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Adelinas großer Wunsch

Als Hebamme betreut Adelina Ajeti viele junge Frauen in Leipzig. Doch die Polizei schiebt sie in den Kosovo ab.

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Adelina Ajeti hat in Leipzig junge Mütter und deren Babys betreut. Sie wurde abgeschoben in den Kosovo.
Adelina Ajeti hat in Leipzig junge Mütter und deren Babys betreut. Sie wurde abgeschoben in den Kosovo. © E. Röger

Von Sven Heitkamp, Leipzig

Es ist 2 Uhr nachts, als es laut an der Tür von Adelina Ajeti klopft. Acht Polizisten stehen vor der Tür, sieben Männer, nur eine Frau. Sie sind gekommen, um die Hebamme und ihren Ehemann abzuholen. Für einen Flug zurück nach Pristina, die Hauptstadt des Kosovo. Ihr Asylantrag wurde schon vor Jahren abgelehnt, sie sind offiziell ausreisepflichtig – auch wenn die Frau eine Arbeitserlaubnis hat, für 30 Stunden fest angestellt ist, Steuern und Sozialabgaben zahlt.

Jetzt bleibt dem jungen Paar eine Stunde Zeit, zwei Koffer zu packen. Aber Adelina Ajeti stiert die Polizisten in ihrem Flur minutenlang wie betäubt an. Sie stammelt, das gehe doch gar nicht, sie könne nicht weg, sie habe Termine am nächsten Morgen.

Die 30-Jährige arbeitet in einer Hebammenpraxis in Leipzig nahe der Uniklinik, sie betreut fast ein Dutzend hochschwangere junge Frauen und junge Mütter. Die Polizisten aber lassen sich auf keine Diskussion ein. Sie sagen, sie müssten ihre Aufgabe erfüllen und sie rechtzeitig zum Flughafen nach Berlin bringen.

Freunde sammeln Spenden

Nun sitzt Adelina Ajeti in einem alten Haus in Pristina und schaut in ihre Handykamera, sie kämpft mit den Tränen, während sie ihre Geschichte in fließendem Deutsch erzählt. „Es ist wie ein Albtraum“, sagt sie. Das Haus gehört einem Onkel des Mannes, Adelina zeigt, wie schwer die knarrenden Türen schließen – was ein besonderes Problem ist, weil mehrere Fenster kaputt sind und es nur im Wohnraum einen Herd zum Heizen gibt. „Wasser zum Kochen muss ich in Eimern in die Küche schleppen.“ Aber das ist weiß Gott nicht ihr größtes Problem. Die Hebamme möchte zurück nach Leipzig, um zu arbeiten, für ihre Praxis, für die jungen Familien.

Damit ist sie nicht allein. Viele der Familien und Freunde haben quasi über Nacht ein riesiges Netzwerk gespannt, um Adelina zurückzuholen. Sie haben die Webseite adelinamustcomeback.de („Adelina muss zurückkommen“) und eine Online-Petition an den Landtag gestartet: „Wir fordern eine sofortige Wiederaufnahme des Verfahrens und eine Rückholung von Adelina und ihrem Ehemann“, heißt es dort. Mehr als 2.300 Menschen haben schon unterschrieben, 12.000 müssen es bis Ende Januar werden. Sie sammeln auf der Internetplattform betterplace.me Spenden, um Anwaltskosten, Möbel-Einlagerung und irgendwann ein Flugticket zurück nach Leipzig zu bezahlen. Über 11.000 Euro sind schon eingetrudelt. Adelina Ajeti bleibt die Stimme weg, wenn sie darüber spricht.

Kosovo gilt als sicherer Herkunftsstaat

„Wir hoffen, dass wir sie im Frühjahr zurückholen können“, sagt Emily Röger. Sie hilft in der Hebammenpraxis ihrer Mutter bei den Büroaufgaben, während sie ihre Promotion in Wirtschaftswissenschaften schreibt. Doch zurzeit koordiniert sie vor allem die Hilfen, gibt Interviews und versucht Klarheit in das juristische Knäuel zu bringen. „Wir kennen noch nicht alle Fakten und möchten prüfen, ob alles korrekt zugegangen ist.“

Klar ist: Manches ist schiefgelaufen in dieser Geschichte. Adelina Ajeti kommt vor fast sechs Jahren, Anfang 2015, aus dem Kosovo nach Deutschland. Der jüngste Staat Europas kommt seit dem Krieg nicht zur Ruhe, es gibt keine Sicherheit und Stabilität, um sich ein Leben aufzubauen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei mehr als 60 Prozent. Die Desillusionierten verlassen zu Tausenden das Land, unter ihnen Adelina Ajeti.

Doch das Kosovo gilt in der Bundesrepublik als sicherer Herkunftsstaat. Ihr Asylantrag wird abgelehnt. Von dem Tag an gilt sie als „vollziehbar ausreisepflichtig“, erklärt die Landesdirektion. Auch wenn sie eine Aufenthaltserlaubnis und eine Arbeitsgenehmigung hatte, ändere dies nichts daran, betont Behördensprecher Holm Felber. Der Ablehnung des Asylantrags sei nicht vor Gericht widersprochen worden, wie zunächst angekündigt. Emily Röger hat mittlerweile mit der sächsischen Härtefallkommission gesprochen, erzählt sie. Man habe ihr gesagt, im Fall von Adelina hätte man eventuell aus humanitären Gründen etwas unternehmen können.

Kampf um Anerkennung

Die Hebamme hat sich die ganze Zeit um eine Anerkennung in Deutschland bemüht, sie hat sich einen Anwalt besorgt und eine Aufenthaltserlaubnis beantragt. Sie hat jahrelang intensiv Deutsch gelernt, bis zur gehobenen Niveaustufe C1. Sie hat in der Praxis „Kleine Füße“ angefangen und versucht, ihren Studienabschluss als Hebamme aus dem Kosovo in Deutschland vollständig anerkennen zu lassen. „Wir haben immer alle Unterlagen eingereicht und uns bemüht, alles richtig zu machen“, sagt sie. Über den letzten Antrag sei noch gar nicht entschieden.

Nach der Abschiebung besteht – neben der allgemeinen Beschränkung wegen Corona – für 30 Monate eine Einreisesperre. In Ausnahmefällen kann diese Frist verkürzt oder aufgehoben werden, wenn sich die persönlichen Verhältnisse ändern – etwa durch ein Arbeitsvisum. Voraussetzung ist meist, dass die Kosten für die Abschiebung von einigen Tausend Euro dem Staat aus eigener Tasche erstattet werden.

Emily Röger und ihre Mutter bleiben zuversichtlich, dass sie ihre Kollegin bald wieder im Team haben. „Wir suchen zurzeit niemand anderen für ihre Stelle.“ Ohnehin finden sie die Abschiebung völlig widersinnig in einem Beruf, in dem ausgebildete Fachkräfte händeringend gesucht werden. Allein ihre Praxis müsse jeden Monat mehrere Frauen abweisen, weil sie nicht alle betreuen können. „Adelina“, sagt Emily Röger, „fehlt uns wirklich dringend.“