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Leere Pulte in der Schule

In Dresden droht zu Schuljahresbeginn wieder viel Unterrichtsausfall. Warum neue Lehrer erst im Herbst kommen.

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© [M] Ute Grabowsky/Jens Junge

Von Sandro Rahrisch

Dresden. Die Unterrichtstafel ist noch so gut wie leer. Bis heute weiß Claudia Schmidt* nicht, ob am Montag genügend Lehrer in den Klassenzimmern stehen werden. Die junge Frau leitet eine Dresdner Grundschule, an der so viele Kinder angemeldet wurden, dass eine zusätzliche erste Klasse eröffnet werden muss. Das Problem: Für den Kollegen, der sich in den Ruhestand verabschiedet hat, gibt es bis heute keinen Nachfolger. Und drei Seiteneinsteiger, die ihr versprochen wurden, müssen selbst noch drei Monate die Schulbank drücken, bevor sie unterrichten dürfen.

„Es ist das erste Mal, dass wir den Unterricht nicht mit den Lehrern in unserem eigenen Haus absichern können“, sagt Schmidt. Ihre Schule habe einen großen Zulauf. Im Stadtteil leben viele Migrantenfamilien mit Kindern. „Der Lehrerbedarf war im März klar, das haben wir so auch der Bildungsagentur gemeldet.“ An die Erkältungszeit will die Schulleiterin gar nicht denken. „Auch so ist ein Kollege immer krank, wie in anderen Betrieben auch.“

Im normalen Stundenplan werde sich der Lehrermangel wohl vorerst nicht widerspiegeln. „Man streicht zuerst die Sachen ringsherum“, so Schmidt. Das ist zum Beispiel die Zusammenarbeit mit den Kindergärten, bei der die Kita-Kinder auf die Schule vorbereitet werden. Und das ist die zusätzliche Förderung von Migrantenkindern, die zwar Deutsch als Fremdsprache gelernt haben, aber im normalen Unterricht noch nicht richtig mitkommen. Auch einen zweiten Lehrer, der sich um die schwächeren oder stärkeren Schüler kümmert, wird man nicht mehr vor die Klassen stellen können. „Im Prinzip fällt alles das weg, was Qualität ausmacht.“

Außerdem sieht die Schulleiterin die Gefahr, dass Deutsch als Fremdsprache ganz gestrichen wird. Derzeit wird das Fach an 14 Dresdner Grundschulen angeboten. Offiziell werde man es nicht streichen, sagt Schmidt. „Man lässt es einfach ausfallen. Auf lange Sicht produzieren wir so Schulverweigerer.“

In Dresden sind laut SZ-Information mindestens sieben weitere Grundschulen von Lehrermangel betroffen, insgesamt also elf Prozent. In zwei Schulen fehlt Personal für je 30 Wochenstunden. Die Fächer Deutsch, Mathematik und Heimatkunde könnten unterrichtet werden. Fächer wie Musik und Sport müssten ausfallen. Während einige Schulen warten, haben andere die Hoffnung aufgegeben, dass sich bis Schulbeginn noch etwas tut.

Die Bildungsagentur kann derzeit noch keine Details zur Personalsituation in Dresden nennen. Am Donnerstag wird zunächst Sachsens Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) über die Situation in ganz Sachsen sprechen. Allerdings hatte das Ministerium bereits Mitte Juni verraten, dass es an Bewerbungen mangelt. So konnten für Dresden sowie die Landkreise Meißen und Sächsische Schweiz/Osterzgebirge nur 57 der offenen 153 Grundschullehrer-Stellen besetzt werden. Insgesamt gab es nur 61 Bewerbungen von Lehrern.

Der derzeitige Mangel an Bewerbern rühre unter anderem daher, dass die Schülerzahlen stärker gestiegen sind als vorhergesagt, sagt Petra Nikolov, die Sprecherin der Bildungsagentur. „Dazu kommen die zusätzlichen Schüler, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind und noch kommen.“ Andererseits gingen Tausende Lehrer in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Bereits im ersten Halbjahr des letzten Schuljahres fielen an Dresdens Grundschulen 363 Stunden planmäßig aus, weil nicht genügend Lehrer da waren. Weitere 15 668 Stunden wurden gestrichen, weil Lehrer krank waren oder eine Weiterbildung zu absolvieren hatten.

Der Versuch, frisch ausgebildete Gymnasiallehrer für die Grundschulen zu gewinnen, sieht Claudia Schmidt kritisch. „Sie bräuchten eine spezielle Didaktikschulung für Grundschüler.“ Außerdem würden die Grundschulen nur Berufseinsteiger bekommen, die sich dort ein paar Jahre ausprobieren und wieder gehen. „Die Frage ist auch, wer das macht. Wer als Lehramtsabsolvent nicht hier in Sachsen gebunden ist, geht in ein anderes Land.“

Der Elternrat an Claudia Schmidts Schule steht hinter ihr. „Wir sehen jetzt schon, dass die Klassen zu voll und die Lehrer gestresster sind“, so ein Vater. Den Eltern gehe es vor allem darum, dass ihre Kinder an Oberschule und Gymnasium nicht hängenbleiben, weil zu Grundschulzeiten so viele Stunden ausfallen mussten. „Das Ergebnis wäre: Die Kinder müssen von der Schule genommen werden oder die Schule stemmt es mit sehr viel Kraft selbst, die Defizite aufzuholen.“

Wenn in den nächsten Tagen niemand an Schmidts Schule dazukommt, muss sie selbst als Klassenlehrer einspringen. „Dass ich nicht die Schule und zur selben Zeit die Klasse vollwertig leiten kann, ist mir aber auch klar.“ Vielleicht werde sogar noch ein Kollege abgezogen, weil es an anderen Schulen noch schlimmer aussieht: „Ich weiß es nicht.“

* Name geändert