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Laufen für das Leben

Zehn Afrikaner haben beim Dresdner Morgenpost-Marathon ein besonderes Ziel.

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© Wolfgang Wittchen

Von Jochen Mayer

Der Sieger rannte um sein Leben, zumindest um seinen Lebensunterhalt. Neda Muleta schmunzelt in sich hinein, beobachtet das Treiben im Ziel-Areal des Morgenpost-Marathons. Dann federt der Äthiopier locker auf das Siegerpodest. Die beiden Platzierten aus Kenia bewegen sich dagegen steifbeinig. Kein Wunder, sie haben gerade den Marathon hinter sich gebracht – in ansprechenden Zeiten. Die ersten drei bleiben unter 2:16 Stunden. Muleta ist der Entspannteste der drei. Er hat sein großes Ziel erreicht – die Siegprämie.

Gladys Kiprotich aus Kenia verfehlt nur knapp den Marathon-Streckenrekord.
Gladys Kiprotich aus Kenia verfehlt nur knapp den Marathon-Streckenrekord. © Wolfgang Wittchen

Für die allermeisten der fast 8 000 Läufer, die sich auf einer der vier Distanzen gemeldet hatten, ist die Preisgeldinformation eher das Kleingedruckte. Zehn Afrikaner haben es aber genau darauf abgesehen. Gleich fünf Männer rannten um diese Bonuszahlungen im Marathon. Doch nur die ersten drei kommen in den Genuss einer Prämie. Antrittsgelder werden schon lange nicht mehr gezahlt beim Traditionslauf.

Für Marathonsieger Muleta hat sich Dresden gelohnt. Der 25-Jährige sicherte sich die 2 000 Euro für den Marathonsieg. Dazu kommen 1 000 Euro für seine Zeit unter 2:15 Stunden. Eine Sekunde mehr hätte die Summe um 200 Euro geschrumpft. „Das ist viel Geld für einen Äthiopier“, weiß Brahim Chalgoum, der Manager des Läufers. „Schon mit 1 000 Euro kann er zu Hause acht Monate leben. Eine Arbeit hat er nicht. Die gibt es auch nicht. Es fehlt an allem, auch an Schulen. Das Beste, was er hat, sind seine Beine. Er lebt vom Laufen.“

Der Marokkaner Chalgoum entwickelte daraus eine Geschäftsidee. Einst ein guter Läufer, der bei 1 500-Meter-Ex-Weltrekordler Said Aouita trainierte und bei einer Cross-WM-startete, betreut er heute Afrikaner. Wie viele, lässt er sich nicht entlocken.

Der Dresdner Sieger Muleta gewann dieses Jahr schon den Annecy-Marathon in Frankreich. Mehr als zwei Rennen über 42,195 km im Jahr soll er nicht angehen, um Kräfte zu sparen. Am 25. September kam er wieder nach Europa, belegte Rang zwei über 30 Kilometer in Lugano. „Natürlich wollten wir auch da die Prämie“, sagt Chalgoum. „Wir laufen nicht um Äpfel.“ Heute fliegt Muleta wieder zurück.

Die Touren sind knapp geplant und scharf kalkuliert. Für den Trip nach Dresden war keine Übernachtung vorgesehen. Von ihrem Standort bei Koblenz ging es gestern Nacht um 3 Uhr im Auto los, ohne Frühstück. „Sie beziehen ihre Energie aus dem Kopf“, behauptet der Manager. „Und den Äthiopiern macht die Kälte nichts aus.“ Deshalb stand der Dresdner Sieger auch nicht schlotternd in der Herbstkühle von zehn Grad, obwohl er nur einen dünnen Trainingsanzug trug. Angeblich sind die Läufer aus Kenia nicht so abgehärtet, glaubt Chalgoum: „Die haben schnell mal drei Jacken an.“ Ein spöttischer Unterton klingt an. Aber er kennt auch seine Athleten aus Kenia, Äthiopien und Eritrea.

Der Manager sieht sich als Mädchen für alles, er regelt den Alltag für seine Läufer, wenn die in Europa sind. Vergangenes Jahr hatte er den Dresdner Lauf erstmals erlebt. Sie kommen wieder. Obwohl er auch sagt: „Frankreich ist für uns der bessere Markt. Da wird mehr gezahlt. Und es gibt mehr Wettkämpfe, mitunter 50 an einem einzigen Wochenende.“

Um neue Kunden ist dem Manager nicht Bange. Er hat einen Mitarbeiter in Äthiopien, der nach Talenten späht. „Sie sind immer in der Höhe unterwegs, auf etwa 2 500 Metern. Das schafft wunderbare Ausdauer-Grundlagen“, sagt Chalgoum, der die schwierigen Lebensumstände in Afrika kennt. „Sie haben nur das Laufen im Kopf, es gibt kaum Ablenkung. Ihr einfacher Tagesablauf besteht aus Essen, Schlafen, Laufen. Sie trainieren zwei- bis dreimal am Tag.“

Mit Händen und Füßen macht sich der Manager verständlich, da sein Äthiopier kein Englisch spricht. So musste er seinem Schützling auch verständlich machen, dass von der Dresdner Siegerprämie auch noch Steuern abgehen. Und sein Honorar.

Deutlich weniger Prämien bekommen die Halbmarathonläufer. Die 400 Euro für den Frauen-Sieg holte sich Gesa Bohn, Marketing-Mitarbeiterin bei Adidas in Herzogenaurach. Die 27-Jährige wunderte sich darüber, dass keine Afrikanerinnen in ihrer Wertung waren. So war ihr Weg frei. Drei Kenia-Frauen hatten anderes im Sinn, sie teilten sich die Marathon-Prämien unter sich auf. Die Dritte bekam 700 Euro und hatte richtig gepokert.

Zufrieden mit dem Laufsonntag war auch Vereinspräsident Gerald Henzel: „Das Echo der Aktiven war positiv, auch zur neuen Streckenführung. Und das Wetter passte den Läufern, die Zeiten konnten sich sehen lassen.“ Und doch hat er einen Traum: „Irgendwann mal 10 000 Teilnehmer.“ Womit er immer rechnen kann: Die Afrikaner kommen wieder.

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