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Verletzte Polizisten nach Ausschreitungen bei Demo für Lina E. in Leipzig

Kurz nach dem Urteil gegen die linksextreme Studentin Lina E. gingen bundesweit Sympathisanten auf die Straße. In Leipzig kam es zu Ausschreitungen, in Dresden verlief ein Protestzug weitestgehend friedlich.

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Polizisten stehen in Leipzig im Pyro-Nebel: In der Stadt kam es zu Ausschreitungen.
Polizisten stehen in Leipzig im Pyro-Nebel: In der Stadt kam es zu Ausschreitungen. © dpa/Sebastian Willnow

Leipzig/Dresden. Nach dem Schuldspruch für die Studentin Lina E. wegen linksextremistischer Gewalttaten haben Sympathisanten in mehreren Städten gegen das Urteil protestiert. Dabei kam es am Mittwochabend teilweise zu Ausschreitungen und Zusammenstößen. In Leipzig wurde eine Versammlung nach Angaben eines Polizeisprechers für beendet erklärt, nachdem Flaschen und Pyrotechnik in Richtung der Beamten geworfen worden seien.

Die Studentin war am Mittwoch zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden. Das Oberlandesgericht Dresden sprach die aus Kassel stammende 28-Jährige wegen mehrerer Angriffe auf Rechtsextreme der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung schuldig. Drei mitangeklagte Männer erhielten Strafen zwischen zwei Jahren und fünf Monaten sowie drei Jahren und drei Monaten. Der Haftbefehl gegen Lina E. wurde gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.

In Leipzig war nach dem Urteil ein hohes Aggressionspotenzial zu spüren. Die geplante Demo mit mehreren Hundert Teilnehmern unter dem Motto "Free Them All - Militanten Antifaschismus verteidigen" durch den Leipziger Osten konnte allerdings nicht loslaufen: Die Polizei sagte per Lautsprecher durch, dass die Versammlungsbehörde aufgrund der erhöhten Teilnehmerzahl von etwa 500 eine Standkundgebung verfügt habe. Außerdem seien die Demonstrierenden vermummt und teils militant im Erscheinungsbild gewesen. Sie hätten auch "Schutzbewaffnung" wie etwa spezielle Handschuhe mitgeführt.

Demonstranten schmissen mehrere Bengalos, Pyrotechnik, aber auch Steine in Richtung der Polizisten.
Demonstranten schmissen mehrere Bengalos, Pyrotechnik, aber auch Steine in Richtung der Polizisten. © SZ
Der Protestzug in Leipzig wurde kurz nach dem Start gestoppt.
Der Protestzug in Leipzig wurde kurz nach dem Start gestoppt. © SZ
Polizisten versperrten die Ausgänge des Parks.
Polizisten versperrten die Ausgänge des Parks. © SZ
Im Leipziger Lene-Voigt-Park versammelten sich mehrere Hundert linke Protestteilnehmer.
Im Leipziger Lene-Voigt-Park versammelten sich mehrere Hundert linke Protestteilnehmer. © SZ
Mit Pfefferspray gingen die Polizisten teils gegen Demonstranten vor.
Mit Pfefferspray gingen die Polizisten teils gegen Demonstranten vor. © SZ
Unbekannte haben mit Pyrotechnik und Steinen auf Polizisten geworfen.
Unbekannte haben mit Pyrotechnik und Steinen auf Polizisten geworfen. © SZ
In einem besetzten Haus an der Kreuzung Wurzener-/Breitestraße wurden am Abend Fahnen geschwenkt.
In einem besetzten Haus an der Kreuzung Wurzener-/Breitestraße wurden am Abend Fahnen geschwenkt. © SZ

Linke Demonstration: Polizei stellt zwei mutmaßliche Steinewerfer

Demonstranten riefen anschließend polizeifeindliche Sprüche, es wurde Pyrotechnik gezündet, Polizisten wurden mit Böllern beworfen. Ein Polizeisprecher sagte, es habe aus mehreren Gruppen heraus Straftaten gegeben. Demonstranten hätten zum Beispiel Barrikaden errichtet und Beamte mit Steinen, Flaschen und Pyrotechnik beworfen. Nach Angriffen auf Polizisten wurde die Versammlung gegen 21.40 Uhr für beendet erklärt.

Vier Einsatzkräfte seien leicht verletzt worden, teilte die Polizei in der Nacht mit. Zwei tatverdächtige Steinewerfer konnten gegen 22.30 Uhr (32 und 31, beide deutsch) gestellt werden. Ihre Personalien sowie eine Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung gegen sie wurden aufgenommen. Danach wurden sie freigelassen.

Um kurz nach 22 Uhr habe sich dann noch eine untere dreistellige Zahl von Demonstranten vor Ort befunden. Ein Teil der Teilnehmer zog vom Park weiter zur Ecke Wurzner-/Breitestraße, wo zwei Häuser von linken Sympathisanten belegt sind.

In der Nacht räumte die Polizei in Leipzig dann eine Barrikade, die Demonstranten auf einer Kreuzung mit Bauabsperrungen und dem Inhalt von Glascontainern errichtet hatten. Dabei kam ein Räumpanzer zum Einsatz. Auch ein Wasserwerfer stand bereit. Die Polizei bezifferte die Zahl der Protestteilnehmer auf rund 800. Laut Polizei gab es dort auch Fälle von Körperverletzung.

Im Park, wo die Versammlung stattfand, hatte sich die Situation dagegen am späten Abend etwas beruhigt. Gegen 23.30 Uhr kam es jedoch im Bereich der Breitestraße zu einem weiteren tätlichen Angriff von fünf unbekannten Personen auf einen Radfahrer. Der Radfahrer war mit 2,42 Promille stark alkoholisiert und gab der Polizei zufolge an, dass ihn fünf schwarz gekleideten Personen geschlagen hätten. Er wurde leicht verletzt. Nach Angaben der Polizei wurden in diesem Zusammenhang Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung aufgenommen. Gegen den Radfahrer wird wegen Trunkenheit im Verkehr ermittelt.

Einsatzkräfte waren in der Nacht noch im gesamten Stadtgebiet unterwegs. Während des Einsatzes soll ein über Leipzig kreisender Polizeihubschrauber mit einem Laser-Pointer geblendet worden sein, so die Polizei. Es wurden Ermittlungen wegen des gefährlichen Eingriffs in den Luftverkehr aufgenommen.

Nach der Auflösung der Demonstration in Leipzig zogen Teilnehmer zu einem von Linken belegtem Haus. Dort stand ein Wasserwerfer sowie ein Räumpanzer der Polizei bereit.
Nach der Auflösung der Demonstration in Leipzig zogen Teilnehmer zu einem von Linken belegtem Haus. Dort stand ein Wasserwerfer sowie ein Räumpanzer der Polizei bereit. © SZ

Bis zum Donnerstagmorgen blieb es weitestgehend ruhig in Leipzig. Im Stadtteil Connewitz brannte jedoch gegen 1.20 Uhr ein Glascontainer in der Wolfgang-Heinze-Straße.

Kurze Zeit später steckten Unbekannte auf der Mühlholzgasse ein Auto in Flammen. Die Polizei konnte in der Nähe des Tatorts drei Tatverdächtige (weiblich, 34 | männlich, 28 und 26, alle deutsch) festnehmen. Ein Fährtenhund nach vor Ort eine Spur auf. Gegen die drei mutmaßlichen Brandstifter wird nun ermittelt. Sie haben die Nacht zu Donnerstag im Polizeigewahrsam verbracht. Nach Angaben der Polizei wurden sie am Morgen einem Ermittlungsrichter vorgeführt. Er ließ sie anschließend frei.

Die Demo sollte eine "erste Reaktion" auf das Ende des Prozesses am Oberlandesgericht (OLG) Dresden sein, der in der linken Szene als Antifa-Ost-Verfahren bezeichnet wird. Für Samstag ruft die linksradikale Szene überregional zur Teilnahme an einem großen "Tag X" in Leipzig auf. Die Polizei befürchtet Ausschreitungen und bereitet einen Großeinsatz vor.

Etwa 300 Unterstützer zogen durch Dresden

Noch während am Oberlandesgericht in Dresden die Urteilsbegründung im Extremismus-Prozess gegen Lina E. lief, sind am Mittwochabend Sympathisanten durch die sächsische Landeshauptstadt gezogen. Die Demonstrantinnen und Demonstranten hielten Transparente mit der Aufschrift "Free Lina". Zur Veranstaltung kamen nach Schätzung eines Reporters von Sächsische.de 250 bis 300 Menschen. Der Protestzug startete gegen 19 Uhr am Jorge-Gomondai-Platz in der Äußeren Neustadt und lief durch die Altstadt zurück zum Alaunpark.

Gegen 20.30 Uhr fand dort die Demonstration ein friedliches Ende. Vereinzelt warfen Teilnehmer während der Demo Pyrotechnik auf die Straße, zudem wurden zwei Personen zur Identitätsfeststellung von der Polizei in der Neustadt kurz festgehalten.

Demonstranten aus dem linken Spektrum demonstrieren gegen das Urteil im Prozess um Lina E. und drei Männer und laufen dabei über die Dresdner Carolabrücke.
Demonstranten aus dem linken Spektrum demonstrieren gegen das Urteil im Prozess um Lina E. und drei Männer und laufen dabei über die Dresdner Carolabrücke. © Robert Michael/dpa

Brennende Autos in Halle: Zusammenhang mit linker Szene?

In einem Autohaus in Halle sind in der Nacht zu Donnerstag zwei Autos angezündet worden. Die Polizei prüft nun, ob das Feuer mit der Verurteilung der linksradikalen Lina E. zusammenhängt.

