Das hat der neue Spreadshirt-Chef vor

Leipzig. Julian de Grahl zeigt sich gleich als Chef ohne Standesdünkel. Er begrüßt seinen Gast mit einem herzlichen „Hallo, ich bin Julian, wir können gerne ,Du‘ sagen“. Er macht einen Kaffee am Automaten und fängt gleich an zu plaudern, über seinen neuen Job, seine Pläne und seine bisherige Geschichte. Seit Anfang April ist er Geschäftsführer der Leipziger Spread Group, die aus dem einstigen Studenten-Start-up „Spreadshirt“ hervorgegangen ist. Inzwischen volljährig, wuchs das Unternehmen mit dem Bedrucken von T-Shirts, Kapuzenshirts, Kaffeetassen und anderen Accessoires zu einem führenden Print-on-demand-Anbieter in Europa heran.
Gut 18 Jahre nach der Gründung gehören zur Leipziger Gruppe fünf internationale E-Commerce-Plattformen, fast 480 Mitarbeiter in Leipzig und etwa 600 weitere Beschäftigte in Polen, Tschechien und den USA. Allein voriges Jahr verschickten sie 9,8 Millionen individuell gestaltete Artikel in 170 Länder und machten 169 Millionen Euro Umsatz. Nach zehn Jahren an der Spitze gab der Brite Philip Rooke die Geschäfte kürzlich an Julian de Grahl ab.
Der Hamburger war vom ehrgeizigen Gründerteam, das heute als Aufsichtsrat fungiert, angesprochen worden. Und der CEO will sich nicht auf dem Erfolg seines Vorgängers ausruhen, sondern die profitable Traditionsmarke „Spreadshirt“ einmal mehr modernisieren: Mehr Nachhaltigkeit, mehr regionale Verwurzelung, Qualität auf heutigem technologischen Niveau und breitere Angebote für Businesskunden lauten Stichworte, die der 1,95-Meter-Mann durchdekliniert.
Produktpalette wird erweitert
Der 47-jährige Betriebswirtschaftler und Jurist mit zwei Staatsexamen kennt das Internetgeschäft aus dem Effeff. Er hat 2007 über die Durchsetzung von Urheberrechten im digitalen Zeitalter promoviert, war Manager beim beruflichen Netzwerk XING und Managing Director beim Veranstaltungsdienstleister CTS Eventim. Jetzt folgt Print-on-demand („Druck auf Abruf“) aus Leipzig im großen, internationalen Stil.
Neue Wege will der Neue an vielen Stellen gehen. „Wir produzieren im Gegensatz zum Massenmarkt schon immer individuelle Lieblingsstücke. Unsere Rücksendequote liegt im niedrigen einstelligen Bereich und damit bei weniger als einem Zehntel des Marktüblichen“, sagt de Grahl. „Dennoch wollen wir im Sinne der Nachhaltigkeit noch mal deutlich besser werden und die Qualität und die Kundenzufriedenheit weiter stärken.“ Dabei helfen sollen immer bessere Druck- und Stick-Techniken, die von einem wachsenden Researchteam bei Spreadshirt beobachtet und mit internationalen Firmen weiterentwickelt und in die Produktion eingeführt werden.

Auch bei Textilien und anderen Materialien, in der Produktion und in den Lieferketten will de Grahl höhere Klima- und Umweltstandards durchsetzen. Parallel will er die Produktpalette erweitern. Dazu könnten Upcycling-Produkte wie atmungsaktive, individuell zugeschnittene und bedruckte Regenkleidung aus recyceltem Plastik gehören. „Wir stellen uns bei den Themen Umwelt, Soziales und Unternehmensverantwortung entschlossen neu auf“, sagt de Grahl. Dieser Weg sei nicht nur Selbstzweck und Einsicht in die Notwendigkeit – sondern auch eine Anforderung der Kunden und des Marktes.
