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Leipzigs Erfolg für den Klimaschutz

Das Bundesverfassungsgericht hat das Klimagesetz der Bundesregierung gekippt. Ein Erfolg von zwei Leipzigern – die schon mit der nächsten Klage rechnen.

Von Sven Heitkamp
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Nicht nur auf Demonstrationen mahnen Klimaschützer seit Langem mehr Anstrengungen von der Politik an. Auch das Bundesverfassungsgericht sagt, dass die bisherigen Maßnahmen nicht genügen.
Nicht nur auf Demonstrationen mahnen Klimaschützer seit Langem mehr Anstrengungen von der Politik an. Auch das Bundesverfassungsgericht sagt, dass die bisherigen Maßnahmen nicht genügen. © Symbolbild: dpa/Peter Gercke

Ella-Marie Kirschstein aus Naunhof bei Leipzig ist gerade erst vier Jahre alt, aber eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat sie schon gewonnen. Ihre Eltern haben sich in Ellas Namen der Klage gegen das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung angeschlossen, die jetzt einen historischen Erfolg feiern konnte: Die acht obersten Richter entschieden einstimmig, dass die Regelungen der Regierung nicht den Pariser Klimazielen genügen. Die jungen Kläger würden in ihren Freiheitsrechten verletzt, weil die großen Aufgaben zur Emissionsminderung auf die Zeit nach 2030 verschoben worden seien.

Auch auf Ella-Marie trifft das zu. Sie hat eine Lebenserwartung bis 2105 und wohnt in einem Haus an der Parthe, das bei Hochwasser in Gefahr ist. Erst 2013 habe der Fluss das komplette Grundstück überflutet, erzählt ihr Vater Emmanuel Kirschstein. „Als Eigentümer eines Einfamilienhauses mit direkter Lage zu einem Fluss sehen wir gefühlt täglich dem Klimawandel ins Auge“, sagt Kirschstein. „Die Verfassungsbeschwerde ist ein erster Schritt, sich gegen das Unterlassen der Gesetzgebung zu wehren.“

Anfangs belächelt, dann ernst genommen

Dass die Kirschsteins aus Naunhof zu den Klägern gehören, hat auch etwas mit ihrem Freundeskreis zu tun. Die Klage stammte von Juristen aus Leipzig: Franziska Heß, 42, promovierte Fachanwältin für Verwaltungsrecht, Spezialistin für Umweltrecht und Partnerin der Kanzlei Baumann Rechtsanwälte sowie Felix Ekardt, 49: Inhaber einer Forschungsstelle für Nachhaltigkeit und Klimapolitik in Leipzig, Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Uni Rostock und 2013 Oberbürgermeister-Kandidat der Grünen.

Zusammen bildet das Duo auch die Landesspitze der Umweltorganisation BUND in Dresden. Im November 2018 reichten sie ihre Verfassungsbeschwerde ein: fast 200 Seiten stark, dazu 3000 Seiten Anhang. Nach der Verabschiedung des Klimagesetzes legten sie noch einmal 65 Seiten nach, erzählt Franziska Heß. Anfangs seien sie belächelt worden. Doch als das Verfassungsgericht 2019 erkennen ließ, dass es sich der Sache inhaltlich annimmt, wurde es ernst – und drei weitere Klagen von Umweltverbänden stießen hinzu.

Neue Klage nächstes Jahr?

Mittlerweile hat die Bundesregierung reagiert und das Klimaschutzgesetz nachgebessert. Doch ob die neuen Vorgaben ausreichen, ist keineswegs ausgemacht. „Es könnte sein, dass wir im nächsten Jahr eine neue Klage vorbereiten müssen“, sagt Ekardt. „Die Klimaziele, die jetzt von der Regierung formuliert wurden, entsprechen nicht dem Gerichtsbeschluss – zumal die Argumentation der Richter nun strengere Maßstäbe an die Politik anlegt.“

Darüber hinaus werde die Landesdelegiertenversammlung des BUND Mitte Juni neue Forderungen an die Landesregierung beraten. Es gehe um die Anpassung der sächsischen Politik an das Urteil, um ein schnelleres Ende der Braunkohle und einen größeren Einsatz des Ministerpräsidenten für die Klimaziele der EU. Immerhin sind Ekardt und Heß nun international gefragte Experten.

Die Leipziger Juristen Franziska Heß und Felix Ekardt reichten im November 2018 ihre Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutzgesetz ein.
Die Leipziger Juristen Franziska Heß und Felix Ekardt reichten im November 2018 ihre Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutzgesetz ein. © LVZ/ Andre Kempner

Der treibende Kopf hinter der Klage war ein alter Haudegen der Umweltbewegung: Wolf von Fabeck, 86, aus Magdeburg. Einst Offizier an der Fachhochschule des Heeres in Darmstadt, schied er 1986 aus der Bundeswehr aus, um sich für den Umweltschutz zu engagieren. Heute ist er Ehrenvorsitzender des Solarenergie-Fördervereins SFV, er hat reichlich Vereinsgelder und Spenden akquiriert, um den Klageweg zu finanzieren.

„Ich habe mich der Beschwerde angeschlossen“, sagt von Fabeck, „weil ich über die Untätigkeit der Bundesregierung beim Klimaschutz entsetzt bin.“ Schon heute bedrohe der Klimawandel die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie auf Eigentum. „Die Folgen für die kommenden Generationen werden katastrophal sein.“

Insgesamt elf Kläger

Wolf von Fabeck habe ihn seit Jahren intensiv aufgefordert, die Klage zu formulieren, erzählt Ekardt. Erste Gutachten habe er schon geschrieben, auch seine Habilitationsschrift befasste sich mit der Frage von Freiheit und Klimagerechtigkeit. „Den Plan zur Verfassungsbeschwerde haben wir dann auf einer Zugfahrt zu einer BUND-Veranstaltung gesponnen“, erzählt Heß.

Insgesamt elf private Kläger, den Solar-Förderverein und den BUND haben die Juristen schließlich hinter ihrer Verfassungsbeschwerde versammelt, unter ihnen auch den Schauspieler und Umweltschützer Hannes Jaenicke als prominentes Gesicht. „Wir haben gezielt Leute ausgesucht, die bereits jetzt vom Klimawandel betroffen sind – etwa weil sie an einem Fluss leben oder unter Hitzesommern leiden“, sagt Heß. Dazu gehöre Wolf von Fabeck.

Das Bundesverfassungsgericht wurde schon einige Male für mehr Umweltschutz angerufen, etwa beim Sommersmog, beim Waldsterben oder im Atomrecht. Doch bisher waren die Klagen nie erfolgreich. Auch die Leipziger Juristen haben nicht mit einem Erfolg gerechnet. Sie hatten schon eine Presseerklärung für eine Niederlage vorbereitet. Am Morgen des Richterspruchs blieben ihnen anderthalb Stunden, um sie komplett umzuschreiben.