Von Rainer Kasselt
Eduard Geyer ist restlos sauer. Als Nationaltrainer bereitet er das 293. und letzte Länderspiel der DDR-Elf vor. Es findet am 12. September 1990 in Brüssel statt. Er weiß nicht, wen er gegen Belgien aufstellen soll und telefoniert „wie ein Blöder“ herum. Die Spieler sind mit ihren Gedanken längst im Westen. Geyer bekommt 22 Absagen. „Ulf Kirsten, Andreas Thom, Thomas Doll – alle ließen sich durch fadenscheinige Begründungen entschuldigen.“ Matthias Sammer gehört zu den wenigen, die zur Stange halten. Er sorgt mit seinen beiden Toren, den letzten Treffern für die DDR, für den unerwarteten 2:0-Sieg.
Ein „denkwürdiges Ereignis“ auch für den Trainer, der sich 25 Jahre danach daran erinnert. Im ausführlichen Gespräch mit dem Sportjournalisten Gunnar Meinhardt denkt der 70 Jahre alte Eduard Geyer über Fußball, Karriere und Privatleben nach. Kritisch, drastisch, streitbar. Als Spieler wird er, den alle nur Ede nennen, zweimal mit Dynamo Dresden DDR-Meister, einmal als ihr Trainer. Legendär ist sein Ruf als Coach von Energie Cottbus. Im Jahr 2000 führt er die namenlose Truppe in die Bundesliga. In Cottbus hängt das Theater ein Plakat raus: „Eduard Geyer – mächtig gewaltig“. Die finanziell schwachbrüstige Mannschaft drei Jahre in der obersten deutschen Spielklasse zu halten, nötigt Experten höchsten Respekt ab. Trainer-Kollege und Bild-Kolumnist Max Merkel vergleicht die Leistung mit einer „Ozeanüberquerung im Faltboot“.
Als Trainer musst du unbequem sein, so Geyers Überzeugung. Mit Lob geizt er. „Wenn ein Spieler bei mir eine Zwei bekam, war er schon Weltklasse.“ Er verlangt Disziplin, Ordnung, höchsten Einsatz. „Gegen mein Training ist die Bundeswehr wie Urlaub.“ Kommt einer zu spät oder trinkt vor dem Spiel, „dann gab’s eine vors Geweih“. Seine oft zitierten Sprüche sind spontan, originell, haben Witz. Kleinliche Schiedsrichter nerven ihn: „Er hat sogar beim Husten eines Maulwurfs gepfiffen.“
Nach einem vergebenen Elfmeter spottet Geyer: „Der Ball war so lasch geschossen, den konnte man unterwegs noch aufpumpen.“ Vor einem Match das Maul groß aufreißen ist seine Sache nicht. Man muss erst etwas leisten. „Lächle erst auf dem Heimweg“, lautet Geyers Devise.
In den Medien wird er bewundert und gescholten. Sie nennen ihn Ede Gnadenlos, harter Hund, cholerischer Schleifer, Quälgeist, Ausraster-König. Im Interview weist Geyer einiges zurück. „Ich war nicht gnadenlos, ich habe die Mannschaft fit gemacht.“ Wer gewinnen will, muss Gas geben, sagt er. Wer nicht mitzieht, sich nicht voll hingibt, zu dem dürfe der Trainer „auch mal Arsch sagen können“.
Im Gespräch mit Gunnar Meinhardt, der bei der Zeitung Junge Welt begann und jetzt für Die Welt schreibt, nimmt Geyer kein Blatt vor den Mund, schont auch die Zunft des Interviewers nicht. „Journalisten sind Klugscheißer, die wissen nach dem Spiel immer alles viel besser. Ich aber muss vor dem Spiel entscheiden.“ Geyer teilt nicht nur aus, er steckt auch ein, bekennt sich zu seiner Stasi-Mitarbeit. „Aus heutiger Sicht, mit dem Abstand von fast drei Jahrzehnten, sehe ich meine IM-Aktivitäten sehr kritisch. Ich möchte nichts abstreiten und auf keinen Fall rechtfertigen – aber leider kann ich nichts rückgängig machen.“
Manchmal wird er fast philosophisch: „Jemandem verzeihen zu können, macht das eigene Leben leichter.“ Viel Zeit verbringt er mit der Familie, seinen zwei Söhnen Ronald (Rechtsanwalt) und Jan (Physiotherapeut) und den drei Enkelkindern. Mit Ehefrau Angelika ist Geyer seit fast fünfzig Jahren verheiratet, sie haben sich in der Oberschule kennengelernt. „Eine bessere zweite Hälfte könnte ich nicht haben.“ Sie sei vorsichtiger und überlegter als er, berät ihn in allen Fragen.
Das Interviewbuch ist oft schlecht redigiert, hat ärgerliche Wiederholungen, zu lange Spielberichte, wirkt unstrukturiert. Aber es gewährt einen beinahe intimen Einblick in Geyers Welt. Er treibt täglich Sport, spielt Golf, trinkt gern „ein schönes Bier“. Seine Antworten sind unkonventionell, auch überraschend. „Ich liebe Frauen, aber sie müssen nicht unbedingt Fußball spielen.“ Schießt Geld Tore? „Klar. Du musst es natürlich richtig einsetzen.“
Was sagt er zu Dynamos Sportvorstand Ralf Minge? „Er war ein guter Fußballer. Aber ist er auch ein guter Sportdirektor?“ Auf einen Anruf wartet Eduard Geyer heute nicht mehr. Gern hätte er in seinen besten Zeiten Bundesliga-Klubs wie Schalke 04 oder den FC St. Pauli trainiert. Sie hätten zu ihm und seiner direkten Art gepasst. Doch heute, mit fast 71, noch mal Trainer sein? „Nein, damit habe ich abgeschlossen.“
Eduard Geyer: Einwürfe. Über Fußball, die Welt und das Leben in Gesprächen mit Gunnar Meinhardt, Verlag Neues Leben, 272 Seiten, mit Fotos, 17,99 Euro
Lesungen am 11. 10., 18.30 Uhr, Stadtbibliothek Riesa, 13. 10., 20.15 Uhr, Thalia Haus des Buches Dresden