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Verleumdung: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen Gil Ofarim

Nach bundesweiter Debatte um eine angebliche antisemitische Ausgrenzung in einem Leipziger Hotel wird dessen Mitarbeiter nun entlastet – aber Gil Ofarim strafrechtlich verfolgt.

Von Annette Binninger & Sven Heitkamp
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Gegen Sänger Gil Ofarim wurde nun Anklage erhoben. Er soll im Oktober 2021 den Hotelmitarbeiter eines Leipziger Hotels fälschlicherweise antisemitischer Äußerungen bezichtigt haben.
Gegen Sänger Gil Ofarim wurde nun Anklage erhoben. Er soll im Oktober 2021 den Hotelmitarbeiter eines Leipziger Hotels fälschlicherweise antisemitischer Äußerungen bezichtigt haben. © dpa/ Tobias Hase

Leipzig. Es ist die große Kehrtwende im Fall um den Sänger Gil Ofarim wegen angeblicher antisemitischer Äußerungen im Leipziger Hotel Westin: Die Leipziger Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen den Münchener Musiker wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung in zwei Fällen beim Landgericht in Leipzig erhoben.

Gleichzeitig wurde das Ermittlungsverfahren gegen einen beschuldigten Hotelmitarbeiter wegen Volksverhetzung, Beleidigung und versuchter Nötigung eingestellt. Die Ermittlungen gegen ihn hätten keinen hinreichenden Tatverdacht ergeben, teilte die Staatsanwaltschaft am Donnerstagmittag mit.

Der Vorfall hatte tagelang für bundesweite und sogar internationale Schlagzeilen gesorgt und eine Debatte über Antisemitismus in Deutschland ausgelöst. Popsänger Ofarim hatte Anfang Oktober in einem Video den Vorwurf erhoben, er sei im Leipziger Hotel Westin wegen einer Halskette mit Davidstern antisemitisch beleidigt und ausgegrenzt worden.

Man habe ihm erst ein Hotelzimmer geben wollen, wenn er seine Kette ablege. Den Vorwurf gegen den Hotelmitarbeiter erhob der Künstler in einem vier Millionen mal geklickten Video auf seinem Instagram-Kanal.

"Das Geschehen hat sich tatsächlich so nicht ereignet"

Nach monatelangen Ermittlungen und Zeugenbefragungen kamen die Staatsanwälte nun allerdings zu einem anderen Urteil: Die Behauptung von Ofarim, dass am Abend des 4. Oktober in der Hotel-Lobby ihm gegenüber antisemitische oder andere herabsetzende Äußerungen wegen einer Kette mit Davidstern gefallen seien und dass ihm von einem Mitarbeiter versagt worden sei, im Hotel zu übernachten, "konnte nach Auffassung der Staatsanwaltschaft im Ergebnis der Ermittlungen nicht bestätigt werden."

Mehr noch: Das Geschehen, wie es von Gil Ofarim in seinem Video geschildert wurde, habe sich "tatsächlich so nicht ereignet".

Im Zuge der Ermittlungen habe man keine Feststellungen treffen können, die die Schilderung des 39-Jährigen zum Geschehensablauf bestätigen, teilten die Staatsanwälte mit. Die Ermittler werfen Ofarim vielmehr vor, selbst bei seiner polizeilichen Vernehmung im Oktober seine Behauptungen "in Kenntnis ihrer Unwahrheit" wiederholt und ausdrücklich angezeigt zu haben.

Damit habe er sich selbst einer falschen Verdächtigung strafbar gemacht – obwohl er auch wissen konnte, welche ehrverletzenden Folgen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen seine Behauptungen für den Hotelmitarbeiter haben könnten.

In dem knapp zweiminütigen Filmclip hatte der prominente Musiker mehrfach um Worte gerungen und mit den Tränen gekämpft. Er erzählte in die Kamera, dass es im Westin eine Menschenschlange wegen eines Computerproblems gegeben habe, aber immer wieder andere Hotelgäste vorgelassen worden seien. Als er an die Reihe kam, habe jemand im Foyer gerufen: "Pack deinen Stern ein!"

Der Hotelmitarbeiter habe hinzugefügt: "Packen Sie Ihren Stern ein!" Ofarim: "Er sagt, wenn ich ihn jetzt einpacke, darf ich einchecken." Zahlreiche nationale und internationale Politiker kritisierten den angeblichen Vorfall und verlangten Konsequenzen des Hotels. Zudem protestierte vor dem Hotel eine größere Menschengruppe gegen Antisemitismus.

Digitalforensischer Experte in Ermittlungen involviert

Der Musiker ist Sohn der israelischen Musiklegende Abi Ofarim, der mehrere Goldene Schallplatten erhielt und die Queen traf. Gil Ofarin wurde ebenfalls Rock- und Popmusiker und Schauspieler und gewann eine Staffel der Tanzshow "Let’s Dance".

