Menschliche Gebeine waren einst ein begehrtes Gut. Bei der Beschaffung in den Kolonien half auch die Brüdergemeine. Deren Rolle wird nun näher erforscht.
Herrnhut. Die altertümliche Schrift aus dunkler Tinte zieht sich schwungvoll über den grauen Menschenschädel. Sie formt Aufschriften, Nummern und einen Namen. Mqhayi, dem dieser Schädel einst gehörte, starb am 9. Juli des Jahres 1846 bei einem Kampf um das Dorf Silo, einer Missionsstation der Herrnhuter Brüdergemeine in Südafrika.
Seit 140 Jahren liegt er in einer der Glasvitrinen in den Meckelschen Sammlungen in Halle. Ohne den Herrnhuter Missionar Adolph Bonatz wäre er vielleicht nicht hier gelandet. Nach dem Kampf zwischen Einheimischen und britischen Kolonialsoldaten lief Bonatz zwischen den Toten umher. Von den Briten oder den Missionsangehörigen war niemand gestorben. Von Mqhayis Männern zwölf, vielleicht bis zu 20.
Wenig später ging der Schädel auf den Transport Richtung Europa, nach Herrnhut. Was dazwischen geschah, führte Bonatz in Briefen nicht näher aus. Wahrscheinlich hat er Mqhayi, der wohl eine Art Heerführer war, gekannt. Kein Wort, ob die Familie des Toten um Erlaubnis gebeten worden war. Vielleicht hat der Missionar jemanden beauftragt, der den Kopf abtrennte, Haut und alles schnell Verderbliche entfernte und den Schädel in eine Kiste packte. Vielleicht hat er es selbst gemacht.
Thomas Ruhland kann es nicht genau sagen, obwohl sich der Historiker von der Universität Halle intensiv mit Mqhayi und der Rolle von Missionaren beim Handel mit menschlichen Gebeinen befasst. Gerade hat er einen Aufsatz dazu veröffentlicht. Es ist eine der ersten Veröffentlichungen zu dem Thema. Die Hinweise verdichten sich, dass im 19. Jahrhundert nicht nur Kaufleute, Abenteurer und Wissenschaftler in den Kolonien Gebeine auf Begräbnisplätzen, Schlachtfeldern oder in Kliniken sammelten, sich unrechtmäßig aneigneten oder raubten. Offenbar beteiligten sich auch Mitglieder der Herrnhuter Brüdergemeine an diesem Netzwerk.