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Darum fliegt seine Kugel nicht so weit

Gleiten oder drehen? Für den Sachsen stellt sich diese Frage nicht mehr, und sie nervt ihn auch ein bisschen. Er bleibt bei seiner Technik – trotz ihrer Nachteile.

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David Storl bestimmt in Deutschland weiterhin das Geschehen. Doch international hält er kaum noch mit.
David Storl bestimmt in Deutschland weiterhin das Geschehen. Doch international hält er kaum noch mit. © dpa/Jens Büttner

Er holte sich nach langer Leidenszeit bei der deutschen Hallen-Leichtathletik-Meisterschaft in Leipzig seinen achten Titel. David Storl gewann das Kugelstoßen mit 20,58 Metern und war danach „total happy. Doch der Weg nach Tokio fängt jetzt erst an“, betont er mit Blick auf Olympia. „Aber die Leistung macht mich ein Stück weit optimistisch. Wir haben noch ein paar Pfeile im Köcher.“ Der Lokalmatador hatte aufgrund einer hartnäckigen Rückenverletzung die WM 2019 verpasst. Erst am 9. Februar gab er sein Comeback.

Nach dem verkorksten WM-Jahr will der 29-Jährige erneut angreifen und die Lücke zur Weltspitze bis zu den Sommerspielen schließen. Ein Umstieg auf die Drehstoßtechnik ist für den gelernten Angleiter aber absolut kein Thema. Die Zeit für ein Erlernen der komplizierten Abläufe wäre viel zu kurz. Da ist er sich mit seinem Trainer Wilko Schaa einig. „Und was mich ein bisschen nervt: Man tut so, als sei das Problem erst jetzt aufgekommen. Dreht jetzt die ganze Welt? Dabei ist die Technik schon 30 Jahre alt“, erklärt Storl.

Olympiasiegerin schwärmt von der Weltmeisterschaft

Für Astrid Kumbernuss gehört die Zukunft den Drehstoßern. „Unfassbar! Ich habe mich bei der WM nicht mehr eingekriegt, wie da die Post abgegangen ist. Da kann man David keinen Vorwurf machen. Da hat er als Angleiter keine Chance“, meint die 50-jährige Olympiasiegerin von 1996 und dreifache Weltmeisterin. Allerdings brauche man für diese Technik Geduld und Zeit. „Da kann es sein, dass man erst im dritten Jahr richtig Erfolg hat. So um sich selbst zu drehen, das muss einem in die Wiege gelegt worden sein.“

Storl hat sich mit seiner Siegerweite vom vergangenen Wochenende zwar um 55 Zentimeter gegenüber seiner bisherigen Jahresbestmarke gesteigert. Vom Stärksten in dieser Saison ist er aber deutlich entfernt. Olympiasieger Ryan Crouser aus den USA stieß mit der Drehtechnik die Kugel schon 22,60 Meter weit – das sind Welten.

Trainer gibt zu, den Trend verschlafen zu haben

„Den Trend haben wir in Deutschland definitiv verschlafen – auch in der Trainer- und Jugendausbildung“, sagt Schaa. „Da sind uns die anderen Nationen 30 Jahre voraus.“ Der erfahrene Coach arbeitete von 2009 bis 2017 am Leipziger Institut für Angewandte Trainingswissenschaft. Er sei „erstaunt, dass jetzt viele feststellen, dass der Drehstoß die Welt dominiert. Das ist schon seit 1995 so“, betont der 37-Jährige.

„Mal eben auf Drehstoß umzustellen, das geht nie. Da habe ich einfach kein Zeitfenster mehr“, erklärt Storl. „In drei Monaten kann ich keine neue Technik aufbauen. Da könnte ich nicht zu Olympia, nicht zur EM Ende August und vielleicht auch nicht zur WM 2021. Und dann fragen sich die Sponsoren: Was macht der Storl denn da?“ An seine Freiluft-Bestmarke von 22,20 Metern ist er seit viereinhalb Jahren nicht mehr herangekommen. Die internationale Konkurrenz nähert sich den 23 Metern. „Man muss die Situation sehen: Das ist gigantisch. Da stehe ich wirklich vor einem Problem.“ Der Sachse hat seit 2007 immerhin 19 internationale Medaillen gewonnen. 2019 quälte ihn bereits seit April eine komplizierte Rückenverletzung. Doch er wollte unbedingt zur WM. Deutschlands erster und zugleich jüngster Kugelstoß-Weltmeister – 2011 in Daegu – musste die Saison im August aber abbrechen. „Die blöde Verletzung hat das ganze System durcheinander gebracht“, meint Schaa. Er spricht von einem „Frust- und Lehrjahr“ gleichermaßen.

Jetzt geht es erst mal um die deutsche Norm

„Ganz normal“ will er Storl auf Olympia vorbereiten und die deutsche Norm von 21,10 Metern möglichst schon beim Winter-Europapokal am 21. und 22. März im portugiesischen Leiria abhaken. „Mit Olympia beschäftige ich mich noch nicht“, sagt Storl. „Tokio ist kein Thema, der Weg noch so lang, und ich will den dritten Schritt nicht vor dem ersten machen. Von der Olympia-Norm bis zu einer Medaille sind es noch einmal 1,80 Meter.“

Neun Medaillen gibt es für die Kugelstoßer bei den nächsten drei Großereignissen – Olympia, Europa- und Weltmeisterschaft – zu gewinnen. Auch für einen Angleiter? Storl macht eine Kunstpause – und lacht: „Ich hoffe, dass mindestens einer dann da oben auf dem Podium steht …“ (dpa)