Seit seiner Jugend erlebe er aber immer wieder Antisemitismus, berichtete Ofarim in Interviews. Er hatte nach dem Vorfall in einem anderen Leipziger Hotel eingecheckt und war später zurückgefahren, um sein Handyvideo vor der Tür des Westin aufzunehmen. Er war an jenem Abend für eine Fernsehaufzeichnung in Leipzig.

Zahlreiche Zeugenbefragungen im Auftrag des Hotels sowie der Ermittlungsbehörden hatten allerdings bisher keine Bestätigung für die Schilderung ergeben. Zudem tauchten Aufnahmen der Hotelkameras in der Öffentlichkeit auf, die Ofarim nur ohne Kette mit Davidstern zeigen. Seither war unklar, ob Ofarim an jenem Abend überhaupt diese Kette trug.

Die Szenen wurden sogar nachgestellt und erneut aufgenommen. Ein digitalforensischer Experte wurde dann mit der Begutachtung der Aufnahmen aus mehreren Überwachungskameras beauftragt.

Zur Erhebung der Anklage äußerte sich Ofarim am Donnerstag zunächst nicht, auch sein Instagram-Profil war nicht erreichbar. Das Management lehnte ebenfalls eine Stellungnahme zunächst ab.

Das Hotel zeigte sich in einer ersten Reaktion erleichtert. Die gerichtliche Aufklärung werde das Hotel nun ebenfalls begleiten und unterstützen. "Das gesamte Team des Hotels ist nach langen Wochen und Monaten über die Entscheidung der Staatsanwaltschaft äußerst erleichtert", sagte Manager Andreas Hachmeister.

Für die angeklagten Straftaten drohen bis zu fünf Jahren Haft oder eine Geldstrafe. Angesichts des großen überregionalen Medieninteresses sei der Fall gleich ans Landgericht Leipzig übergeben worden. Dies müsse nun über die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden, so die Staatsanwaltschaft.

"Das Schlimmste ist, jemanden als Antisemit zu bezeichnen"

Hörbar verärgert und empört über die Wende im Fall Ofarim reagierte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) auf die Ankündigung der Staatsanwaltschaft, Anklage wegen Verleumdung gegen Ofarim zu erheben. Er sei der Polizei und der Staatsanwaltschaft "sehr dankbar für ihre Ermittlungen, die jetzt zum Abschluss gekommen sind und Klarheit gebracht haben", sagte Kretschmer. "Das Schlimmste ist, jemanden als Antisemit zu bezeichnen. Dies für Falschaussagen und Verleumdung zu missbrauchen ist schockierend und zu tiefst verachtenswert", kritisierte Sachsens Regierungschef den Pop-Sänger. In den vergangenen Jahrzehnten sei "ein großes Vertrauen zwischen Deutschen und Juden gewachsen", so Kretschmer – er unterschied damit ausdrücklich zwischen "Deutschen und Juden".

Gil Ofarim habe "nicht nur den Mitarbeiter, das Hotel, die Stadt und Sachsen in Misskredit gebracht, sondern auch Schaden an der jüdischen Gemeinschaft angerichtet", urteilte Kretschmer. "Jetzt besteht die Möglichkeit, dass diejenigen, die da völlig zu Unrecht im Verdacht des Vorwurfes standen, ihre Ehre zurückbekommen können."Darum sei eine Entschuldigung nun "das Mindeste" – "auch von denen, die vorschnell ihre Schlüsse gezogen und vorverurteilt haben."

Ohne die beiden Minister zu nennen, kritisierte Kretschmer damit auch Justizministerin Katja Meier (Grüne) sowie Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD), die damals kurz nach Bekanntwerden der Vorwürfe von Ofarim gegen Hotel-Mitarbeiter Antisemitismus scharf verurteilt hatten.

Meier konterte Kretschmers Aussage via Twitter. "Vorschnelle öffentliche politische Bewertungen sind in so einer schwierigen Angelegenheit fehl am Platz, ebenso Statements, die ein Ergebnis vorwegnehmen." Es sei jetzt "Aufgabe von Ermittlungsbehörden herauszufinden, ob eine Straftat begangen wurde und Aufgabe von Gerichten, ein Urteil zu fällen". Ohne Kretschmer namentlich zu nennen, warf sie ihm damit vor, Ofarim vorverurteilt zu haben.

Der Zentralrat der Juden erklärte am Donnerstag, man habe die Anklageerhebung zur Kenntnis genommen. "Im Vertrauen auf unseren Rechtsstaat gilt es, keine Vorverurteilungen vorzunehmen", erklärte Präsident Josef Schuster. Der Zentralrat werde das weitere Verfahren am Landgericht Leipzig mit Interesse verfolgen. (mit dpa)