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Weiter Diskussion um "Querdenken"-Demo

Das Bautzner Oberverwaltungsgericht sieht sich zu unrecht kritisiert. Auch die neue Versammlungsregelung stößt auf Unmut.

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Die Demonstration der Initiative ·Querdenken in Leipzig ist auch Tage später noch Thema.
Die Demonstration der Initiative ·Querdenken in Leipzig ist auch Tage später noch Thema. © dpa/Sebastian Kahnert

Leipzig/Bautzen. Die politische, juristische und gesellschaftliche Aufarbeitung der aus dem Ruder gelaufenen "Querdenken"-Demo in Leipzig nimmt immer mehr Fahrt auf. Von allen Seiten hagelte es am Mittwoch Kritik an allen Beteiligten. Besonders stark ist der Gegenwind derzeit für das Oberverwaltungsgericht Bautzen (OVG), das die Versammlung gegen den Willen der Leipziger Versammlungsbehörde in der Innenstadt genehmigt hatte.

OVG-Präsident Erich Künzler äußerte Verständnis. "Natürlich muss die Justiz kritisiert werden können. Auch die Meinung der Justiz ist antastbar", sagte er am Mittwoch in Dresden. Voraussetzung sei aber eine sachliche Kritik. Er wies Spekulationen um eine ideologisch motivierte Entscheidung klar zurück. In vielen Äußerungen seien - weit über legitime Kritik hinaus - selbst Vermutungen angestellt worden, dass die Richterinnen und Richter des OVG Corona-Leugner seien. Es sei eine absurde Annahme, dass Richter in Bautzen mit Verschwörungstheoretikern sympathisierten, sagte Künzler.

Auch der frühere sächsische Justizminister Geert Mackenroth hatte den OVG-Beschluss kritisiert. Der Kernpunkt sei die Einschätzung des Gerichts, ob eine solche Versammlung in der Leipziger Innenstadt gehe, sagte der CDU-Politiker am Mittwoch dem MDR. Das Gericht hatte das bejaht und sich dabei auf eine Gefahrenprognose der sächsischen Polizei berufen.

Das OVG habe sich keineswegs von sachfremden Erwägungen leiten lassen, unterstrich Künzler. "Dass es zu dieser Entscheidung in Leipzig unterschiedliche, sehr kontroverse Auffassungen gibt, leuchtet mir auch ein." Und weiter: "Man kann an der Entscheidung Kritik üben. Ich darf keine inhaltliche Bewertung - sei sie positiv oder negativ - abgeben. Als Dienstvorgesetzter habe ich die richterliche Unabhängigkeit der mit der Entscheidung befassten Richterinnen und Richter zu wahren."

Kritik zu neuen Versammlungsregeln

Am Samstag hatten sich in Leipzig mindestens 20.000 Demonstranten versammelt, von denen rund 90 Prozent laut Polizei keine Masken trugen, obwohl sie in Sachsen bei Versammlungen derzeit "verpflichtend" vorgeschrieben sind. Die Stadt Leipzig löste die Kundgebung auf. Danach erzwang ein Großteil der Menschen einen Aufzug über den Leipziger Ring.

Als Konsequenz will die Landesregierung ortsfeste Versammlungen unter freiem Himmel künftig auf 1.000 Teilnehmer begrenzen. Voraussetzung ist, dass alle Teilnehmer sowie Ordner eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen und zwischen allen Teilnehmern der Mindestabstand von 1,5 Metern gewahrt wird. Im Einzelfall sollen auch größere Kundgebungen möglich sein, wenn technische und organisatorische Maßnahmen getroffen werden, um das Infektionsrisiko zu senken.

Für die Linksfraktion im Landtag ist das "purer Aktionismus". Damit wolle "die Koalition offensichtlich vom Versagen des Innenministers ablenken, den der Ministerpräsident um jeden Preis im Amt halten will", sagte am Mittwoch der Fraktionsvorsitzende Rico Gebhardt. Er kritisierte zudem, dass der Landtag an der Entscheidung nicht beteiligt wurde. "Der Preis ist die Bestrafung aller, die in Sachsen in nächster Zeit ihr Versammlungsrecht wahrnehmen und dabei die Hygieneregeln einhalten wollen."

Die AfD kündigte an, rechtliche Schritte gegen die verschärften Versammlungsregeln prüfen zu wollen. Partei- und Fraktionschef Jörg Urban warf der Regierung vor, das Versammlungsrecht "mit Füßen zu treten". Es gebe keinen Grund, Bürger und Unternehmen unter dem Vorwand einer vermeintlichen Pandemie derart drastisch zu schikanieren. Am Donnerstag wollen sich in einer nichtöffentlichen Sondersitzung der Innenausschuss und der Verfassungsausschuss des Landtages mit der Demonstration befassen.

Hinweise in sozialen Medien nicht beachtet

Im Leipziger Stadtrat wurden am Mittwoch die Veranstalter der Kundgebung, die Polizei, das OVG und Innenminister Roland Wöller (CDU) für ihre Maßnahmen und Entscheidungen von nahezu allen Fraktionen im Leipziger Stadtrat heftig kritisiert. Als Entscheidungshilfe für das OVG habe es keine konkrete Gefahrenprognose der Polizei gegeben, sagte Sören Pellmann von der Linksfraktion.

Zudem seien die zahlreichen Hinweise in den sozialen Medien und Chatgruppen, dass mehr Teilnehmer als angekündigt anreisen werden, nicht beachtet worden, betonte Christoph Zenker von der SPD. Es seien viel zu wenige Polizisten am Samstag im Einsatz gewesen. "Auch wurden die Ankündigungen zum Brechen der Auflagen nicht beachtet."

Ordnungsbürgermeister Heiko Rosenthal (Linke) sagte, dass dem sächsischen Verfassungsschutz im Vorfeld der Demonstration keine Hinweise auf ein verstärktes Auftreten von Rechtsextremisten vorgelegen hätten. Zudem habe die Polizei stets versichert, dass ausreichend Einsatzkräfte vorhanden wären, um einen Aufzug durch die Innenstadt zu verhindern. (dpa)