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Prozess gegen "Kinderzimmer-Dealer" in Leipzig beginnt

Max S. aus Leipzig verdiente Millionen mit Drogenverkäufen. Netflix verschaffte ihm zusätzliche Bekanntheit. Nun steht er wieder vor Gericht.

Von Sven Heitkamp
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Der als „Kinderzimmer-Dealer“ bekannt gewordene 27 Jahre alte Leipziger steht seit Montag erneut vor dem Landgericht Leipzig.
Der als „Kinderzimmer-Dealer“ bekannt gewordene 27 Jahre alte Leipziger steht seit Montag erneut vor dem Landgericht Leipzig. © Hendrik Schmidt/dpa

Leipzig. Als Max S. vor reihenweise Kameras den großen Saal 115 des Leipziger Landgerichts betritt, macht er sich gar nicht erst die Mühe, sein Gesicht hinter Masken und Akten zu verstecken. Ihn kennt sowieso jeder, spätestens, seit seine Geschichte bei Netflix verfilmt wurde und er in einer Doku offenherzig Interviews gab. Max S. versteckt sich nicht, er grinst wissend und plaudert entspannt mit seinen Anwälten.

Der heute 28-Jährige ist der international bekannte „Kinderzimmer-Dealer“. Er hat vor zehn Jahren begonnen, von seinem Jugendzimmer aus fast eine Tonne Drogen im Internet zu verkaufen. Die Internetadresse „Shiny Flakes“ lief jahrelang wie geschmiert, Max verdiente Millionen, bis er erwischt wurde und 2015 zu sieben Jahren Jugendstrafe verurteilt wurde. Er hat es trotzdem wieder getan, schon als Freigänger während der Haftzeit muss er mit Komplizen einen neuen Online-Drogenshop unter der Adresse „Candy love“ aufgebaut haben. Nun steht er wieder vor Gericht.

Am Montagmorgen beginnt nach einigen Verzögerungen sein zweiter Prozess. Diesmal sitzt Max S., der selbst keine Drogen konsumiert, nicht mehr allein auf der Anklagebank. Neben ihm hocken vier weitere Männer zwischen 24 und 42 Jahren, die nach Meinung der Ermittler auf noch unklare Weise mitgemacht haben sollen – unter ihnen sogar ein stadtbekannter Strafrechtsanwalt. Laut der Anklage, die Oberstaatsanwalt Guido Lunkeit am Morgen verliest, sollen sich drei der Angeklagten spätestens im November 2018 entschlossen haben, ihren Onlinehandel aufzubauen.

Dazu sollen sie auch „Bunkerwohnungen“ angemietet haben, in denen die Drogen gelagert wurden. Die Webseite „candylove.to“ sollen sie dann vom April 2019 bis Januar 2021 genutzt haben, um kiloweise Drogen im In- und Ausland zu verkaufen: unter anderem Kokain, LSD, Amphetamin, Ecstasy, Haschisch und diverse verschreibungspflichtige Medikamente. Zwei weiteren Angeklagten wird nur Beihilfe zum Handel mit Betäubungsmitteln vorgeworfen. Sie könnten mit einer Bewährungsstrafe davonkommen.

Max S. aber sei der Kopf der Bande gewesen, die arbeitsteilig vorgegangen sei, sagt Staatsanwalt Lunkeit. Er habe die finanziellen Mittel, das Wissen und die Fähigkeiten gehabt, um so eine Sache aufzubauen und zu betreiben. Er habe sich unter anderem um Personal, Wohnungen und Fahrdienste gekümmert. Einer der Männer habe sich, so die Ermittler, um die Logistik gekümmert. Ein Rechtsanwalt habe indessen für Rechtsfragen und Arbeitsverträge zur Verfügung gestanden.

Mindestens 471 Postsendungen hätten sie unter anderem aus einer modernen Neubau-Wohnung in der Prager Straße verschickt und mindestens 94.842 Euro verdient. Mehrfach hat auch ein verdeckter Ermittler Methamphetamin, LSD und andere Drogen bestellt, um Informationen über den Shop zu sammeln. Ende Januar 2021 stellten die Ermittler die Webseite ab. Zur gleichen Zeit liefen beim Streamingdienst Netflix die Erfolgsserie „How to Sell Drugs Online (Fast)“ und die Dokumentation „The teenage drug lord“.

Anwalt fordert Einstellung des Verfahrens

Zum Auftakt des Prozesses gibt es gleich mehrere Überraschungen. Max’ Leipziger Anwalt Curt-Matthias Engel fordert, das Verfahren einzustellen, weil die 8. Strafkammer gar nicht zuständig sei. Der jüngste Angeklagte sei während der Taten noch als Heranwachsender anzusehen und damit eine Jugendstrafkammer nötig. Andrej Klein, der Dresdner Verteidiger des beschuldigten Anwalts, fordert in einer Erklärung ausschließlich einen Freispruch für seinen Mandanten.

Er habe weder einen Bezug zu Max S. noch zu den Anklagepunkten – und drohe vielmehr, seine Zulassung als Anwalt zu verlieren. Die Staatsanwaltschaft habe einfach die lückenhaften Polizei-Ermittlungen „mit allen inhaltlichen und sprachlichen Fehlern“ übernommen. Dabei dürften die Abschriften einer Telefonüberwachung mit dem Anwalt gar nicht verwendet werden.

Urteil nicht vor Ende Juni

Am Donnerstag könnten sich einige Angeklagte in der Hoffnung auf mildere Strafen zu den Vorwürfen äußern oder sogar ein Geständnis ablegen, wenn das Verfahren nicht eingestellt wird. Die Kammer verhandele ergebnisoffen und sei bereit zu Verständigungsgesprächen, betonte der Vorsitzende Richter Rüdiger Harr. Ein 36-jähriger Angeklagter sitzt wegen eines anderen Vorwurfs eine längere Haftstrafe ab und wolle, so argumentiert seine Anwältin Ines Kilian, seine Resozialisierung zügig fortführen. Deshalb könnte er das Verfahren abkürzen wollen.

Bislang hat die Kammer 19 weitere Verhandlungstermine angesetzt, demnach ist erst Ende Juni mit einem Urteil zu rechnen. Max S. könnte dann für mehrere Jahre wieder ins Gefängnis gehen – während er den Großteil seines früheren Gewinns von rund vier Millionen Euro möglicherweise bis heute versteckt hält. Netflix hat unterdessen angekündigt, eine vierte Staffel der Erfolgsserie zu drehen.