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Stille Kämpfer für eine große Sache

Der Leipziger Fotojournalist Martin Jehnichen setzt Menschen ins richtige Licht, die sonst im Verborgenen bleiben. Dabei haben sie alle etwas gemeinsam.

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Die Schriftstellerin Anna Kaleri ist eine der Protagonistinnen in Martin Jehnichens Reihe „Leuchtende Sachsen“.
Die Schriftstellerin Anna Kaleri ist eine der Protagonistinnen in Martin Jehnichens Reihe „Leuchtende Sachsen“. © Martin Jehnichen

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Anna Kaleri sitzt auf einer Betonsäule in einer kargen Leipziger Landschaft, kunstvoll hält sie ein Buch in der Hand. Die Anmutung erinnert ein wenig an eine antike Statue. Um die Schriftstellerin herum dämmert es, doch vom düsteren Himmel strahlt ein helles Schlaglicht auf sie herab. Das eindrückliche Porträt hat der Leipziger Fotograf Martin Jehnichen mit einer Drohne samt Blitzlicht komponiert. Es ist zugleich der Auftakt für sein Projekt „Leuchtende Sachsen“, mit dem der Bildjournalist in den kommenden Monaten Menschen des Freistaates dokumentieren will, die die Demokratie gegen rechtsradikale Bewegungen verteidigen. „Ich möchte Menschen zeigen, die kulturelles und gesellschaftliches Licht in dunklere Ecken des Landes bringen“, sagt Jehnichen.

Anna Kaleri ist eine von ihnen. Anfang 2016, als fremdenfeindliche Übergriffe das Land aufschrecken und Pediga, AfD und rechtsextreme Gruppen für aggressive Stimmung sorgen, hat die Leipziger Autorin eine ehrenamtliche Initiative demokratisch gesinnter Kollegen gegründet. Ihr Titel: „Literatur statt Brandsätze“. Noch im gleichen Jahr ging daraus der Verein „Lauter Leise – Kunst und Demokratie in Sachsen“ hervor. Credo: „Die leise Eigenschaft der Kunst ist ein wichtiges Korrektiv zu Selbstgerechtigkeit, Hetze und Gewalt.“ Für dieses Ansinnen sind seither Dutzende Kulturschaffende mit Veranstaltungen und Aktionen im ganzen Land unterwegs. Für ihre Lesungen und Schreibwerkstätten in Schulen wurde der Verein „Lauter Leise“ kürzlich mit dem Sächsischen Demokratiepreis in der Semperoper geehrt.

Bratschist Henry Schneider begründete ein Festival im ländlichen Raum. 
Bratschist Henry Schneider begründete ein Festival im ländlichen Raum.  © Martin Jehnichen

Es sind solche Helden des Alltags, die Fotograf Jehnichen in seiner Portrait- und Interviewserie auf seine Art vorstellen möchte – besonders mit Blick auf die Landtagswahl im September. „Die Beteiligung der AfD an der nächsten Landesregierung ist nicht unwahrscheinlich“, sagt er. „Das dreißigste Jahr nach der friedlichen Revolution würde damit zum zweiten Wendejahr werden“, befürchtet er. Um dem Bild vom Dunkeldeutschland entgegenzuwirken, wolle er 30 Leute mit ihrer Arbeit in ihrer eigenen Umgebung porträtieren.

Es sollen Menschen sein, die mit Festivals, Lesungen, Gesprächsrunden und Konzerten Licht in zivilgesellschaftliche Dämmerung bringen, besonders abseits der großen Städte. „Sie beziehen Positionen im entbrannten Kulturkampf um das Erbe der friedlichen Revolution von 1989“, sagt Jehnichen. Bilder und Texte sollen im Wahljahr 2019 als Ausstellung, Buch und multimediale Webseite veröffentlicht werden. Die Stiftung Kulturwerk der VG Bild-Kunst hat sich bereit erklärt, das Projekt finanziell zu unterstützen.

Das Engagement passt zur Lebensgeschichte des Fotografen. Jehnichen, 55, hatte zwar als Kind sächsische Verwandtschaft, wuchs aber in Tübingen auf. Seinen Studienabschluss als Diplom-Fotodesigner machte er an der Hochschule Bielefeld. 1988 absolvierte er als Westdeutscher ein „Auslandsstudium“ an der HGB in Leipzig. Im Herbst 1989 fotografiert er die Montagsdemonstrationen in Leipzig, gerät mit Stasi und Volkspolizei in Konflikt. 1990 gründet er seine Fotoagentur „transit“ in Leipzig. Heute arbeitet er für Magazine wie „Der Spiegel“ und „Die Zeit“ sowie für den MDR und Konzerne wie DHL. Seine eigenen Ausstellungsprojekte gehen immer wieder Themen wie dem Herbst 1989, der Demokratie und Ökologie auf den Grund. Einer von Jehnichens „Leuchtenden Sachsen“ ist der Gewandhausbratschist Henry Schneider. Der Musiker stammt aus dem 180-Seelen-Dorf Stelzen im Vogtland. Im Advent 1992 organisierte Schneider ein kleines Kirchenkonzert.

Die Landmaschinen-Sinfonie

Daraus erwuchs im Laufe der Jahre eines der größten und humorvollsten Musikfestivals der Region. Bei den „Stelzenfestspielen bei Reuth“ sorgen jeden Sommer Künstler für kuriose Höhepunkte wie die Landmaschinen-Sinfonie. „Ich möchte Menschen sichtbar machen“, sagt Jehnichen, „die nicht zur laut schreienden Menge gehören.“ So wolle er auch andere ermutigen, sich für ein demokratisches und zugewandtes Miteinander zu engagieren.

Mit seiner Idee ist er nicht allein. Der Leipziger Fotograf Martin Neuhof, Enkel des DDR-Meisterfotografen Friedrich Gahlbeck, hat bereits im Juli sein sehr ähnliches Projekt „Herzkampf“ gestartet. Jeden Mittwoch stellt er auf der gleichnamigen Internetseite herzkampf.de neue Menschen vor, die sich gegen Rassismus und für eine gerechtere Welt engagieren. Nach einem Jahr ist eine Ausstellung geplant. Neuhof, 34, hatte 2014 die Initiative „No Legida“ mit begründet. „Ich weiß wie es ist, wenn ein ,strammer Kamerad‘ in der eigenen Klasse sitzt und man mit diesen Leuten Ärger bekommt“, sagt er. Als die AfD 2017 in den Bundestag einzog, habe er mit einem fotografischen Projekt etwas unternehmen wollen. „Ich will den vielen Leuten, die dem Rechtsruck entgegentreten und sich auch im Verborgenen für eine gerechtere Welt einsetzen, mit Herzkampf eine Plattform bieten.“