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Kulturhaus voll mit Flüchtlingen

Schüler vom Gymnasium Bischofswerda organisierten eine Show, die auch viele Einheimische interessiert hat.

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© Steffen Unger

Gabriele Naß und Ingolf Reinsch

Bischofswerda. Die meisten Besucher kommen in größeren und kleineren Gruppen am Mittwochabend ins Kulturhaus. So wie die Busse aus Bautzen, Kamenz, Neukirch und anderen Orten eintreffen. Sie bringen Asylsuchende aus dem ganzen Kreisgebiet nach Bischofswerda. Zwischen der Erstaufnahmeeinrichtung in Bischofswerda Süd und dem Kulti pendelt ein Kleinbus. Familie Khalaf teilt sich auf zwei Fahrten auf. Die sechsköpfige syrische Familie freut sich auf die Show „Magische Momente“, die Schüler des Goethe-Gymnasiums für diesen Abend auf die Beine gestellt haben. Sie bietet der Familie mal was anderes in ihrem Alltag, der sich seit vier Monaten in einer früheren Fabrikhalle abspielt. Die Khalafs gehörten zu den Ersten, die im September in die zur Notunterkunft umfunktionierte Halle der geschlossenen Dresdner Herrenmode eingezogen sind. Seitdem warten sie, dass sie in ein Asylbewerberheim vermittelt werden und dort ein eigenes Zimmer beziehen dürfen. Das geht erst, wenn ihre Registrierung abgeschlossen ist.

Abdulkader (rechts) und Naima Khalaf (Bildmitte) leben mit ihren Kindern sowie der Familie der Schwester von Addulkader (2.v.r.) im Erstaufnahmecamp Bischofswerda.
Abdulkader (rechts) und Naima Khalaf (Bildmitte) leben mit ihren Kindern sowie der Familie der Schwester von Addulkader (2.v.r.) im Erstaufnahmecamp Bischofswerda. © Steffen Unger
Die Sportakrobaten des MSV Bautzen 04 setzen ein erstes Glanzzeichen in der Show. Außerdem waren die Zauberkünstler Timothy Trust & Diamond und Steffen Taut sowie das Gesangsduo Helene Klanthe und Michael Netwall vom Goethe-Gymnasium zu erleben.
Die Sportakrobaten des MSV Bautzen 04 setzen ein erstes Glanzzeichen in der Show. Außerdem waren die Zauberkünstler Timothy Trust & Diamond und Steffen Taut sowie das Gesangsduo Helene Klanthe und Michael Netwall vom Goethe-Gymnasium zu erleben. © Steffen Unger

Noch immer im Camp

In den vergangenen vier Monaten sah die Familie mehrere Tausend Mitbewohner kommen und gehen. Dass Abdulkader und Naima Khalaf und ihre vier Kindern noch immer im „Camp“, wie sie es nennen, leben, hängt vor allem damit zusammen, dass ihre Daten in der zentralen Aufnahmestelle in Chemnitz noch per Hand aufgenommen worden sind, heißt es im Umfeld der Erstaufnahmeeinrichtung. Inzwischen werden neu ankommende Flüchtlinge elektronisch erfasst. Das macht die Sache einfacher und das Verfahren schneller. Familie Khalaf möchte in Deutschland bleiben. Zumindest so lange, wie in ihrem Heimatland der Bürgerkrieg tobt. Abdulkadar war in seiner Heimat Chefkoch. Er möchte in Deutschland ein kleines arabisches Restaurant eröffnen, sagt er.

Kurz vor 19 Uhr. Familie Khalaf sitzt im großen Saal. Der ist mit Bändern und Luftballons geschmückt. Die Stuhlreihen sind eng gestellt. Über 700 Besucher, darunter 600 Flüchtlinge, sind gekommen. Aus dem Lautsprecher klingt Musik. Die Vorfreude steigt. Dann eröffnen Leon Blankenstein und Halime Ibrahim gemeinsam die Show – der Großharthauer Leon auf Deutsch, die Libanesin Halime auf Arabisch. Dass jetzige und frühere Schüler des Gymnasiums, die sich zur Gruppe Schüler für Flüchtlinge zusammengeschlossen haben, eine solche Veranstaltung organisieren, findet Abdulkader Khalaf klasse. Sie bringt menschliche Nähe, aber auch die Unbeschwertheit rüber, die in der Zeit des Wartens und der Ungewissheit im Camp oft fehlt.

Situation ist ruhiger geworden

Es gab Zeiten, da teilte sich die syrische Familie die Werkhalle mit über 600 anderen Menschen. Mit Stand vom Dienstag dieser Woche leben derzeit 115 Flüchtlinge in der Halle: 69 Männer bzw. Jungen und 46 Frauen und Mädchen. 42 von ihnen sind Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre. Die größte Gruppe sind die Syrer mit 56, dann die Afghanen mit 43. Die Situation mit weniger Bewohnern ist jetzt wesentlich ruhiger und entspannter als noch vor einigen Wochen, sagt Abdulkader Khalaf. Einen großen Teil ihrer Zeit verbringen er und seine Familie mit Warten. Und Tee trinken. Und Deutsch lernen. In der Erstaufnahmeeinrichtung werden dafür Kurse angeboten. „Die Familie gehört im Deutschkurs zu den eifrigsten“, sagt Michaela Hanisch, die Leiterin des Teams für die soziale Betreuung im Camp. Die Bischofswerdaerin gibt selbst Deutschunterricht und hält Kurse, die Alltagshilfe vermitteln – von einfachen Grundregeln im Land bis zu dem, was man alles bei einem Arztbesuch oder dem Einkauf in der Apotheke beachten sollte.

Privatsphäre gibt es nicht

Auf wenigen Quadratmetern haben sich Familie Khalaf und Abdulkaders Schwester in der großen Halle eingerichtet. Privatsphäre gibt es dort nicht. Doch der 47-Jährige Familienvater beklagt sich nicht. Er spricht ruhig, nett, mit einem gewinnenden Lächeln. Abdulkader Khalaf ist froh, seine Familie und sich in Sicherheit zu wissen. In seiner Heimatstadt Qamischli im Norden Syriens gibt es seit Jahren Kämpfe zwischen kurdischen Rebellen und Regierungstruppen. Der Bürgerkrieg verschärfte die Lage noch. Die Rebellen kontrollieren weite Teile der 200 000 Einwohner großen Stadt, die Regierungstruppen die Hauptmagistrale, den Flughafen und den Grenzübergang zur Türkei. Erst im Dezember kamen nach Angaben der syrischen Opposition 16 Menschen bei Anschlägen ums Leben. Da lebte Familie Khalaf schon drei Monate in Deutschland. „Wäre es in Syrien sicher, hätten wir uns nicht auf die weite Flucht gemacht“, sagt Abdulkader Khalaf.

Das gut einstündige Programm mit Zauberkunst, Gesang und Akrobatik lässt die Sorgen an diesem Abend vergessen. Die Gruppe Schüler für Flüchtlinge hat bereits mehrfach mit Veranstaltungen auf sich aufmerksam gemacht, bei denen Flüchtlinge willkommen geheißen werden sowie Einheimische und Flüchtlinge die Chance haben, sich zu treffen. Die Schüler arbeiten auch regelmäßig ehrenamtlich als Betreuer in der Erstaufnahme und im Asylbewerberheim Bischofswerda. Die Veranstaltung war die bisher größte.

An diesem Freitag gibt es im Eastclub Bischofswerda ein Welcome-Soli-Konzert“, ebenfalls organisiert durch die Schülergruppe vom Gymnasium. Beginn ist 18 Uhr.