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Umgeschmolzenes Sklavengeld

Deutsche Museen wollen Beninbronzen nach Westafrika zurückgeben. Doch eine Juristin aus den USA erhebt Einspruch.

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Blick ins ehemalige Schaudepot Benin im Grassimuseum für Völkerkunde in Leipzig
Blick ins ehemalige Schaudepot Benin im Grassimuseum für Völkerkunde in Leipzig © Tom Dachs

Von Matthias Busse

Post aus den USA soll vor wenigen Tagen bei Léontine Meijer-van Mensch, Direktorin der Staatlichen Ethnografischen Sammlungen Sachsen (SES), und beim Freistaat Sachsen angekommen sein. Absenderin ist Deadria Farmer-Paellmann, eine Interessenvertreterin von Nachfahren US-amerikanischer Sklaven.

Die beiden Völkerkundemuseen in Dresden und Leipzig besitzen 263 Metall-Skulpturen, Würdezeichen und geschnitzte Elfenbeinarbeiten aus Benin. Das historische Königreich ist heute als Edo-State Teil der westafrikanischen Bundesrepublik Nigeria. Eine Rückkehr dorthin beschloss das sächsische Kabinett bereits am 12. Juli. Derzeit würden die SES und die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) dazu noch eine Fachvorlage für Vertragsdetails mit Nigeria erarbeiten, sagt der Sprecher des Kulturministeriums, Jörg Förster, am Montag. Vom Eingang des Schreibens sei ihm bisher nichts bekannt. Die Direktorin der Völkerkundemuseen war über den Zugang des Schreibens informiert, hatte sich aus Zeitgründen aber noch nicht damit befassen können.

Verträge in letzter Minute stoppen

Farmer-Paellmann möchte diesen und weitere Verträge in letzter Minute stoppen. Adressaten sind auch andere deutsche ethnologische Sammlungen mit großen Benin-Beständen. Dafür hat die Juristin einen Grund: Die Metallgüsse bestehen aus einem Material, das Europäer seit dem 16. Jahrhundert für Sklaven eintauschten. Nicht weniger als umgeschmolzenes Sklavengeld steckt also in dieser weltweit bewunderten höfischen Kunst Afrikas. Einkassiert haben es Generationen von Thronfolgern Benins. Dafür ließen sie Menschen in unterworfenen Gebieten fangen und verkauften sie an europäische Händler, die sie wiederum in amerikanische Kolonien verschifften. Belege führt die Juristin aus der Fachliteratur an, die das Benin-Königshaus in seinem 2018 herausgegebenen Prachtband „The Benin Monarchy“ aber kleinzureden versucht. Daher gehören nach Meinung von Farmer-Paellmann die Bronzen keineswegs dem König von Benin, der in direkter Linie von den damaligen schwarzen Sklavenfängern abstammt. „Sie gehören uns allen – auch den Nachkommen der versklavten Menschen – 93 Prozent der Afroamerikaner“, heißt es in dem Schreiben. Die Mehrzahl der 40 Millionen schwarzen Amerikaner stammt also von Sklaven ab, von denen bis ins 19. Jahrhundert hinein zwölf Millionen Menschen an den Küsten der Vereinigten Staaten anlandeten. Als Grundlage für diese Zahlen dienen zeitgenössische Dokumente und neuere Erbgutanalysen.

Diejenige, die so argumentiert, ist selbst Nachfahrin von versklavten Westafrikanern. Ihre DNA lässt sich zum Teil auf das Gebiet Benins lokalisieren. Farmer-Paellmanns im Jahr 2000 gegründetes gemeinnütziges New Yorker Institut, die Restitution Study Group, bewegte bereits einstige Profiteure der Sklaverei, mehrere Millionen Dollar für Bildung und Sozialleistungen der schwarzen Amerikaner über Stiftungen einzuzahlen. Darunter sind Bankhäuser wie JP Morgan Chase oder Bank of America, Eisenbahnunternehmen und Tabakkonzerne.

