Leipzig
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Ein Gewächshaus für den Artenschutz in Leipzig

In einem Hightech-Palast in Leipzig arbeiten internationale Forscher am Erhalt der Artenvielfalt in Zeiten des Klimawandels. Eine Frage bei den Experimenten: Wie kommuniziert eigentlich Winterweizen?

Von Sven Heitkamp
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Studentin Marie Himmel untersucht mit dem Doktoranten Axel Touw Blätter mit Getreideblattläusen. Das Ganze ist Teil eines Experimentes: ob geschädigte Pflanzen ihre gesunden Nachbarspflanzen warnen können.
Studentin Marie Himmel untersucht mit dem Doktoranten Axel Touw Blätter mit Getreideblattläusen. Das Ganze ist Teil eines Experimentes: ob geschädigte Pflanzen ihre gesunden Nachbarspflanzen warnen können. © Waltraud Grubitzsch/dpa

Auf langen Stahlgittertischen unter postgelben Lampen stehen schlanke, hohe Grünpflanzen mit goldenen Ähren. Einige sind noch in weiße Netze verpackt, andere stehen frei daneben. Mittendrin hantiert Marie Himmel im weißen Kittel an den Netzen und überprüft den Zustand der Pflanzen.

Es ist zurzeit ihr großes Experiment: Es handelt davon, ob und wie Winterweizen miteinander kommunizieren kann. Die Pflanzen hinter den Netzen sind mit Blattläusen befallen. Nun stellt sich die Frage, welche organischen Verbindungen der Weizen absondert, ob diese den gesunden Nachbarpflanzen durch die Luft Informationen übertragen und die Artgenossen warnen können: Achtung Schädlinge!

Die 32-Jährige schreibt zurzeit ihre Masterarbeit in Biotechnologie über den Einfluss flüchtiger Verbindungen von befallenen und nichtbefallenen Nachbarpflanzen. Die Ergebnisse könnten der Landwirtschaft helfen, sagt Marie Winter, den Winterweizen weiter zu optimieren, den Anbau zu vereinfachen, Blattlausbefall und Ernteausfälle zu verringern. Dafür nutzt sie die Sorte „Chinese Spring“, deren Erbgut entschlüsselt wurde und im Internet zu finden ist. „Wir wollen die Pflanzen besser kennenlernen und verstehen, wie sie kommunizieren“, sagt Marie Himmel. Wenn alles gut geht, will sie ihre Arbeit an der Fachhochschule Jena im Oktober einreichen und dann weiter forschen.

Experimente im Glaspalast

Das Weizen-Projekt ist nur eines von vielen im neuen Forschungsgewächshaus, das wie ein Ufo im Botanischen Garten Leipzigs gelandet ist: gut 1.000 Quadratmeter groß, riesige Glasflächen, viel Edelstahl, modernste Klimatechnologien und rund neun Millionen Euro teuer. Nach langen Verzögerungen steht es nun dem Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) mit mehr als 400 Mitarbeitern aus 35 Nationen in Leipzig, Halle und Jena für ihre Arbeit zur Verfügung.

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In zwölf großen, unabhängig voneinander klimatisierten Kabinen können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlichste Nutzpflanzen aus aller Welt kultivieren und damit eine Schlüsselfrage zu Artensterben und Klimawandel simulieren: Wie wandelt sich ein Ökosystem, wenn sich Temperaturen oder Luftfeuchtigkeit, Sonneneinfall oder Schädlingsbefall verändern – wie etwa bei einer Erderwärmung um 1,5 Grad.

„Unser hochmodernes Gewächshaus hilft uns, das Biodiversitäts-Geheimnis funktionierender Ökosysteme zu entschlüsseln“, sagt der Geschäftsführende Direktor Christian Wirth. Auch andere Wissenschaftler der Universitäten und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung können in dem Glaspalast Experimente machen. Ergänzend stehen dort Labore, eine Kühlkammer und Spezialgeräte wie eine Wurzelwaschanlage und eine Pflanzenmühle bereit, die allein den Wert eines Kleinwagens hat.

Fast zwei Jahre nicht in Betrieb

Zwei Anzuchtkabinen haben zudem eine besondere Sicherheitsstufe für Gentechnik-Versuche. Das Leipziger Hightech-Gewächshaus war nach seiner Fertigstellung im Frühjahr 2019 fast zwei Jahre nicht in Betrieb genommen worden. Als Gründe wurden Klärungs- und Anpassungsbedarf bei der komplexen Steuerung und der Einregulierung des Hauses genannt. Im März vorigen Jahres aber begann der Probebetrieb mit voller Bepflanzung, im Oktober starteten die ersten Versuche.

Robert Altmann, 34, ist der Haustechnik-Spezialist, der zusammen mit einem Gärtner Tag für Tag dafür sorgt, dass die Hightech-Maschine und die wissenschaftlichen Experimente reibungslos laufen. Der gelernte Elektroniker und studierte Medientechniker hat Berufserfahrung unter anderem auf Kreuzfahrtschiffen und beim Bau des Berliner Flughafens BER.

Sein Vater war Agraringenieur, Sohn Robert hat ihm sein Gewächshaus automatisiert. Seit Herbst 2019 ist er nun Versorgungsingenieur im Leipziger Gewächshaus und Ansprechpartner für die Wissenschaftler. Altmann weiß, was das Haus alles kann. Er kennt jeden Regler, um die mehr als 200 Parameter in den verglasten Kabinen mit eigenem Mikroklima zu steuern.

Nachhaltigkeit und Klimaschutz

Er kann jedes Gerät erklären: von der Wetterstation, der Verschattung mit Kunststoffgewebe-Matten und der Solarthermieanlage auf dem Dach über die Hochdruck-Benebelungsanlage und die Regenzisternen bis zur Kältemaschine und dem Notstromaggregat im Keller. Viele Werte lassen sich automatisiert per Computer oder online aus der Ferne steuern. Aber die empfindlichen Technologien brauchen immer auch den Experten vor Ort, falls etwas nicht rundläuft.

Neben den eigentlichen Aufgaben ist das Gewächshaus selbst auch ein Forschungsobjekt: Die technischen Geräte werden permanent mit Sensoren und Fühlern überwacht und die Daten an eine Forschungsgruppe der TU Dresden gesendet. Dort wird verglichen, ob das selbst gesteckte, ehrgeizige Ziel erreicht wird, gegenüber herkömmlichen Gewächshäusern 50 Prozent der Energie und CO2-Emissionen zu sparen – durch eine optimale Abstimmung zwischen freier Kühlung, solarthermischer Kühlung und Fernwärmenutzung.

Schließlich sind Nachhaltigkeit und Klimaschutz das Grundanliegen des Projektes. „Die Erkenntnisse“, sagt Altmann, „sollen dann auch für andere Gewächshäuser genutzt werden.“ Erst kürzlich wurde der Bau eines neuen Forschungs-Hauses im Botanischen Garten in Dresden begonnen. Es könnte von den Leipzigern lernen.