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Lange Wege für Gemüse und Butter

Der Lebensmittelmarkt in Wittgendorf ist seit Ende 2015 zu. Vor allem für ältere Einwohner ist das eine Belastung.

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© Rafael Sampedro

Von Jan Lange

Wenn Erika Pietsch ein Stück Butter, eine Tüte Milch oder etwas Wurst braucht, dann muss sie dies gut planen. Mal eben schnell die 400 Meter bis zum Lebensmittelmarkt im Oberdorf zu laufen, ist nicht mehr möglich. Denn der Markt in Wittgendorf ist seit fast einem Jahr geschlossen. Der Inhaber hat nach gut 20 Jahren die Filiale in dem Zittauer Ortsteil aufgegeben – auch weil die Zahl der Kunden über die Jahre immer weiter zurückging. Erika Pietsch ist bis zuletzt hier einkaufen gewesen. Mindestens einmal die Woche holte sie sich alles, was sie brauchte.

Mit der Schließung des Einkaufsmarktes stand die 88-Jährige vor einem Problem: Woher bekommt sie jetzt ihre Lebensmittel? Ein eigenes Auto hat sie nicht und die Busverbindungen sind auch nicht die besten. Kurz vor neun und gegen 14 Uhr fährt ein Bus in Richtung Zittau. Dann müsste die alte Dame aber den vollen Einkaufskorb vom Markt bis zur Bushaltestelle und bis nach Hause tragen. Außerdem kann sie nicht mehr so gut sehen und deshalb nicht allein mit dem Bus nach Zittau fahren. Helfer in der Not ist Familie Reimann, die schräg gegenüber wohnt. Wenn Erika Pietsch nur ein paar Kleinigkeiten braucht, dann bringt ihr Sylvia Reimann die Sachen mit. Bei größeren Einkäufen fährt die 88-Jährige zusammen mit den Nachbarn zum nächsten Lebensmittelmarkt. „Sie haben mir sehr viel geholfen“, ist Erika Pietsch dankbar über die Unterstützung der Reimanns. Für Sylvia Reimann ist diese Hilfe selbstverständlich. Man kenne sich seit vielen Jahrzehnten und das Verhältnis sei immer gut gewesen.

Neben dem Einkaufsmarkt hat Wittgendorf in den vergangenen Jahren auch den Hausarzt, beide Schulen, die Sparkasse und zuletzt im September die Zahnärztin verloren. Erika Pietsch findet es nicht in Ordnung, wenn alles zumacht. Um etwas Geld bei der Sparkasse abzuheben, musste sie früher nur ein paar Schritte laufen, nun muss sie jedes Mal ein Taxi rufen oder auf nachbarschaftliche Hilfe hoffen. „Für die jungen Leute mit Auto ist es kein Problem, aber wenn man alt ist, dann ist es nicht mehr so einfach“, meint die 88-Jährige.

Ortsbürgermeister Frank Härtelt (CDU) versteht die Sorgen der älteren Wittgendorfer. Er setzt sich für den Erhalt der Infrastruktur im Ort ein. Bei privaten Angeboten sei es jedoch schwieriger als bei kommunalen Einrichtungen. Denn ob jemand einen Lebensmittelmarkt betreibt, sei seine ganz eigene Entscheidung. Das frühere Kaufhaus ist, wie der bisherige Eigentümer bestätigt, mittlerweile verkauft. Die neuen Besitzer, die nicht aus Wittgendorf sind, wollen hier nach SZ-Informationen einen Online-Handel betreiben.

Auch wenn es wohl keinen neuen Lebensmittelmarkt geben wird, ganz von der Versorgung mit Dingen des täglichen Bedarfs sind die Wittgendorfer nicht abgeschnitten. So steuern beispielsweise zwei Ostritzer Bäcker mit ihrem Verkaufswagen auch Wittgendorf an. Der eine hält am Freitagmorgen auf dem Parkplatz am alten Gemeindeamt, der andere folgt gut zweieinhalb Stunden später und macht gleich an drei Stellen Station.

Auch Erika Pietsch holt sich am Bäckerauto frisches Brot und Brötchen. Sie ist froh, dass wenigstens die Bäcker durch Wittgendorf fahren. Das sei eine Erleichterung. Für Elfriede Schneider ist der Weg bis zum Bäckerauto zu weit, da sie auf der sogenannten Romerei, fast am Ende des langgezogenen Ortes wohnt. Bis Ende vorigen Jahres holte sie sich jeden Freitag frische Backwaren im Lebensmittelmarkt, jetzt bringe ihr die Nichte Brot mit. Der Schwiegersohn sei ebenfalls sehr hilfsbereit, sagt Frau Schneider. Er helfe ihr bei den schweren Sachen wie beispielsweise Wasserkästen. Bei kleineren Besorgungen fährt Elfriede Schneider mit dem Bus in die Stadt. Seit der Schließung des Einkaufsmarktes sei es schwierig geworden, meint die Wittgendorferin. Dass sie andere Leute belästigen muss, darüber ist sie nicht so glücklich.

Erika Pietsch sieht es genauso. Früher habe sie nicht immer jemanden gebraucht, der ihr helfe. Bisher haben die Nachbarn stets ja gesagt, wenn sie etwas benötigte. Trotzdem würde sie sich wünschen, dass auch ein mobiler Lebensmittelhändler durch den Ort fährt. Bei ihrem Enkel, der bei Halle wohnt, komme jede Woche ein solches Verkaufsauto durch den Ort. „Das müsste doch auch hier möglich sein“, findet die 88-Jährige. Bis dieser Wunsch erfüllt ist, muss Frau Pietsch weiter auf die Hilfe der Nachbarn setzen. Der Einkaufszettel fürs nächste Mal ist schon in Vorbereitung.