Nürnberg/Berlin - Die Lage auf dem Ausbildungsmarkt hat sich weiter zugespitzt: Die Lehrstellenlücke erreichte Ende September mit 49500 den höchsten Stand seit der Wiedervereinigung, erstmals übersteigt die Zahl der Altbewerber um einen Ausbildungsplatz die Zahl der neu hinzugekommenen Schulabgänger. Nur knapp die Hälfte der mehr als 760.000 Bewerber bekam auf Anhieb eine betriebliche Lehrstelle. Vor allem in Westdeutschland drängen nach wie vor die geburtenstarke Jahrgänge auf den Lehrstellenmarkt.
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) zeichnete am Mittwoch ein sehr differenziertes Bild des Ausbildungsmarktes. Industrie, Handel und Handwerk haben zwar 14.000 mehr neue Ausbildungsverträge mit jungen Menschen abgeschlossen als im Vorjahr - gleichzeitig stieg aber die Zahl der Bewerber um gut 22.000 auf 763.000.
Die Statistik der BA weist kein rosiges Bild aus: Bundesweit kommen 100 Bewerber auf 54 betriebliche Ausbildungsstellen. „In keinem der 16 Bundesländer gibt es einen Stellenüberhang“, zog BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt Bilanz des Berufsberatungsjahres 2005/2006. Lediglich in Hamburg ergibt sich mit 98 Stellen je 100 Bewerber ein relativ ausgeglichenes Bild. Andererseits hoffen viele junge Menschen aus Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen auf einen Ausbildungsplatz im Stadtstaat. Deutlich größer als im Westen ist der Bewerberüberhang in Berlin und den neuen Bundesländern. Dort kämpfen rein rechnerisch drei Bewerber um eine Stelle. Die Situation in Sachsen und Brandenburg ist aus der Sicht von BA-Vize Alt „fast dramatisch“. In Brandenburg standen Ende September für 34589 Bewerber lediglich 8758 betriebliche Lehrstellen zur Verfügung, das entspricht exakt einem Verhältnis von vier zu eins. Zumindest im Osten sinkt die Zahl der Schulabgänger mittlerweile. In Westdeutschland lag die Zahl der Lehrstellenbewerber dagegen um 21.000 über der des Vorjahres.
Von den insgesamt 763.100 Bewerbern fanden lediglich 48 Prozent einen betrieblichen Ausbildungsplatz. Rund 80.000 zogen es angesichts des Lehrstellenmangels vor, weiter zur Schule zu gehen oder ein Studium zu beginnen. Knapp 64.000 junge Menschen kamen in berufsvorbereitenden Maßnahmen wie dem Berufsgrundschuljahr oder der Einstiegsqualifizierung unter. 86000 Jugendliche nahmen ohne Ausbildung einen Job an oder strebten eine Arbeitsaufnahme an. Mehr als 110.000 entschieden sich dafür, ihren Wehr- oder Zivildienst abzuleisten beziehungsweise ein freiwilliges soziales Jahr. Neben der wachsenden Zahl von Altbewerbern, die sich nach Wehrdienst, weiterführenden Schulen oder Qualifizierungsmaßnahmen erneut um eine Lehrstelle bewerben, spiegeln sich auch die Hartz-IV- Reform und die Einführung von Studiengebühren in der Statistik. Zunehmend bewerben sich auch frühere Sozialhilfeempfänger um einen Ausbildungsplatz. Andererseits drängen immer mehr Abiturienten auf den Lehrstellenmarkt.
Probleme haben vor allem Jugendliche, die die Schule ohne die notwendige Ausbildungsreife verlassen. Nach Einschätzung von Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt hat sich mittlerweile eine nicht akzeptable „Bugwelle an Jugendlichen ohne echte Beschäftigungsperspektiven“ aufgebaut. Auch nach Meinung der Gewerkschaften und der Sozialverbände müssen die Schulen besonders leistungsschwächere Jugendliche besser auf eine Berufsausbildung vorbereiten. Schließlich hat fast die Hälfte der derzeit rund 525.000 arbeitslosen Jugendlichen unter 25 Jahren keinen Beruf erlernt. (dpa)