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Kultwurst kommt ins Fernsehen

Ein Team vom MDR filmte am Mittwochmorgen, was die Großenhainer früh aus den Betten treibt: die Kesselwurst.

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© Klaus-Dieter Brühl

Von Catharina Karlshaus

Großenhain. Mittwochs ist die Welt noch in Ordnung. Dann kringelt sich die Schlange vor Bernd Gawalskis Laden, als ob es kein Morgen mehr gebe. Dosen, Eimer, Schachteln. Die wartenden Menschen halten alles in ihren Händen, was irgendwie dafür geeignet zu sein scheint, die leckere Beute transportieren zu können. Vorzugsweise auf den Frühstückstisch, denn Tradition ist nun mal Tradition.

Frank Bormann füllt die Würste aus dem Kessel in die Behälter der Kunden.
Frank Bormann füllt die Würste aus dem Kessel in die Behälter der Kunden. © Klaus-Dieter Brühl
Fleischermeister Peter Gawalski gilt als Erfinder der kultigen Kesselwurst.
Fleischermeister Peter Gawalski gilt als Erfinder der kultigen Kesselwurst. © Klaus-Dieter Brühl
Für eine frische Kesselwurst ist das Schlangestehen am frühen Morgen überhaupt kein Problem. Am besten mit eigenem Behälter.
Für eine frische Kesselwurst ist das Schlangestehen am frühen Morgen überhaupt kein Problem. Am besten mit eigenem Behälter. © Klaus-Dieter Brühl

Seit Jahrzehnten bereits stehen die Kunden aus Großenhain und den umliegenden Ortschaften an, um für inzwischen 85 Cent zu kaufen, was hier reichlich über die Ladentafel geht: die Kesselwurst. Eine herzhafte Spezialität, die an diesem Januarmorgen ein Kamerateam des MDR angelockt hat. „Wir hatten mal gemeinsam einen Dreh in der Leipziger Oper. Und unser Tontechniker Dirk Junghanns schwärmte uns von der guten Großenhainer Kesselwurst vor. Am nächsten Tag hab ich sie gekostet und war völlig hin und weg“, bekennt Matthias Eichhorn und lacht.

Die Müdigkeit ist dem Kameramann nicht anzusehen. Gewissermaßen mit der notwendigen Portion Leidenschaft in Blick und Magen tut Eichhorn seit 5 Uhr alles dafür, die Hauptdarstellerin gut in Szene zu setzen. Schließlich soll die Kesselwurst in der Sendung „MDR um 4“ als kulinarischer Hingucker über den Bildschirm flimmern. Zwei Stunden länger auf den Beinen ist um diese Zeit jener Mann, der zusammen mit seinen Mitarbeitern alles dafür getan hat, dass heute bereits um 4.30 Uhr die ersten Würste verkauft worden sind. „Die Leute müssen dann zur Arbeit fahren und legen mittwochs hier einen kurzen Zwischenstopp ein, damit die erste Pause gesichert ist“, weiß der 47-Jährige.

Ein Problem damit, so früh aufzustehen, hat der Fleischermeister nicht. Was er tut, macht er in Familientradition mit viel Herzblut. Und das bedeutet praktisch, zunächst eine Mischung aus magerem Rind- und Schweinefleisch, Schweinebauch- und Speck nebst Eis, Salz und verschiedenen Gewürzen herzustellen. „Danach wird alles im Fleischwolf durchgelassen, anschließend im Kutter feinstzerkleinert.

Die so entstandene Masse wird in die Därme gefüllt, getrocknet und geräuchert, und schließlich im Wasserkessel gebrüht“, erklärt Bernd Gawalski. Dass die Kamera läuft und Redakteur Jens Trocha hier und da noch einmal nachfragt, bringt Bernd Gawalski keineswegs aus der Ruhe. Der Großenhainer spricht schließlich über seine berühmteste Ware. Mit ihr ist er aufgewachsen und hat von seinem Vater Peter alles mit auf den Weg bekommen, was eine gute Kesselwurst ausmachen sollte. „Sie schmeckt am allerbesten, wenn sie frisch aus dem Kessel verzehrt wird!“ Der zeitliche Rhythmus vom Räuchern, dem 25-minütigen Bad im Kessel bis hin zum Kunden mache die Qualität der Wurst aus.

Eine, die sich über Jahrzehnte hinweg tatsächlich nie verändert habe. Geschmack und Geruch, alles sei beim Alten geblieben loben die Kunden. Und erinnern den einen oder anderen, der in der Warteschlange steht, an die kollektiven Frühstücksrunden von einst. „Kesselwurst habe ich das erste Mal 1988 während meiner Lehre gegessen. Ich fand sie so großartig, dass ich sie seitdem jeden Mittwoch kaufe“, bekennt Andre Szameitat. Der 47-jährige Großenhainer ist mittlerweile als Fuhrparkleiter im sächsischen Binnenhafen Dresden tätig und hat sich erst im letzten Jahr einen großen Kübel zum Transport zugelegt. Nur 35 Würste kredenzt er an diesem Mittwoch seinen Kollegen. Sonst seien es gut 50.

Mengen, über die sich Fleischer Frank Bormann und Verkäuferin Christin Nicklisch schon lange nicht mehr wundern. Die Beiden sind ein eingespieltes Mittwochsteam. Schon kurz nach sechs wechselten 69 Würste den Besitzer. Wenn die Kunden zuschlagen, dann aber richtig.

Zusehends leert sich der Wagen, auf welchem immer 24 Spieße mit jeweils 28 Würsten hängen. 32, 57, 48, es ist erst kurz nach sieben Uhr und doch geht es Schlag auf Schlag. Der überlieferte Satz „Mutter, heute nehm ich keene Bemme mit, heut gibt’s Kesselwurscht“, scheint auch 2018 noch für ganze Belegschaften zu gelten. „Aber sicher! 1985 bin ich auf den Geschmack gekommen und hole heute 45 für die Firma“, bestätigt Michael Winkler.

Zwei Stunden später – über der Röderstadt ist es mittlerweile hell geworden – geht es noch immer um die Kesselwurst. Nicht mehr lange allerdings, dann werde der Ansturm erfahrungsgemäß abreißen. Der MDR hat inzwischen seine Aufnahmen im Kasten und packt langsam zusammen. Kunden, die sich nicht rechtzeitig eingefunden haben, bleiben immer noch traditionelle Bockwürste und die Aussicht auf den nächsten Mittwoch. Denn dann gibt es bei Bernd Gawalski auf der Elsterwerdaer Straße in Großenhain wieder die um 1972 kreierte Kesselwurst. Knackig, würzig und beliebt wie eh und je.