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Lebenslang für Karadzic

Serben überrennen 1995 die UN-Schutzzone Srebrenica. Sie ermorden rund 8.000 muslimische Jungen und Männer. Der politisch Verantwortliche hört nun das letzte Urteil.

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Gut 20 Jahre nach dem Völkermord von Srebrenica ist der politisch Hauptverantwortliche Karadzic zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Gut 20 Jahre nach dem Völkermord von Srebrenica ist der politisch Hauptverantwortliche Karadzic zu lebenslanger Haft verurteilt worden. © Peter Dejong/AP/dpa

Von Thomas Roser

Belgrad/Den Haag. Mit ausdrucksloser Miene vernahm der weißhaarige Angeklagte seinen Urteilsspruch. Der in erster Instanz vor dem UN-Tribunal 2016 wegen Völkermords noch zu vierzig Jahren verurteilte Radovan Karadzic hatte in der Berufung vor der Nachfolgeorganisation MICT auf Freispruch gehofft. Doch stattdessen wurde Bosniens einstiger Serbenführer am Mittwoch in Den Haag wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit rechtskräftig zu lebenslänglich verurteilt. Das Urteil in erster Instanz sei der Schwere der von Karadzic begangenen Verbrechen nicht gerecht geworden, begründete der dänische Richter Vagn Joensen die Erhöhung des Strafmaßes.

Fast alle Einsprüche des 73-jährigen Angeklagten gegen seine Verurteilung in erster Instanz wegen des seiner Meinung „unfairen Verfahrens“ hatten seine Richter im Berufungsverfahren als unbegründet zurückgewiesen. Stattdessen bekräftigten sie die direkte Verantwortung des früheren Präsidenten der von ihm proklamierten Republika Sprska für die von den bosnisch-serbischen Truppen im Bosnienkrieg (1992-95) begangenen Kriegsverbrechen.

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Karadzic als der politische Führer der bosnischen Serben den im Juli 1995 an über 7000 Männern in der Muslimenklave Srebrenica begangenen Völkermord mit verantwortet und angeordnet hatte. Das Gericht sprach den früheren Psychiater auch der Verantwortung für die Beschießung von Sarajevo während der 44-monatigen Belagerung der Stadt verantwortlich.

Eine Gedenkstätte etwa 150 Kilometer von Srebrenica 
Eine Gedenkstätte etwa 150 Kilometer von Srebrenica  © Amel Emric/AP/dpa

Wie in erster Instanz wurde der Kriegsverbrecher vom Vorwurf des Völkermords in sieben anderen ostbosnischen Städten zwar freigesprochen. Doch wegen der „ungekannten Brutalität und Ausmaßes“ der von ihm zu verantwortenden Verbrechen ließen die Richter keinerlei mildernde Umstände gelten: Das Berufungsgericht folgte damit der Argumentation der Anklage, dass das Urteil der ersten Instanz für die Karadzic zur Last gelegten Verbrechen zu milde gewesen sei.

Der lange Arm der internationalen Justiz hatte Karadzic relativ spät ereilt. Erst im Juli 2008 war der jahrelang abgetauchte Kriegsverbrecher verhaftet worden: Vermutlich mit Wissen der serbischen Geheimdienste hatte der mit einem Rauschebart vermummte Justizflüchtling als „Dr. Dragan Dabic“ in Belgrad zuvor ungestört als Wunderheiler praktiziert und trat selbst in lokalen TV-Stationen auf.

Während seine Angehörige und nationalistische Boulevardblätter in Serbien vor der Urteilsverkündigung mit seinem Freispruch gerechnet hatten, zeigten sich Vertreter bosnischer Opferverbände über seine lebenslängliche Verurteilung in ersten Reaktionen vor allem erleichtert. Für die von ihm in Bosnien begangenen Verbrechen hätte Karadzic „400 Jahre Haft“ verdient, so Azir Osmanovic, der in Srebrenica seinen älteren Bruder verlor.

Mit Tränen in den Augen und applaudierenden verfolgten hunderte von Angehörigen muslimischer Kriegsopfer in Srebrenica, aber auch im Rathaus von Sarajevo die mit einer halbe Stunde Verzögerung ausgestrahlte Übertragung der Urteilsverkündung. Sie habe in Srebrenica ihren Mann und ihren Sohn verloren, so Fadila Efendic: „Ich habe auf diesen Tag lange gewartet. Aber nun ist die Gerechtigkeit endlich gekommen.“

Verbittert reagierte hingegen der Angeklagte auf die gegen ihn verhängte Höchststrafe. „Dies hat mit Recht nichts zu tun, das ist ihre Gerechtigkeit“, kommentierte Karadzic laut Aussage seines serbischen Anwalts Goran Petronijevic unmittelbar nach der Urteilsverkündigung den Richterspruch. Der „Held der Nation“ tue ihm leid, klagte der serbische Ex-General Veselin Sljevancin: „Anstatt zu versöhnen unterstützt Den Haag in Bosnien weiter nur auf eine Seite.“