Kopf der Figur "Königlicher Bote" aus dem Königreich Benin (Sammlung A. Baessler 1899, Museum für Völkerkunde Dresden)
Kopf der Figur "Königlicher Bote" aus dem Königreich Benin (Sammlung A. Baessler 1899, Museum für Völkerkunde Dresden) © Museum für Völkerkunde Dresden

Aufgeschreckt wurde die umtriebige Kämpferin für Gerechtigkeit vergangene Woche durch eine Vertragsunterzeichnung in Berlin. Sie bildet den Auftakt zu weiteren deutschen Sammlungsrückführungen von allen 1.100 Benin-Objekten aus 20 Museen: Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), Hermann Parzinger, und der nigerianische Generaldirektor der Nationalen Denkmal- und Museumskommission (NCMM), Abba Tijani, besiegelten rechtlich den Eigentümerwechsel für 514 Objekte aus dem Ethnologischen Museum Berlin und dem Museum Berggruen. Leihgaben beschränkt Nigeria auf 40 Ausstellungstücke für nur zehn Jahre. Damit ist es die umfangreichste Eigentumsübertragung von außereuropäischen Sammlungsgegenständen aus einem einzigen Museum, die es je weltweit gab.

Vorangegangen war am 1. Juli die Unterzeichnung einer bloßen Absichtserklärung durch Außenministerin Annalena Baerbock und Kulturministerin Claudia Roth sowie deren nigerianischen Amtskollegen im Auswärtigen Amt. Aufgrund des Föderalismus kann die Bundesregierung die Rückgaben aber nicht selbst entscheiden, auch wenn in politischen Gesprächen seit 2019 alle Museen mit Benin-Beständen dazu einen Konsens gefunden haben. Die Vorreiterrolle der SPK erklärt sich wohl aus der Rolle Roths als Stiftungsratsvorsitzende per Amt.

Die Kulturministerin sprach im Auswärtigen Amt davon, dass Deutschland dabei sei, „seine Blindheit gegenüber der kolonialen Vergangenheit zu ändern. Wir wollen uns als Bundesregierung und als Land mit dem Erbe unserer kolonialen Vergangenheit auseinandersetzen.“ Farmer-Paellmann nimmt das den Regierenden jedoch nicht ab. Daher richtet sie ihren Brief zugleich an Roth und Baerbock: „Wenn Sie ein echtes Interesse an Menschenrechten und Gerechtigkeit in Bezug auf diese Relikte haben, werden Sie uns zustimmen, dass die Benin-Bronzen-Transfervereinbarungen ungültig gemacht werden müssen und mit den Nachkommen der versklavten Menschen ein Miteigentum begründet werden muss.“Doch anders als Baerbock, die sagte, es sei falsch gewesen, die Bronzen zu nehmen und sie zu behalten, wünscht Farmer-Paellmann: „Wir möchten, dass die meisten Benin-Bronzen in westlichen Museen verbleiben, damit unsere Kinder für Bildung, ihre Arbeit und unternehmerische Möglichkeiten Zugang zu ihnen haben.“ Im Gegenteil zu den deutschen Politikerinnen sieht die Nachfahrin der Sklaven das Jahr 1897 weniger mit der Plünderung des Palastes durch britische Soldaten verbunden und dem Verkauf der Bronzen bis nach Deutschland. Vielmehr beendete für sie die Strafaktion 300 Jahre Sklaverei und Menschenopfer durch das Königreich Benin, wie sie bereits einige Wochen zuvor an das ebenfalls rückgabewillige Horniman Public Museum in London schrieb.

Beim Sklavenhandel mitgemischt

Für Deutschland sieht sie eine besondere Verantwortung, die Artefakte weiterhin öffentlich zu präsentieren. Materialuntersuchungen hätten Kupfer aus dem Harz ergeben, das aus dem 16. und 17. Jahrhundert stammt – als das Fürstentum Brandenburg über seine Kolonie Groß-Friedrichsburg auf dem Gebiet des heutigen Ghana fast 35 Jahre beim Sklavenhandel mitmischte. Weitere Analysen könnten noch mehr Handelswege aufzeigen, äußerte Farmer-Paellmann in ihrem Brief nach England. Doch diese Forschung sei nicht mehr möglich, wenn die Bronzen im Palast von Benin verschwinden würden. Aber genau danach sieht es derzeit aus, wie es Nigerias Museumschef Tijani bereits ankündigte. Seine Worte unterstrich er durch zwei Einzelrückgaben an den König, obwohl er sie zuvor von britischen Universitäten für den Staat Nigeria übernommen hatte.

Für Deadria Farmer-Paellmann wäre das Verschwinden der Bronzen aus westlichen Museen auch persönlich bitter: Sie, ihr deutscher Ehemann und ihre gemeinsamen Kinder könnten bei ihren Aufenthalten in Frankfurt am Main ihr kulturelles Erbe dort nicht mehr im Museum der Weltkulturen betrachten. Sie argumentiert: „Wir haben keinen Zugang zu den Relikten in Nigeria. Wir besitzen keine doppelte Staatsbürgerschaft, und Reisen dorthin sind extrem unsicher und teuer.“