Von Stefan Lehmann
Riesa. Allzu viele Informationen haben die Beamten des Riesaer Polizeireviers nicht, als sie alarmiert werden. Von einer Massenschlägerei vor der Shisha-Bar an der Pausitzer Straße ist im Notruf die Rede, der am 21. Februar gegen vier Uhr nachts bei der Polizei eintrifft. „Als wir ankamen, sahen wir auf der Straße bereits etwa 25 Leute“, erinnert sich eine Polizistin. Wie sich herausstellt, sind eine Gruppe Deutscher und Asylbewerber in der Bar aneinandergeraten. Ein 28-jähriger Marokkaner hatte daraufhin ein Messer gezückt und einen 19-jährigen Riesaer verletzt.
Die Polizisten stehen vor der Herausforderung, die beiden Parteien zu trennen. „Wir waren erst einmal nur zu fünft“, erklärt die Polizistin. Oberstes Ziel sei es in so einer Situation, deeskalierend auf die aufgebrachte Menge einzuwirken. Als die Beamtin sieht, wie ein anderer Asylbewerber eine junge Frau kräftig am Arm packt, schreitet sie ein. „Die Frau wollte eigentlich selbst nur schlichten“, vermutet die Polizistin. Dazu habe die sich zwischen ihren Freund und den 35-jährigen Libyer gestellt.
Der erste Whisky um 15 Uhr
Der fühlt sich offenbar davon provoziert. Als die Polizistin einschreitet, lässt er von der Frau ab – und packt die Polizistin. Das ist gleich aus mehreren Gründen eine dumme Idee. Zum einen, weil die Polizei an diesem Punkt keinen Spaß mehr versteht: Sofort eilen der Polizistin zwei Kollegen zu Hilfe und nehmen den Mann fest. Zum anderen, weil die Polizei bei seiner Durchsuchung noch einen überraschenden Fund macht: ein Handy, das, wie sich später herausstellen wird, einer anderen Besucherin der Shisha-Bar geklaut worden war. Zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gesellt sich damit also gleich noch der Anklagepunkt Diebstahl.
Das war aber noch nicht alles, berichtet einer der Polizisten, die den Mann in Gewahrsam genommen haben. Bei der Durchsuchung versucht der Asylbewerber, nach den Beamten zu treten. Auch im Polizeiwagen macht der sichtlich betrunkene Mann Theater, tritt um sich und spuckt in Richtung der Polizisten gegen die Scheibe. Auch als er gegen 7 Uhr früh – fast drei Stunden nach dem Vorfall – zur Blutentnahme im Krankenhaus sitzt, hat er sich noch nicht beruhigt, zeigt den Polizisten den ausgestreckten Mittelfinger und beleidigt sie. „Der Arzt im Krankenhaus konnte arabisch und hat ihn zurechtgewiesen, das sein zu lassen“, sagt einer der Polizisten.
Der Libyer selbst will sich an all das nicht mehr so recht erinnern können. Er habe an dem Tag viel getrunken, wegen familiärer Probleme. Schon 15 Uhr nachmittags sei der erste Whisky geflossen. Außerdem habe er Haschisch konsumiert. Er wisse, dass er aggressiv gewesen sei, aber die Details könne er nicht wiedergeben. Auch dass er ein Handy gestohlen habe, daran könne er sich nicht erinnern.
Seit fünf Monaten in Riesa
Probleme mit Ordnungshütern und Sicherheitspersonal hatte der Libyer, der vor einem Jahr nach Deutschland kam und seit etwa fünf Monaten in Riesa lebt, aber schon mehrfach. Eine Geldstrafe wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zahlt er noch ab. Beim Amtsgericht behauptet er trotzdem, er sei damals nicht verurteilt worden. Auch ein Ladendetektiv aus dem Riesaer Kaufland erklärt bei Gericht, er sei schon mit dem Asylbewerber aneinandergeraten, als er ihn am 11. März dabei erwischte, wie er ein Antennenkabel im Wert von sieben Euro klaute. „Das war eine unerfreuliche Situation“, sagt der Detektiv. Unter anderem habe ihn der Libyer als „Hitler“ bezeichnet und sich geweigert, das Diebesgut herauszurücken.
Der Angeklagte selbst behauptet, von dem Detektiv grob angefasst worden zu sein. Der Detektiv habe ihn zum Beispiel unsanft auf den Stuhl gedrückt, als er aufstehen wollte. „Zu meiner Sicherheit“, betont der. Er wisse ja schließlich nicht, ob der Dieb eine Waffe dabei habe. Immerhin, den Diebstahl räumt der Angeklagte ein. – Richterin Ingeborg Schäfer verurteilt den Libyer schließlich zu einer Geldstrafe von insgesamt 1 120 Euro. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor eine Bewährungsstrafe gefordert. Damit hätte der Mann von einer Bestrafung de facto aber nichts gespürt, begründet Schäfer das Urteil. „Eine Geldstrafe trifft Sie härter.“ Eine Warnung gibt sie dem Asylbewerber noch mit: „Wenn Sie das nächste Mal auffallen, dann gibt das eine Freiheitsstrafe. Und Sie wissen selbst, was das für Ihre Aussichten hier bedeutet.“
Der Marokkaner, der in der gleichen Nacht das Messer zog und den 19-jährigen Riesaer verletzte, hatte übrigens weniger Glück. Er wurde noch in der Tatnacht dem Haftrichter vorgeführt und mittlerweile vom Amtsgericht Dresden zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt.