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Bürgerrat diskutiert über Freiheitsdenkmal in Leipzig

Vor Jahren scheiterte die Idee, in Leipzig ein Freiheits- und Einheitsdenkmal zu bauen. Nun gibt es einen neuen Anlauf – und ausgeloste Bürger reden mit.

Von Levin Kubeth
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Auf der Suche nach einem Standort: Leipziger erkunden mögliche Orte für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal.
Auf der Suche nach einem Standort: Leipziger erkunden mögliche Orte für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal. © Ronald Bonß

Leipzig. 35 Bürgerinnen und Bürger der Stadt Leipzig haben ein Wochenende lang beraten, wo ein Freiheits- und Einheitsdenkmal stehen könnte. Das Besondere: Die Teilnehmer sind gelost.

Die Stiftung Friedliche Revolution und das Berliner Nexus Institut haben 1.000 zufällig ausgewählte Adressen aus dem Leipziger Melderegister angeschrieben. 80 Personen haben sich zurückgemeldet, 40 dürfen teilnehmen – nicht alle sind gekommen.

Im Jahr 2008 forderte der Bundestag, die Friedliche Revolution in Leipzig zu würdigen. Ein erster Versuch ist 2014 nach einigen Streitereien gescheitert. Mit Bürgerbeteiligung soll es nun gelingen.

Die Gelosten beraten aber nur, wo das Denkmal stehen soll. Wie das Wettbewerbsverfahren aussieht, diskutiert ein Expertenrat. „Das braucht Fachkompetenz, die Bürger nicht einbringen können“, sagt Gesine Oltmanns von der Stiftung Friedliche Revolution.

Im Bürgerrat treffen drei Altersgruppen aufeinander. Da sind jene, die sich als Erlebnisgeneration bezeichnen, weil sie die Wende als Erwachsene erlebt haben. Darauf folgt die Generation, die zu dem Zeitpunkt noch sehr jung war und jene Menschen, die erst nach der Wende geboren sind.

„Ist es ein stationärer Ort oder ein Ort der Bewegung?“

Bevor die Diskussion beginnt, besichtigen die Teilnehmer mögliche Orte. Vorab hat eine Expertenkommission aus Historikern, Verlegern und Künstlern fünf ausgewählt. Welche das sind, soll noch nicht in der Zeitung stehen.

Einer der Experten ist beim Rundgang dabei. Werner Möller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Bauhaus Dessau. Er sagt, es gehe auch bei der Denkmalplanung um die Frage: „Ist es ein stationärer Ort oder ein Ort der Bewegung?“ Davon hängt ab, wie das Denkmal ausschauen wird.

Die Gruppe spaziert den Weg entlang, den auch die Demonstrierenden 1989 gelaufen sind. Nicht immer ist man sich einig. „Durch das Tor sind die Demonstrierenden damals durch“, sagt jemand. „Ne, durchs nächste“, widerspricht Eckhard Otto, 69. Er sei selbst dabei gewesen.

Eckhard Otto lebt seit 1981 in Leipzig und bringt immer wieder seine Erlebnisse in den Bürgerrat ein.
Eckhard Otto lebt seit 1981 in Leipzig und bringt immer wieder seine Erlebnisse in den Bürgerrat ein. © Ronald Bonß

Nach dem Rundgang geht es nach Hause vor den Bildschirm. Die Beratung findet digital statt.

Zwei Personen aus dem Expertenrat stehen für Fragen zur Verfügung. Das ist das Besondere an Bürgerräten: Die gelosten Bürger besprechen sich, um im Sinne der Stadtbevölkerung ein Ergebnis hervorzubringen. Informationen liefern ihnen Experten, die Wahl müssen sie treffen.

Neu ist das Konzept nicht. Schon in der Antike sind so Entscheidungen getroffen worden.

„Als Zeitzeuge überzeugt mich dieser Platz emotional.“

In Kleingruppen diskutieren die Bürgerräte nun die Standorte. Die Atmosphäre ähnelt zu Beginn noch Gruppenarbeiten in der Schule. Stille. Niemand will als Erstes reden. Wer stellt die Ergebnisse vor? Keiner meldet sich. Das Format ist für alle neu.

„Ich begrüße, dass auf diesem Platz so viele Leute vorbeikommen und sie vielleicht über das Denkmal stolpern“, sagt ein Teilnehmer. „Als Zeitzeuge überzeugt mich dieser Platz emotional.“

Eine Teilnehmerin sagt über einen anderen Ort: „Ich find‘s da schon immer lottrig.“

Das ständige Hinterfragen gehört zum Prozess. „An welchem Denkmal denkt man wirklich?“, fragt Eckhard Otto. „Eine Erinnerung kann man nicht weitertragen. Erinnerungen hat man nur, wenn man sie erlebt hat.“

Werner Möller (2. v. r.) ist Teil des Expertenrats und zeigt den gelosten Bürgern die verschiedenen Orte.
Werner Möller (2. v. r.) ist Teil des Expertenrats und zeigt den gelosten Bürgern die verschiedenen Orte. © Ronald Bonß

Zur Auswahl stehen nicht nur physische Orte. „Im Jahr 2022 ist es auch möglich, anders über Raum nachzudenken“, sagt Jan Wenzel, Leipziger Verleger und einer der Experten des Bürgerrats. Wie so etwas ausschaut? Offen.

Die Bürgerräte sind kritisch: „Wir brauchen etwas, wo man drüber stolpert und auf die Sache aufmerksam machen kann.“ Ein Teilnehmer witzelt: „Server ist abgestürzt, Denkmal verschwunden.“

Die Organisatoren halten die Vor- und Nachteile zu jedem Standort an einem digitalen Whiteboard fest. Jeder kann Einspruch einlegen, falls die Organisatoren etwas falsch notiert haben.

Kurz vor der Abstimmung kommt es fast zu einem Eklat. „Die ganzen Vorschläge sind faule Kompromisse“, frotzelt eine Teilnehmerin. Ob man sich auch enthalten könne, will eine Frau wissen.

„Ich stehe trotzdem hinter dem Ergebnis.“

Ein älterer Herr sagt, er wolle eigentlich kein neues Denkmal haben. Er sei auch mit der Namensgebung sehr unzufrieden. Ein junger Mann pflichtet ihm bei: „Es kann kein Einheitsdenkmal sein, weil die Einheit nicht gegeben ist.“ Sein Lohn sei halb so gering wie der im Westen.

Das Nexus Institut reagiert auf die Diskussion. In die Abstimmung nimmt es die Fragen auf, wie das Denkmal heißen und ob es überhaupt eins geben soll.

Eine Teilnehmerin erzählt, sie habe während des Prozesses mehrfach ihre Meinung geändert. Dass es anderen auch so ging, zeigt das Ergebnis: Der Ort mit den meisten Stimmen lag am Tag zuvor noch auf dem vorletzten Platz. Der Austausch zeigt Wirkung.

Ein Teilnehmer sagt zum Schluss, er gehöre nicht zu denjenigen, die für den Favoriten gestimmt haben. „Aber ich stehe trotzdem hinter dem Ergebnis.“

Ein Gutachten, das den Prozess festhält, wird am 10. Februar dem Leipziger Bürgermeister übergeben. Der Stadtrat wird dann darüber beraten. Bindend ist das Ergebnis des gelosten Gremiums nicht.