Schließlich will de Grahl künftig auch mehr Unternehmenskunden gewinnen. „Bisher sind wir vor allem im direkten Kundengeschäft gewachsen. Jetzt wollen wir auch im Businessgeschäft weiter nach vorn gehen“, sagt er. Ausbaufähige Felder sieht er beispielsweise für Unternehmen bei der Ausstattung von Mitarbeitern, bei Kundenevents und Messen. Daneben denkt de Grahl laut darüber nach, Spreadshirt wieder stärker für die Region zu öffnen, etwa durch einen Showroom in der Firmenzentrale und vielleicht einen Pop-up-Store in der Innenstadt. „Wir wollen“, sagt de Grahl, „wieder stärker in Leipzig wahrnehmbar sein.“ Die Zeiten, als man die Produktion in Leipzig schloss und ins polnische Legnica verlagerte, sind überwunden. Inzwischen werden Fertigung und Entwicklung ausgebaut.
Empörung wegen Impfgegner-T-Shirt
Der Job auf der Kommandobrücke bedeutet aber auch, auf der Hut zu sein: Wie Facebook und Co. muss die Spread Group darauf achten, dass ihre Plattformen nicht für extremistische Botschaften, Hass und Fake News genutzt werden.
In den vergangenen Jahren gerieten die Leipziger Pioniere in manchen Shitstorm, zuletzt wegen eines T-Shirts mit dem sogenannten „Judenstern“ und der Aufschrift „nicht geimpft“. Es erschien auf der Onlineplattform und wurde nicht schnell genug herausgefiltert, aber nie gedruckt. Durchschnittlich werden etwa 10 bis 15 Prozent der Motive für die Veröffentlichung auf dem Spreadshirt-Marktplatz aus verschiedensten Gründen abgelehnt.
In etwa 40 Prozent der Fälle sind die Rechte ungeklärt, weniger als fünf Prozent machen Verstöße gegen Community-Standards aus. „Wir wollen neutral sein, und wir stehen für ein friedliches Miteinander und die Meinungsfreiheit“, betont de Grahl. „Dafür haben wir eine Agenda und klare Community-Standards.“
Designs oder Shops werden von der Plattform entfernt, sobald sie illegale oder pornografische Inhalte haben, hetzerische Botschaften verbreiten, zu Gewalt aufrufen oder schädigende und irreführende Aussagen unterstützen. Der letzte, weit gefasste Punkt wurde erst im Pandemie-Jahr 2020 eingeführt, um im Zweifelsfall eine Handhabe etwa gegen Querdenker oder antidemokratische Bewegungen zu haben.
Mitarbeiter aus mehr als 50 Nationen
Über die Einhaltung der Standards wachen zuerst digitale Filter mit einer künstlichen Intelligenz, aber auch eine eigene Abteilung, dazu die große Gemeinschaft der Kunden und ein Ethikrat aus Mitarbeitern des Hauses. „Wir sind ein Seismograf für die Gesellschaft“, sagt de Grahl. „Bei bis zu 35.000 Designs täglich können wir aber nicht jedes Motiv händisch freigeben – sonst müssten wir die Menge und Vielfalt an Designs beschränken, die jeden Tag bei uns online gehen.“
Internationalität und Weltoffenheit sind für Julian de Grahl dabei eine Selbstverständlichkeit. „Wir haben Mitarbeiter aus mehr als 50 Nationen an Bord“, sagt der CEO und erzählt das Beispiel von Do Laux: Die Frau aus Kalifornien mit koreanischen Wurzeln und Berufserfahrung in New York ist Creative Director bei der Spread Group.
Kurz nach seinem Amtsantritt hat die Spread Group die „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet, eine Selbstverpflichtung und ein Bekenntnis zur Diversität nach innen und außen, die bereits von 25 der 30 Dax-Konzerne unterschrieben wurde. Die Unterschrift der Spread Group war vorm Amtsantritt des neuen Chefs eingefädelt worden. Für de Grahl bedeutet sie weniger eine Absichtserklärung für die Zukunft als vielmehr eine Bestätigung dessen, was das Unternehmen seit Langem tut. „Das Thema ist für mich Normalität im Alltag“, sagt er. „Wenn man Innovationen treiben will, kommt man an Vielfalt nicht vorbei.“