“ im Kino, Schuch spielt einen Gestapo-Oberen jenseits aller Karikatur. Und im November ist er Thomas Brasch.

„Schachnovelle“ war Stefan Zweigs letztes Buch, das er nur wenige Tage vor seinem Selbstmord 1942 im brasilianischen Exil fertigstellte. Postum veröffentlicht, sollte es sein erfolgreichstes werden. Die erste Verfilmung ist längst in die Jahre gekommen. Manche sagen, sie sei verzichtbar. Gerd Oswald inszenierte 1960 Curd Jürgens, Hansjörg Felmy und Mario Adorf als „Triell“ zu Land und zu Wasser. Die Begeisterung hielt sich in vornehmen Grenzen.

Oliver Masucci als Josef Bartok in einer Szene des Films "Schachnovelle".
Oliver Masucci als Josef Bartok in einer Szene des Films "Schachnovelle". © Studiocanal/Walker + Worm Film

Nicht nur die eingangs erwähnte zeitlich dichte Abfolge verfilmter Literaturneufassungen – Thomas Manns „Felix Krull“ sei mit hinzugerechnet – führt zwangsläufig zum speziellen Fokus auf das, was Regisseur Philipp Stölzl aus dem Zweig’schen Stoff herausgeholt hat. Sehr gern wird ja danach gesehen, wie modern die Interpretation daherkommt, wie mutig, gar provokant in der Form. Burhan Qurbani („Berlin Alexanderplatz“) und Dominik Graf („Fabian“) hatten da mit jeweils dreistündigen „Paketen“ ordentlich vorgelegt. Um gleich Luft aus den Erwartungen zu nehmen: Die 2021er „Schachnovelle“ nimmt sich ihre Freiheiten, besitzt ihre Stärken jedoch nicht unbedingt als radikale Coverversion. Vor allem im Bild bleibt die Erzählung recht brav, in Teilen gar bieder.

Zum Erlebnis wird der Film am Ende durch fulminante Einzelleistungen in der Darstellerriege. Und damit erneut auch durch Albrecht Schuch. Doch Ehre, wem Ehre gebührt: Oliver Masucci in der offensichtlichen Hauptrolle ist die Säule. So war es geplant, so tritt es ein. Nein, eine Partie Schach spiele er auf gar keinen Fall mit ihm, sagt Dr. Josef Bartok (Masucci) zu Franz-Josef Böhm (Schuch). Schach sei nur etwas für preußische Generäle. Bartok aber ist österreichischer Notar, der in Wien eine prosperierende Kanzlei betrieben hat und hinter den Nummernkonten seiner Klienten üppigen Reichtum zu liegen weiß. Genau auf diesen haben es die Nazis abgesehen, die Anfang 1938 zunächst das öffentliche Bild der Hauptstadt prägen, nach dem „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich dann das mondäne Hotel Métropole zu ihrem Hauptquartier umfunktionieren und auf Gestapomänner wie Böhm setzen. Der erweist sich als so aparter wie schlauer, zunehmend bissiger Verhörer Bartoks, kann bei diesem aber weder mit Schleim, Zigaretten noch Whisky punkten. Mit Schach gleich gar nicht.

Nachdem Bartok anfangs noch dachte, man könne die Nazis in Wiener Ballsälen einfach wegtanzen, sitzt er seit Tagen, bald Wochen und Monaten in einem der Hotelzimmer in Isolationshaft und verliert mehr und mehr seinen Verstand. Als man ihn ein zigstes Mal zu Böhm verbringt, gelingt es ihm, auf dem Gang ein Buch zu entwenden. Bartok hofft auf Schöngeistiges, doch es ist ein Band über – Schach.

Anstatt endgültig daran zu zerbrechen, steigert er sich in ein Fieber hinein, lernt Züge auswendig, bastelt sich auf den Kacheln im Bad ein Spielbrett, aus Brotkrumen Schachfiguren, setzt sie mit und gegen sich selbst. Später dann, auf einer nebeligen Schiffspassage von Rotterdam nach New York, wird ihm diese Schule noch von Nutzen sein. Doch ist er überhaupt losgefahren? Hatte er je eine Frau namens Anna (Birgit Minichmayr), die ihm an Bord abhandenkommt? Oder versucht der Wahn hier nur, einen Sinn zu suchen?

Oliver Masucci spielt die Transformation seines Charakters mit allem körperlichen Einsatz, Nuancen und Vehemenz. Die Kammerszenen sind die eindrücklichsten. In den Tableaus einer eher opulenten Szenerie gleitet Regisseur Philipp Stölzl zu offensichtlich in gängige und wenig originelle Schemen eines dieser Früh-Weltkriegs-Filme ab. Mit noch mehr Mumm zum Wagnis hätte diese seine „Schachnovelle“ sogar Furore machen können.

  • Der Film läuft in den Dresdner Kinos Programmkino Ost und Schauburg.
  • Am Sonntag hat „Körners Corner“, die Kino-Talk-Reihe unseres Autoren Andreas Körner, zehnjähriges Jubiläum. Nach der 16-Uhr-Vorstellung von „Je suis Karl“ ist er dann ab 18.15 Uhr mit dem Dresdner Drehbuchautor Thomas Wendrich im Gespräch.