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Leben lernen auf dem Keulenberg

Auf dem Berg der Heimat gibt es jetzt eine pädagogisch-therapeutische Wohngruppe. Die SZ stellt das Projekt vor.

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© René Plaul

Von Frank Oehl

Der Keulenberg liegt am Donnerstag im gleißenden Sonnenlicht. Klärchens Februar-Wärme wird von einer dünnen Schneedecke gespiegelt – und zugleich kontrastiert. Es riecht irgendwie nach Winterurlaub, man würde am liebsten ein paar Skier unterschnallen und in eine Loipe steigen. So schön ist es in der Nähe, man mag es kaum glauben! Der Berg der Heimat, vor mehr als 25 Jahren von den Menschen quasi aus Staatshand zurückerobert, ist ein touristisches Kleinod. Das freilich als solches nicht erschlossen wurde. Alle Versuche, auf dem Gipfel nachhaltigen Fremdenverkehr zu ermöglichen, sind gescheitert. Warum auch immer. Seit ein paar Monaten hat sich die Radebeuler Sozialprojekte gGmbH (kurz: Rasop) eingemietet. Sie betreibt hier eine pädagogisch-therapeutische Wohngruppe. Das „Haus Keulenberg“ ist wieder belebt, wenn auch anders, als es sich mancher im Tal gewünscht hätte. Die SZ beantwortet Fragen zum Projekt:

Die Gipfelbaude ist wieder belebt. Mit einem interessanten Sozialprojekt.
Die Gipfelbaude ist wieder belebt. Mit einem interessanten Sozialprojekt. © René Plaul

Auf welche Zielgruppe ist das „Haus Keulenberg“ gerichtet?

Es handelt sich um Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren, die psychisch auffällig waren und/oder eine längere SuchtmittelKarriere hinter sich haben. Es geht um eine Erziehungshilfe, die ihnen in der Regel nach der Entgiftung eine gesellschaftliche und später auch berufliche Wiedereingliederung ermöglicht. Der Aufwand ist ganz erheblich. Um bis zu neun Jugendliche im Haus rund um die Uhr betreuen zu können, sind 12 Mitarbeiter vonnöten.

Ist der enorme Aufwand im „Haus Keulenberg“ gerechtfertigt?

Das ist eine Frage, die sich an die ganze Gesellschaft richtet. Wer in einer solchen pädagogisch-therapeutischen Wohngruppe gelandet ist, hat einen langen Weg hinter sich. Und Geschäftsführer Eckard Mann von der Rasop reagiert durchaus vehement, wenn er Sätze hört wie: Das haben die sich doch selbst zuzuschreiben. „Nein, die jungen Leute sind eben nicht selber schuld. Da haben andere versagt!“ Fehlende emotionale Zuwendung, falsche Normorientierung, Über- oder Unterforderung – all dies könne zu Fehlverhalten führen bis hin zum Suchtmittelmissbrauch. Mit allen, auch dramatischen Konsequenzen. „Die Heranwachsenden müssen das Leben ganz neu lernen“, sagt der Geschäftsführer.

Wie werden die Jugendlichen im „Haus Keulenberg“ betreut?

Intensiv. Die Suchttherapie einzeln und in Gruppen ist nur ein Bestandteil. Die jungen Leute lernen vor Ort in einem „virtuellen Klassenzimmer“, also internetgestützt, was als staatliche Ersatzschule anerkannt wird. Sie erfahren Arbeitstherapie und Berufsvorbereitung, Konzentrationstraining oder Kreativförderung. Und sie betätigen sich vor allem auch körperlich. Fitnesstraining und Teakwondo stehen auf dem Programm, und sogar ein Niedrigseilparcours wird demnächst eingerichtet. Die rund zwei Hektar an Immobilien- und Außenanlagenfläche erfahren auf diese Weise eine durchaus naturnahe Belebung.

Was ist das Ziel der Erziehung im „Haus Keulenberg“?

Eckard Mann: „Wir wollen und müssen die stark gefährdeten Persönlichkeiten und deren Kompetenzen stabilisieren.“ Dies geschieht weniger durch Freiraum, sondern vor allem durch konsequente Erziehung und klare Strukturen. Die ersten sechs Wochen gibt es keinerlei Außenkontakte, Smartphones sind im „Haus Keulenberg“ strikt untersagt – und den gemeinsamen Fernsehabend muss man sich durch Mitwirkung verdienen. Trotzdem funktioniert das Konzept nur, wenn die jungen Leute freiwillig mitziehen und auf diese Weise am Ende sogar kleine Erfolgserlebnisse haben. Neben einem suchtmittelfreien Leben geht es auch um den Erwerb eines Schulabschlusses oder die Fähigkeit, selbstständig einen Haushalt zu führen.

Gibt es eine Erfolgsgarantie der Erziehung im „Haus Keulenberg“?

Nein. Eckard Mann verweist auf „eine etwa 50-prozentige Erfolgsquote in der Suchtarbeit“ insgesamt. Die Rasop betreut ein ähnliches Haus wie auf dem Keulenberg bereits seit vier Jahren in Priestewitz bei Großenhain. Mehr als 30 Jugendliche haben die bis zu eineinhalb Jahre währende Betreuung erfahren, da gibt es gute und weniger gute Beispiele. Im „Haus Keulenberg“ ist eine Bilanz noch unangebracht, die guten Bedingungen auf dem Gipfel erweisen sich aber als durchaus zuträglich.

Wie steht das „Haus Keulenberg“ zur touristischen Gipfelnutzung?

Man versucht, die Befindlichkeiten der Anrainer zu verstehen. Das Areal der Radebeuler Sozialprojekte gGmbH ist eingezäunt, was den Tourismus im Grunde aber nicht berührt. „Wir sind jetzt insgesamt ein knappes Jahr auf dem Gipfel, von einem Mountainbiker-Ansturm haben wir nicht viel wahrgenommen“, sagt der Geschäftsführer, wohl wissen, dass dies auch die Wiederöffnung der „Goldnen Wurzel“ als Wanderer-Imbiss berührt. „Wir sind gern bereit, mit der Kommune die Außenpflege des öffentlichen Geländes zu verhandeln – zum Beispiel über die Arbeitstherapie.“ Auch die Strom- und Wassernutzung für den Imbissbetrieb sollte kein Problem sein. Mit einer nicht unerheblichen Einschränkung: „Für uns ist der Keulenberg-Gipfel jetzt eine cleane Zone.“  Ein Imbiss ohne Alkohol – geht das?