Es sei noch Gegenstand der Ermittlungen, ob die angezündeten Fahrzeuge damit in Verbindung stünden, sagte Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) am Donnerstag im Landtag. Mit der Urteilsverkündung gegen Lina E. habe man sich auf Demonstrationen, Aktionen und mögliche Sachbeschädigungen eingestellt.

Nach Angaben der Polizei in Halle waren zwei Fahrzeuge in dem Autohaus neben der Polizeiinspektion in Brand gesetzt worden. Das Feuer habe auch zwei daneben stehende Autos beschädigt. Insgesamt sei ein Sachschaden von rund 130 000 Euro entstanden.

Nach Urteil gegen Lina E.: Ausschreitungen in Bremen und Hamburg

Nach dem Dresdner Urteil gegen Lina E. kam es am Mittwochabend zudem zu Ausschreitungen in der Bremer Innenstadt. Über die Ausschreitungen sagte die Polizeisprecherin, es seien Glasflaschen und Steine auf Polizisten geworfen worden, auch Pyrotechnik sei gezündet worden.

Außerdem sei ein Polizeiauto beschädigt worden. Verletzt worden sei niemand. Rund 70 Verdächtige wurden laut Polizei vorläufig festgenommen. Die Lage habe sich am späten Abend beruhigt. Die Polizei war nach eigenen Angaben mit zahlreichen Kräften im Einsatz. Auch ein Wasserwerfer und ein gepanzertes Fahrzeug standen bereit.

In Hamburg versammelten sich Hunderte Anhänger der linken Szene zum Protest gegen das Gerichtsurteil und zogen - begleitet von Polizisten - durch das Schanzenviertel. Auf ihren Transparenten standen Parolen wie "Free them all" und "Kampf ihrer Klassenjustiz".

Die Polizei sprach in der Nacht von etwa 1.200 Teilnehmern. Polizisten seien unter anderem mit Flaschen und Pyrotechnik beworfen worden. Laut einem Sprecher wurden drei Beamte leicht verletzt. Zudem gab es fünf Festnahmen. Trotz allem sei die Demonstration "überwiegend friedlich" verlaufen, sagte ein Polizeisprecher.

In Berlin bezifferte die Polizei die Teilnehmerzahl in der Nacht auf rund 450. Die Demonstration sei weitgehend friedlich verlaufen, es habe bloß einige Rangeleien gegeben. Laut einem Sprecher wurden drei Polizisten leicht verletzt. Eine Person sei festgenommen worden.

Polizeigewerkschaft will mehr Schutz vor linksextremer Gewalt

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sieht die Polizeibeamten nach der Verurteilung der Studentin Lina E. wegen linksextremistischer Gewalttaten besonders gefordert und bedroht. "Linksextremisten üben Rache und bereiten sich auf noch mehr Gewalt vor", sagte der GdP-Bundesvorsitzende Jochen Kopelke am Donnerstag. Er fügte hinzu: "Wir Polizisten müssen deren Versammlungen schützen. Diese Arbeitsrealität ist bitter."

Die Gewerkschaft der Polizei fordert in allen Bundesländern und im Bund Sonderstaatsanwaltschaften, die sich speziell um Gewalt gegen Polizeibeschäftigte kümmern. Um Polizeibeschäftigte und ihre Angehörigen besser zu schützen, seien zudem Auskunftssperren eine sinnvolle Maßnahme. Der Weg hin zu einer solchen Sperrung der Melderegisterauskunft sei bislang jedoch in vielen Fällen "sehr steinig". Die GdP sprach sich außerdem für "ein einheitliches, strenges Bundesversammlungsgesetz" aus.

Bundesinnenministerin: "Selbstjustiz ist in unserem Land nicht erlaubt"

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat jegliche Ausschreitungen bei den Solidaritätskundgebungen für die Studentin Lina E. aufs Schärfste kritisiert. "Mein Appell ist noch mal und ich bin da etwas härter: Selbstjustiz ist nicht erlaubt in unserem Land", sagte die SPD-Politikerin am Donnerstag am Rande eines Besuchs der Bundespolizei am Münchner Flughafen.

Allen, die wegen des Urteils gegen Lina E. nun auf die Straße gingen und dort gewaltsam protestierten, rief Faeser zu: "Das ist nicht der richtige Weg. Wir leben in einem Rechtsstaat. Dort können Gerichtsurteile überprüft werden. Man kann dagegen vorgehen, wenn man das möchte. Aber mit Gewalt darauf zu reagieren, ist die völlig falsche Antwort", betonte Faeser.

Faeser kündigte erneut an, die Sicherheitsbehörden in Deutschland würden keine gewalttätigen Ausschreitungen akzeptieren: "Und da kann ich auch nur sagen, wir werden als Rechtsstaat entschieden entgegentreten, überall auf der Straße. Wir werden auch mit der Bundespolizei massiv mit Kräften unterstützen. Das lassen wir nicht zu. Selbstjustiz, wie gesagt, ist in unserem Land nicht erlaubt." (SZ/jep/ehl mit dpa)