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Langjährige Haftstrafe für Pflegeoma

Warum tötet eine 70-Jährige den von ihr geliebten Pflegejungen? Nun ist der Prozess gegen die Frau aus Künzelsau zu Ende gegangen. Eine klare Antwort gab er nicht.

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Die Angeklagte am Montag in einem Gerichtssaal des Landgerichts Heilbronn.
Die Angeklagte am Montag in einem Gerichtssaal des Landgerichts Heilbronn. © dpa/Linda Vogt

Von Linda Vogt

Heilbronn. Zwei Fotos gingen einem im Verfahren um den gewaltsamen Tod eines Siebenjährigen nicht mehr aus dem Kopf, erzählt der Vorsitzende Richter. Auf dem ersten sei das Kind im Schlafanzug zu sehen: "Es zeigt einen fröhlich dreinschauenden Jungen, der sich offensichtlich bei seiner "Oma Elisabeth" pudelwohl fühlt." Das zweite Foto wird die Polizei Stunden später machen: Leblos liegt der Junge auf dem Boden, seine Mutter hat den Arm um ihn gelegt, versucht ihn zu wärmen. Das Kind ist da bereits mehrere Stunden tot - umgebracht hat ihn die Frau, die auf den Jungen seit dessen früher Kindheit immer wieder aufpasste und die er "Oma Elisabeth" nannte.

Er "musste sterben, ohne dafür den geringsten Grund oder Anlass zu liefern", erklärt der Vorsitzende Richter Roland Kleinschroth am Landgericht Heilbronn. Wegen Totschlags wird die 70-Jährige am Montag zu einer Gefängnisstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Eltern des getöteten Jungen bemühen sich, im Gerichtssaal die Fassung zu wahren. Als es um den Morgen des 28. April geht, um den Moment, als jenes Polizeifoto entstand, lässt der Vater die Hand seiner Frau los und legt den Arm um sie. Der Richter fährt fort: Weder Ärzte noch Polizisten hätten damals in Künzelsau gleich Kraft und Mut gefunden, die Mutter von der Leiche ihres Sohns zu trennen. "Unfassbar ist das Leid, das über dieser Tat und dem ganzen Verfahren schwebt."

Hinweise auf Erkrankung

Die Angeklagte übernahm im Prozess zwar die Verantwortung für die Gewalttat - die Frage, wie und warum es dazu kam, beantwortete sie nicht. Für das Gericht lieferte ein Kernspintomograf einen Teil der Antwort: Veränderungen im Gehirn deuteten auf eine depressive Erkrankung hin - eine eingeschränkte Steuerungsfähigkeit sei demnach nicht auszuschließen.

Der Richter spricht von einem Motivbündel. Die Angeklagte sei überlastet und aufgewühlt gewesen. In ihren Gedanken häufte sie mitunter alltägliche Probleme an und steigerte sich hinein. Der Junge, der wie schon häufig zuvor bei ihr übernachtete, lag zu diesem Zeitpunkt unruhig neben ihr im Bett, brachte sie um den Schlaf, wie der Richter ausführt. "Das Motiv war: Mir ist grad alles zu viel, ich will meine Ruhe."

Mindestens drei Minuten schnürte die Frau dem Jungen die Luft ab. Der Richter dreht eine Sanduhr um, macht den Zeitraum spürbar. Nach etwa einer Minute habe der Körper angefangen zu krampfen, sagt Kleinschroth. "Ausgeschlossen, dass das jemand macht, der nicht mehr weiß, was er tut." Es bestehe nicht der geringste Zweifel daran, dass die ausgebildete Krankenschwester den Jungen vorsätzlich tötete. Damit wendet sich der Richter gegen die Auslegung der Verteidigerin, die auf einen Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung plädierte.

"Richtig verstehen wird das niemand"

Der Anwalt der Eltern, die als Nebenkläger auftraten, forderte ebenso wie der Staatsanwalt eine Verurteilung wegen Mordes. Er erklärte in seinem Schlussvortrag: Die beiden hätten durch den Prozess verstehen wollen, Antworten finden wollen, um verarbeiten zu können. Zum Auftakt vor mehr als vier Monaten hatte sich die Mutter schluchzend an die Pflegeoma gewannt: "Lass uns nicht zurück in dem schwarzen Loch."

"Ich finde keine Worte für das, was passiert ist", sagte die Angeklagte in ihrem letzten Wort. Erst am Ende des Prozesses hatte sie sich überhaupt begonnen, auszusagen - und verstrickte sich in Widersprüche. Sie konnte oder wollte sich nicht mehr erinnern, befand der Richter. "Natürlich wären Sie die Einzige gewesen, die uns alles hätte erzählen können", wendet sich der Richter an die Angeklagte. Er fügte hinzu: "So richtig verstehen wird das alles sowieso niemand." (dpa)