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Letzte Chance für Neustadt-Villa

Fast 20 Jahre stand ein markantes Haus an der Glacisstraße leer. Mehrere Familien wollen es jetzt vor dem Einsturz retten.

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Von Tobias Winzer

Die Farbe schält sich von der Wand. Eine alte Neonlampe hängt windschief im Flur. Von dem Dach ist nicht mehr viel übrig. 18Jahre Leerstand haben der markanten Villa an der Glacisstraße – direkt gegenüber dem Kleinen Haus des Staatsschauspiels – arg zugesetzt. In der Mitte des Hauses ist der Dachstuhl komplett eingebrochen. Er hat die Deckenkonstruktion des ersten Obergeschosses mit sich gerissen. Die Einzelteile bilden nun im Erdgeschoss einen riesigen Haufen aus Schutt und Geröll. Das Haus ist einsturzgefährdet.

Attiya Khan lässt sich davon nicht schrecken. Gemeinsam mit zwei anderen Familien hat sie das Haus und das 1.800 Quadratmeter große Grundstück Ende Februar von einer Erbengemeinschaft gekauft. Die 42-Jährige will mit ihrem Mann und ihren drei Kindern eine 140 Quadratmeter große Wohnung in der ersten Etage beziehen. Wann das sein wird, kann sie noch nicht sagen. „Wir würden das Haus gern noch vor dem nächsten Winter sichern“, sagt sie. Ein Jahr später könnte das rund 1,5 Millionen Euro teure Vorhaben dann beendet sein. Die Arbeiten sollen aber erst beginnen, wenn die Baugemeinschaft komplett ist. Derzeit wird noch ein Interessent für die 105 Quadratmeter große Wohnung im Dachgeschoss gesucht.

Das 1865 erbaute Haus, das unter Denkmalschutz steht, soll behutsam erneuert werden. Im Haupthaus werden drei Wohnungen entstehen. Die Remise, die um einen modernen Anbau ergänzt wird, verwandelt sich in ein kleines Einfamilienhaus. Jede Wohnung soll mit eigener Terrasse oder Balkon ausgestattet werden. Der große Garten, der von einer Rotbuche überragt wird, wird gemeinschaftlich genutzt.

Attiya Khan war im vergangenen Jahr nach einem längeren Aufenthalt in den USA nach Dresden zurückgekehrt. Sie suchte nach einer großen Wohnung mit großem Garten in der Nähe der Neustadt. „Das ist sehr schwer zu finden“, sagt sie. Ende des vergangenen Jahres wurde sie durch das Dresdner Bauforum auf das Projekt an der Glacisstraße aufmerksam. Ihr gefiel das Konzept des gemeinschaftlichen Wohnens. Mit den drei Familien, die bislang dabei sind, werden insgesamt acht Kinder im Alter zwischen zwei und neun Jahren in die Glacisstraße ziehen.

Ornamente im Erdgeschoss

Anfang dieses Jahres nahmen die künftigen Bauherrn dann Kontakt zu der Erbengemeinschaft auf. Von der Eigentümerin, deren Mutter in den 20er-Jahren in dem Haus in der Glacisstraße geboren wurde, erfuhr Attiya Khan Details zur Ausstattung und Geschichte des Hauses. Demnach wurde das Gebäude als Wohnhaus für eine Familie errichtet. In dem zweigeschossigen Nebengebäude soll das Hausangestellten-Ehepaar gewohnt haben. Im Erdgeschoss des Haupthauses befand sich ein Klavierzimmer. Die Wände waren mit Ornamenten verziert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Villa enteignet. In dem Haus waren zuletzt unter anderem Büros untergebracht. Danach stand das Haus leer und verfiel zusehends.

Für die anstehende Sanierung schöpft Attiya Khan auch Mut aus einer Geschichte der ehemaligen Eigentümerin. „Sie erzählte, dass ihr Großvater eines Tages nach Hause kam und seiner Frau berichtete, dass er gerade ein Haus gekauft habe. Als die Frau nachfragte, wie das Haus denn aussehe, sagte er, dass er darauf nicht geachtet habe, ihm gefalle der schöne Garten.“ Attiya Khan hat nun das Gefühl, dass sich diese Geschichte mehr als hundert Jahre später wiederholt.